Großbritannien startet mit Impfungen
Pandemie. Pfizer-Biontech erhielt eine Notzulassung. Risikogruppen impft man zuerst.
London. Als erstes Land in Europa wird Großbritannien ab kommender Woche mit Impfungen gegen Covid-19 beginnen. Der Weg dazu wurde gestern Früh freigemacht, nachdem die zuständige Behörde MHRA dem Impfstoff von PfizerBiontech die Bewilligung erteilt hatte und die Regierung der Empfehlung zustimmte. „Das sind großartige Neuigkeiten“, jubelte Gesundheitsminister Matt Hancock. Großbritannien ist eines der am schwersten vom Coronavirus betroffenen Länder. 70.000 Menschen sind im Zusammenhang mit dem Virus bisher verstorben.
Bereits vor der Zulassung des Präparats hatte sich die Regierung in London 40 Millionen Dosen des Pfizer-Biontech-Impfstoffs gesichert. Die Wirksamkeit des Präparats, das auf neu entwickelter RNAGentechnik beruht und den Körper gegen Covid-19 immunisiert, liegt Tests zufolge bei 95 Prozent.
Man sei nach Monaten strenger Prüfung zu dem Schluss gekommen, „dass der Impfstoff die strengsten Standards an Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit erfüllt“, schrieb die MHRA. Für eine Immunisierung gegen das Virus braucht jede Person zwei Impfungen. Schon ab nächster Woche sollen die ersten 800.000 Dosen verfügbar sein. Als Erstes werden Hochrisikogruppen wie Bewohner von Pflegeheimen, Menschen über 80 Jahre und medizinisches Personal geimpft.
Logistischer Kraftakt
In den Pfizer-Werken in Belgien und im US-Bundesstaat Michigan läuft die Produktion bereits auf Hochtouren. „Das ist ein historischer Augenblick im Kampf gegen Covid-19“, meinte der Chef von Pfizer, Albert Bourla.
Um das Virus zu besiegen, werden aber noch zahlreiche Kraftanstrengungen und logistische Meisterleistungen vonnöten sein. Der RNA-Impfstoff muss in gasgekühlten Spezialbehältern, die wie Pizzaschachteln aussehen, bei minus 70 Grad Celsius ausgeliefert werden. In Großbritannien werden gerade 50 Krankenhäuser für die Lieferungen vorbereitet. Hier kann der Impfstoff dann in normalen Medikamentenkühlschränken bis zu fünf Tage gelagert und verwendet werden. Neben der Ausgabe in Krankenhäusern werden auch Massenimpfungen in 1500 lokalen Gesundheitszentren sowie in Sportstätten und Konferenzzentren für das Jahr 2021 vorbereitet. Dabei ist auch die Armee eingebunden, um bis zu 5000 Impfungen am Tag verabreichen zu können.
Es wird damit gerechnet, dass bei den Massenimpfungen andere Wirkstoffe, die in der Logistik weniger anspruchsvoll sind, zum Einsatz kommen werden. Bestellt hat Großbritannien bisher 40 Millionen Dosen von Pfizer-Biontech zum Preis von je 15 Pfund sowie sieben Millionen Dosen von Moderna zu je 28 Pfund (Wirksamkeit: 94 Prozent). Der Impfstoff von Moderna basiert ebenfalls auf der RNA-Technik.
Bei der britischen Astrazeneca hat London 100 Millionen Dosen bestellt. Dieser Impfstoff basiert auf viralen Vektoren, kostet je drei Pfund. Über den Wirkungsgrad gibt es noch keine definitiven Angaben, Astrazeneca nannte zuletzt Werte zwischen 62 und 90 Prozent, je nach Testgruppe.
Gesundheitsminister Hancock gab sich zuversichtlich, dass der Durchbruch nun geschafft sei. Ab Ostern werde man zur Normalität zurückkehren können, „und wir werden einen Sommer haben, den jeder genießen kann“.
Ostern in der Normalität
In der Bevölkerung wurde die Nachricht über den nahenden Einsatz eines Impfstoffs mit großer Erleichterung, aber auch mit einer gesunden Portion Skepsis aufgenommen. Angesichts des bisherigen Versagens der Behörden im Umgang mit der Krise blieben viele mit voreiligen Hoffnungen zurückhaltend: „Bis ich mit der Impfung an der Reihe bin, werde auch ich schon zur Hochrisikogruppe gehören“, scherzte die 59-jährige Büroangestellte Victoria gegenüber der „Presse“.
Die Zulassung des Impfstoffs erfolgt just in dem Moment, in dem England von einem totalen Lockdown zu einem Stufensystem wechselt, bei dem das Land in drei Gefahrenzonen geteilt wird. Für 99 Prozent der Bevölkerung bestehen weiterhin strenge Einschränkungen. Die konservative Regierung von Premierminister Boris Johnson brachte die neuen Bestimmungen am Dienstagabend nur gegen massiven Widerstand der eigenen Fraktion durch das Unterhaus.
Die Londoner Börse reagierte auf die anstehende Impfaktion mit einem wahren Kursfeuerwerk. Doch gerade im wirtschaftlichen Bereich droht trotz Impfung Ungemach. Schatzkanzler Rishi Sunak sagte in der Vorwoche bei der Vorstellung des größten Budgetdefizits der britischen Geschichte von 394 Milliarden Pfund: „Die Gesundheitskrise kommt zu einem Ende. Aber die Wirtschaftskrise hat gerade erst begonnen.“