Ein bisschen schwanger
Wodurch unterscheiden sich schwangere Friseurinnen von empfangenden Lehrerinnen?
Frauen im Zustand „fortgeschrittenen Schwangerschaft“(also ab der 14. Woche) zählen nach neuesten medizinischen Erkenntnissen zur Corona-Risikogruppe. Laut einer Novelle zum Mutterschutzgesetz, die gerade eine breite Mehrheit im Sozialausschuss des Nationalrats gefunden hat, können sie daher von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt werden. Begründet wird das damit, dass Schwangere, die an Covid-19 erkrankt sind, erwiesenermaßen häufiger auf Intensivstationen aufgenommen werden müssen. Mit der Freistellung soll das Risiko ihrer Ansteckung minimiert werden. Beschäftigte „in Berufen mit Körperkontakt“werden daher ab Mitte Dezember ein Recht auf diese Freistellung haben: die Physiotherapeutin, Friseurin, Stylistin, die Kosmetikerin, Piercerin und die Masseurin. Gut so.
Meine Friseurin und ich
der
Berufe „mit Körperkontakt“werden also freigestellt. Aber was ist mit schwangeren Lehrerinnen? Sie sind laut Novelle nur „teilweise betroffen“. Das ist seltsam. Ein befreundeter Lesepate an einer Volksschule erzählt aus seiner zehnjährigen Erfahrung: Vom Begrüßen über das Trösten bis hin zu Geburtstagswünschen hätte er definitiv mehr Körperkontakt zu Kindern gehabt als seine Friseurin jemals zu ihm.
Und war da nicht auch noch etwas mit Aerosolen, diesen winzigen Tröpfchen? Die wir von uns geben, wenn wir atmen, sprechen, husten, niesen? Die Viren transportieren können, und die in Innenräumen viel gefährlicher sind als draußen?
Aerosole sind so klein und leicht, dass sie nicht wie größere Tröpfchen einfach zu Boden fallen. Sie schweben in der Luft. Je mehr gesprochen wird, desto mehr Aerosole entstehen. In geschlossenen Räumen bleiben sie außerdem länger in der Luft. Deshalb sollten wir in Innenräumen nur wenig Zeit in engem
Kontakt mit vielen verschiedenen Menschen verbringen. Denn wenn eine infizierte Person im Raum ist, besteht das Risiko, Aerosole einzuatmen, die das Virus transportieren. Ausgerechnet Schulklassen sind aber Innenräume, in denen viel gesprochen wird und in denen viele verschiedene Menschen viel Zeit in engem Kontakt miteinander verbringen.
Sind sie infektiöser?
Nun wissen wir, dass Schulkinder große Mengen von Sars-CoV-2 im Nasen- und Rachenraum tragen können. Dass ihre Viruslast ähnlich hoch und teils sogar höher ist als bei Erwachsenen. Dass sie aber doch, selbst, wenn infiziert, häufig symptomfrei bleiben. Ob sie den Corona-Erreger dabei fleißig verbreiten oder nicht, ist aber nicht endgültig geklärt. Einige Studien deuten auf eine geringere Übertragung durch Kinder hin. Sie sind allerdings während Lockdowns entstanden und somit nicht ohne Weiteres auf den Alltag umzulegen.
Auch das Rote Kreuz ist – und auch ich persönlich bin – dafür, dass die Schulen wieder öffnen, wenn es sein muss, unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen, die das Bildungsministerium in diesen Stunden vorbereitet. Aber diese Vorkehrungen müssen auch auf Risikogruppen besondere Rücksicht nehmen. Schwangere Lehrerinnen und ihre ungeborenen Kinder sind eine solche Risikogruppe.
Mit der Unterscheidung einer Freistellung zwischen Friseurin, Piercerin und Lehrerin erweist sich die aktuelle Entscheidung des Gesetzgebers aber leider wie so vieles in dieser Pandemie einmal mehr als wenig ausgegoren. Sondern bloß wieder einmal als ein bisschen schwanger.
Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer (* 1944) ist langjähriger Vorstand des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz und seit 2013 Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK).