Milliarden an Staatshilfen verschleiern die „Tiefe des Einbruchs“
Der Leiter des Industriewissenschaftlichen Instituts IWI, Herwig W. Schneider, warnt vor allzu optimistischen Prognosen.
Wien. Die Konjunkturforscher tappen nach wie vor im Dunkeln. Während sich im Sommer eine optimistische Einschätzung verfestigte, die Coronakrise könnte vergleichsweise schnell überwunden werden, versetzten die neuerlichen Lockdowns im Herbst den Prognosen einen Dämpfer. Noch im Oktober erwartete der Internationale Währungsfonds in seinem „World Economic Outlook“einen Rückgang der globalen Wirtschaftsleistung um 4,4 Prozent. Der IWF meinte, dass die globale Wirtschaft bereits wieder leicht über den Werten des Jahres 2019 liegen könnte.
Dann begann kam der zweite Lockdown in vielen der nördlichen Industrieländer. „Die seither veröffentlichten Prognosen sehen vor allem für 2021 eine geringere Erholung als erwartet, da sich die neuerlichen politischen Eingriffe in die Wirtschaft zumindest bis weit ins erste Quartal 2021 negativ niederschlagen werden“, sagt Herwig W. Schneider, Leiter des Industriewissenschaftlichen Instituts IWI. Er verweist auf die im November erschienene Herbstprognose der Europäischen Union. Diese wage bereits einen Blick in das Jahr 2022. „Und dieser Blick ist ernüchternd“, meint Schneider.
Die EU-Länder werden demnach auch 2022 die Wirtschaftsleistung des Jahres 2019 noch nicht wieder erreicht haben. Im Gegensatz zu den USA, die wieder einmal schneller aus einer Krise starten.
Den größten Sprung nach vorn werde aber China machen. Dort, wo die Pandemie ihren Ausgang genommen hat, wird man am wenigsten von den Folgen betroffen sein. Chinas Wirtschaftsleistung könnte 2022 um 16 Prozent über dem Wert von 2019 liegen.
China kommt rascher zurück
Der Abstand zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten wird sich somit wieder verkleinern. China profitiert vor allem von der robusten Binnennachfrage. Erst kürzlich hat China mit 14 Ländern Ostasiens und Ozeaniens ein Freihandelsabkommen (RCEP) unterzeichnet, das eine Handelszone mit einem Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung errichtet. „Auch wenn solche Freihandelszonen historisch nicht ohne Probleme waren, bildeten sie doch einen Treiber der regionalen Arbeitsteilung durch umfassende Erleichterungen bei der Ausbildung von Lieferketten“, betont IWI-Chef Schneider.
Er warnt davor, dass in Europa ein „vielfach zu positives Bild“über die weitere Konjunkturentwicklung gezeichnet wird. Vielerorts sorgten die milliardenschweren Staatshilfen dafür, dass die „Tiefe des Einbruchs“unterschätzt werde. „Maßnahmen wie Kurzarbeit oder Aussetzung der Insolvenzantragspflicht haben zu einem Zustand beigetragen, in dem der Anschein besser als die Substanz ist“, warnt er. (red.)