Pflichtgefechte in der Koalition
Türkis-Grün. Erstmals werden Konflikte in der Regierung – über die Corona-Reiserückkehrer und die NoVA – öffentlich ausgetragen. Das ist freilich mehr eine Pflichtübung als ein ernsthafter Krach.
Wien. Es war zwar nicht die erste türkis-grüne Irritation seit Bestehen der Koalition, aber das erste Mal, dass sich der Vizekanzler öffentlich über den Bundeskanzler beschwerte. „Wie die Reisebeschränkungen zum Teil kommuniziert wurden, war auch für mich einseitig und von mangelnder Sensibilität“, gestand Werner Kogler der Austria Presse Agentur.
Gemeint war Sebastian Kurz, der bei der Präsentation der Öffnungsschritte am Mittwoch diesen Satz gesagt hatte: „Wir hatten im Sommer sehr, sehr niedrige Ansteckungszahlen nach dem Lockdown und haben dann durch Reiserückkehrer und insbesondere durch Menschen, die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben, uns Ansteckungen wieder ins Land hereingeschleppt.“Das Wort Balkan fiel mehrmals. Und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) erwähnte explizit auch die Türkei.
Kogler bedauerte „sehr, dass das viele Menschen als verletzend erlebt haben“. Besonders jene, „die sich bei uns seit vielen Monaten in Pflegeheimen, Spitälern und in anderen wichtigen Bereichen voll einsetzen“. Viele von ihnen hätten biografische Wurzeln in den „einseitig angesprochenen Regionen“.
An der grünen Parteibasis und im grünen Parlamentsklub war der Unmut über die Aussagen des Kanzlers groß, was vermutlich der Grund für Koglers öffentliche Zurechtweisung war. Die Kombination aus „Reiserückkehrern“, „Herkunsftländern“, „Balkan“und „Türkei“deutete nach Meinung vieler Grüner darauf hin, dass die ÖVP einen bestimmten Eindruck erwecken wollte. Auch wenn jene Österreicher mitgemeint waren, die in Kroatien Party gemacht hatten.
Die Irritation war also in erster Linie semantischer Natur – in der Sache ist man sich nämlich einig. Kogler nannte die Einreisebeschränkungen eine „sinnvolle und notwendige Maßnahme für die nächsten Wochen“. Kurz wiederholte in den „Vorarlberger Nachrichten“, dass ein Drittel der Infektionen im Sommer auf Reisende zurückzuführen gewesen sei, „ein Großteil davon auf den Westbalkan und Kroatien“. Daraus habe man die nötigen Schlüsse gezogen. Zielgruppe seien aber „genauso“Auslandsösterreicher oder „Menschen, die gern auf Urlaub fahren“.
Über Koglers Vorwürfe war der Kanzler ziemlich verschnupft, er nannte sie absurd. „Jeder, der mich kennt, weiß, wie eng ich mit dem Westbalkan verbunden bin.“Und das war es dann auch schon, zumindest fürs Erste. Ein Warnschuss der Grünen, der Kurz daran erinnern sollte, was gewisse Aussagen in den Reihen des Koalitionspartner bewirken können. Gesundheitsminister Rudolf Anschober goss am Freitag nicht weiter Öl ins koalitionäre Feuer und wechselte auf die Sachebene: „Die ganz große Mehrheit der Infektionsfälle ist in Österreich passiert“, sagte er im
ORF-Radio. Allerdings habe es vor allem im August „Infektionen nach Reisetätigkeiten gegeben“.
Wirtschaft gegen NoVA-Reform
Auf einer anderen Ebene sorgen einstweilen die ersten Teile der „Ökosteuerreform“für türkis-grüne Verstimmungen: Konkret die Änderung der Normverbrauchsabgabe (NoVA), die ab Juli 2021 auch für Klein-Lkw bis 3,5 Tonnen anfällt. Das betrifft vor allem Liefer- und Kastenwagen von Firmen, sie werden durch die NoVA um einen fünfstelligen Eurobetrag teurer. Experten sprechen von einer Mehrbelastung der heimischen Wirtschaft von 150 Millionen Euro.
In einem für die Kurz-ÖVP eher ungewöhnlichen Schritt kritisierte Kurt Egger, Generalsekretär des ÖVP-Wirtschaftsbundes, am Freitag die geplante NoVA-Änderung: Mit diesen Plänen „crashen die Grünen die wirtschaftliche Erholung nach der Krise“, die Maßnahme sei „ein Schock“.
Hinter der öffentlichen Kritik könnte Kalkül stecken. Denn in der Regierung konnte man die Grünen nicht von der Abschaffung der NoVA-Ausnahme für KleinLkw abbringen. Die Maßnahme sei dem Koalitionspartner sehr wichtig gewesen, heißt es aus der ÖVP. Man habe zwar auf die angespannte Situation der Wirtschaft hingewiesen. Weil die NoVA-Anpassung aber im Regierungsprogramm festgeschrieben sei, hätten die Grünen „zu Recht“auf die Umsetzung gedrängt. Das sei eben die Arbeitsweise dieser Koalition: Man lasse dem Partner mehr Spielraum bei Vorhaben, die man selbst nicht hundertprozentig unterstütze. Den erwartbaren Aufschrei der Wirtschaft artikuliert nun eben der ÖVP-Wirtschaftsbund.
Bei den Grünen sieht man die Kritik gelassen. Die ÖVP habe es offenbar verabsäumt, alle ihre Bünde einzubinden und rechtzeitig zu informieren. Das sei das Problem des Koalitionspartners.