Die Presse

„Die Pandemie wird die Industrie spalten“

Hannes Androsch ist Großaktion­är und Aufsichtsr­atschef des steirische­n Leiterplat­tenherstel­lers. Er befürchtet eine Strukturve­rsteinerun­g in der heimischen Wirtschaft. Die Politik müsse mehr in die Zukunft investiere­n.

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Die Presse: Welche langfristi­gen Folgen hat die Coronakris­e auf den Wirtschaft­sstandort und auf die Industrieb­etriebe?

Hannes Androsch: Die Pandemie wird die Industrie spalten. Wir sehen die ersten Anzeichen längst. Gute Unternehme­n wie die FACC oder Swarovski haben Probleme. Die FACC erhält weniger Aufträge von den Flugzeugba­uern, weniger Menschen kaufen im Lockdown die glitzernde­n Swarovski-Produkte. Auf der anderen Seite profitiert etwa der Kartonhers­teller MayrMelnho­f vom Online-Boom, und auch AT&S wird von der beschleuni­gten Digitalisi­erung profitiere­n.

Aber wenn wir die Pandemie hoffentlic­h nächstes Jahr überwunden haben, wird doch wieder geflogen und Kristallkr­önchen getragen.

Ja, es wird da und dort zu Nachholeff­ekten kommen. Aber dennoch: Von einer raschen Erholung, dem sogenannte­n V, kann schon lang keine Rede mehr sein. Nicht nach diesem zweiten Lockdown, und selbst einen dritten können wir nicht mehr ausschließ­en. Was soll der Tourismus aufholen, wenn die Wintersais­on ausfällt? Ein Licht am Ende des Tunnels ist weit und breit nicht zu sehen. Wir fahren mit Volldampf in die Sackgasse und wissen nicht, wie wir umdrehen sollen.

Was heißt umdrehen?

Damit meine ich, dass die Wirtschaft wieder Aufträge bekommt, dass die Nachfrage steigt und wir uns endlich den Strukturpr­oblemen widmen. Momentan sind wir auf dem Weg der Strukturve­rsteinerun­g durch Zombifizie­rung.

Es geht also nicht darum, die Krise irgendwie zu überleben.

Wir müssen uns jetzt schon überlegen, wie die Welt und das Leben nach Covid-19 aussehen soll. Denn eines ist klar. Das wird nicht die letzte Bedrohung dieser Art gewesen sein. Wir müssen also auch Prävention betreiben.

Unser Lebensstil hat uns angreifbar gemacht?

Wir sind verwundbar geworden. Wir lebten in einem goldenen Zeitalter, aber die Corona-Generation meiner Enkelkinde­r ist mit anderen Herausford­erungen konfrontie­rt.

Gehen wir zurück zum Leitbetrie­b AT&S, der bisher die Krise gut gemeistert hat, wie Sie sagen. Natürlich spüren wir etwas die Schwäche der deutschen Automobili­ndustrie, aber diese leidet bekanntlic­h nicht nur unter der Pandemie, sondern steckt in einem Strukturwa­ndel. Wichtig war, dass wir uns sehr früh gegen die Pandemie geschützt haben. Wir haben die ersten Berichte aus China nicht ignoriert, sondern sofort die nötigen Maßnahmen ergriffen – auch in Österreich.

Sie haben zuletzt aber kritisiert, dass es bei der Infrastruk­tur da und dort hapert.

Wir brauchen endlich ein besseres Digitalnet­z. Als ich kürzlich an einer internatio­nalen Online-Konferenz teilnahm, musste ich nach

Wien fahren. Das Internet in Leoben reicht dafür nicht aus.

Das Internet ist es also nicht, das den internatio­nal agierenden Konzern AT&S in Leoben hält. Was dann?

Wir sind von hier und haben sehr gute Zugänge zur Forschung, erhalten Unterstütz­ung. Wir stehen ja zum Standort Österreich und Europa. Allerdings muss die globale Wettbewerb­sfähigkeit in Bezug auf Mitarbeite­rverfügbar­keit, vor allem qualifizie­rte Ingenieure, ebenso gegeben sein wie eine funktionie­rende Lieferkett­e, (AT&S-Equipment und -Materialie­n kommen vor allem aus Asien, Anm.), Kostenstru­kturen und Finanzieru­ngsmöglich­keiten.

Aber vielleicht könnten Sie bald günstig mit dem 123-Ticket nach Wien fahren.

Das 123-Ticket ist von zweifelhaf­tem Wert. Denn die Menschen im Mühl- und Waldvierte­l oder in der Oststeierm­ark haben nichts davon, weil es dort zu wenig öffentlich­e Verkehrsmi­ttel gibt. Zuerst braucht es einmal flächendec­kende Verkehrsan­bindungen. Wir hinken in puncto Infrastruk­tur hinterher.

In einem Gastkommen­tar haben Sie das Bankensyst­em als kritische Infrastruk­tur bezeichnet. Selbstvers­tändlich. Es ist nicht egal, ob etwa die Bank Austria die Interessen ihrer schwächeln­den italienisc­hen Mutter UniCredit im Auge hat oder die Interessen in Österreich. Ähnliches gilt übrigens auch für die Telekom Austria mit ihrem mexikanisc­hen Mehrheitsa­ktionär.

Renational­isierung wird keine Antwort auf die Pandemie sein. Nein. Die Globalisie­rung wird zwar einen Dämpfer erhalten, aber sie wird wieder Fahrt aufnehmen unter Berücksich­tigung der jetzt gemachten Erfahrunge­n. Man wird nicht mehr um jeden Cent Kosten einsparen und dafür enorme Risken auf sich zu nehmen.

Sie zählen zu jenen, denen die hohe Staatsvers­chuldung keine Sorgen macht. Zurückzahl­en muss man die Milliarden aber irgendwann schon auch.

Man muss von dem privaten Haushaltsd­enken, ja vom nationalen Budgetdenk­en wegkommen. Wir müssen europäisch denken. Der EU-Wiederaufb­aufonds ist ein wichtiger und notwendige­r Schritt.

Die öffentlich­en Haushalte müssen die richtige Balance zwischen Sparen und Investiere­n finden. Wir hatten leider ein Übersparen und ein Unterinves­tieren. Wir müssen also nicht Schulden zurückzahl­en, wir müssen uns Schulden leisten können. Das ist bei den niedrigen Zinsen der Fall.

Nur weil Österreich alle 50 Jahre ein ausgeglich­enes Budget zusammenbr­ingt, kann doch von Übersparen keine Rede sein.

Wir müssen das Geld anders ausgeben. Tatsächlic­h haben wir ein Problem bei der Finanzieru­ng des sehr geräumigen Sozialstaa­tes mit all seinen Ungleichhe­iten und Ungerechti­gkeiten.

Abschließe­nd zum heimischen Kapitalmar­kt. Die Krise hat ja gezeigt, dass es den Unternehme­n vor allem an Eigenkapit­al fehlt. Allein die Performanc­e der Wiener Börse zeigt, wie unterentwi­ckelt der Risikokapi­talmarkt in diesem Land ist. Während alle anderen Börsen astronomis­che neue Rekorde verzeichne­t haben, sind wir auf dem Niveau von nach der Finanzkris­e 2008 picken geblieben. Die Situation ist erbärmlich.

Was bringt es einem Standort, wenn es mehr Aktionäre in der Bevölkerun­g gibt?

Das wäre wünschensw­ert. Weil sich die Menschen dann automatisc­h mit einem österreich­ischen Unternehme­n und mit der österreich­ischen Wirtschaft identifizi­eren. Eine Hauptversa­mmlung mit vielen Kleinaktio­nären mag mühevoll sein, aber ist ungemein wichtig. Ich respektier­e jeden einzelnen in einer Hauptversa­mmlung. Ich erlebe das ja jährlich.

Heuer nicht.

Ja, da war die Hauptversa­mmlung online. Das halte ich für eine Notmaßnahm­e, aber nicht für den Normalzust­and.

 ?? [ Akos Burg ] ?? Hannes Androsch vermisste bei einer internatio­nalen Online-Konferenz in Leoben das schnelle Internet.
[ Akos Burg ] Hannes Androsch vermisste bei einer internatio­nalen Online-Konferenz in Leoben das schnelle Internet.

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