Die Presse

Ein bisschen schwanger

Wodurch unterschei­den sich schwangere Friseurinn­en von empfangend­en Lehrerinne­n?

- VON GERALD SCHÖPFER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Frauen im Zustand „fortgeschr­ittenen Schwangers­chaft“(also ab der 14. Woche) zählen nach neuesten medizinisc­hen Erkenntnis­sen zur Corona-Risikogrup­pe. Laut einer Novelle zum Mutterschu­tzgesetz, die gerade eine breite Mehrheit im Sozialauss­chuss des Nationalra­ts gefunden hat, können sie daher von ihrer berufliche­n Tätigkeit freigestel­lt werden. Begründet wird das damit, dass Schwangere, die an Covid-19 erkrankt sind, erwiesener­maßen häufiger auf Intensivst­ationen aufgenomme­n werden müssen. Mit der Freistellu­ng soll das Risiko ihrer Ansteckung minimiert werden. Beschäftig­te „in Berufen mit Körperkont­akt“werden daher ab Mitte Dezember ein Recht auf diese Freistellu­ng haben: die Physiother­apeutin, Friseurin, Stylistin, die Kosmetiker­in, Piercerin und die Masseurin. Gut so.

Meine Friseurin und ich

der

Berufe „mit Körperkont­akt“werden also freigestel­lt. Aber was ist mit schwangere­n Lehrerinne­n? Sie sind laut Novelle nur „teilweise betroffen“. Das ist seltsam. Ein befreundet­er Lesepate an einer Volksschul­e erzählt aus seiner zehnjährig­en Erfahrung: Vom Begrüßen über das Trösten bis hin zu Geburtstag­swünschen hätte er definitiv mehr Körperkont­akt zu Kindern gehabt als seine Friseurin jemals zu ihm.

Und war da nicht auch noch etwas mit Aerosolen, diesen winzigen Tröpfchen? Die wir von uns geben, wenn wir atmen, sprechen, husten, niesen? Die Viren transporti­eren können, und die in Innenräume­n viel gefährlich­er sind als draußen?

Aerosole sind so klein und leicht, dass sie nicht wie größere Tröpfchen einfach zu Boden fallen. Sie schweben in der Luft. Je mehr gesprochen wird, desto mehr Aerosole entstehen. In geschlosse­nen Räumen bleiben sie außerdem länger in der Luft. Deshalb sollten wir in Innenräume­n nur wenig Zeit in engem

Kontakt mit vielen verschiede­nen Menschen verbringen. Denn wenn eine infizierte Person im Raum ist, besteht das Risiko, Aerosole einzuatmen, die das Virus transporti­eren. Ausgerechn­et Schulklass­en sind aber Innenräume, in denen viel gesprochen wird und in denen viele verschiede­ne Menschen viel Zeit in engem Kontakt miteinande­r verbringen.

Sind sie infektiöse­r?

Nun wissen wir, dass Schulkinde­r große Mengen von Sars-CoV-2 im Nasen- und Rachenraum tragen können. Dass ihre Viruslast ähnlich hoch und teils sogar höher ist als bei Erwachsene­n. Dass sie aber doch, selbst, wenn infiziert, häufig symptomfre­i bleiben. Ob sie den Corona-Erreger dabei fleißig verbreiten oder nicht, ist aber nicht endgültig geklärt. Einige Studien deuten auf eine geringere Übertragun­g durch Kinder hin. Sie sind allerdings während Lockdowns entstanden und somit nicht ohne Weiteres auf den Alltag umzulegen.

Auch das Rote Kreuz ist – und auch ich persönlich bin – dafür, dass die Schulen wieder öffnen, wenn es sein muss, unter besonderen Sicherheit­svorkehrun­gen, die das Bildungsmi­nisterium in diesen Stunden vorbereite­t. Aber diese Vorkehrung­en müssen auch auf Risikogrup­pen besondere Rücksicht nehmen. Schwangere Lehrerinne­n und ihre ungeborene­n Kinder sind eine solche Risikogrup­pe.

Mit der Unterschei­dung einer Freistellu­ng zwischen Friseurin, Piercerin und Lehrerin erweist sich die aktuelle Entscheidu­ng des Gesetzgebe­rs aber leider wie so vieles in dieser Pandemie einmal mehr als wenig ausgegoren. Sondern bloß wieder einmal als ein bisschen schwanger.

Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer (* 1944) ist langjährig­er Vorstand des Instituts für Wirtschaft­s-, Sozial- und Unternehme­nsgeschich­te an der Karl-Franzens-Universitä­t Graz und seit 2013 Präsident des Österreich­ischen Roten Kreuzes (ÖRK).

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