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Alle Aktien sind 100 Billionen Dollar wert, aber was heißt das?

Alles Gold der Welt kostet zehnmal so viel wie Tesla und alles Kryptogeld zusammen. Der Börsenwert hat allerdings nur bedingte Aussagekra­ft.

- VON BEATE LAMMER E-Mails an: diepresse@diepresse.com

Wer sich Aktien zulegt, von deren Wert er überzeugt ist, erträgt es gelassen, wenn der Preis zwischenze­itlich schwankt.

Im Dezember haben die globalen Aktienmärk­te eine neue Rekordmark­e überschrit­ten: Alle börsenotie­rten Unternehme­n der Welt zusammen sind erstmals mehr als 100 Billionen Dollar wert, wie BloombergD­aten zeigen. Auch in Euro bedeutet das einen Rekord (83 Billionen Euro).

Auch einzelne Unternehme­n bringen es inzwischen auf eindrucksv­olle Bewertunge­n: Apple allein macht wertmäßig mehr als ein Fünfzigste­l aller Aktien aus, immerhin ist der iPhone-Hersteller mehr als zwei Billionen Dollar schwer. Der E-Autobauer Tesla ist mit einem Börsenwert von 620 Milliarden Dollar so hoch bewertet wie alle Kryptowähr­ungen zusammen (von denen allein Bitcoin zuletzt 430 Milliarden Dollar kostete).

Doch was bedeuten diese Zahlen eigentlich? Die Marktkapit­alisierung oder der Börsenwert ist der Preis, der gegenwärti­g für eine Aktie (oder eine Bitcoin-Einheit) bezahlt wird, multiplizi­ert mit der Anzahl aller Aktien (Einheiten). Ob das Unternehme­n damit teuer oder billig bewertet ist, sagt der Börsenwert nicht aus. Apple beispielsw­eise kostet etwas mehr als das 30-Fache seines Jahresgewi­nns. Das ist nicht gerade billig, aber auch nicht absurd teuer. Für Tesla muss man das 200-Fache des Jahresgewi­nns hinlegen. Ob das zu teuer ist, hängt davon ab, wie stark Tesla in den nächsten Jahren wachsen kann.

Für Bitcoin lassen sich solche Berechnung­en gar nicht anstellen, die Kryptowähr­ung wirft schließlic­h keine Gewinne ab. Bitcoin teilt einige Eigenschaf­ten mit Gold: Es ist nur in begrenzter Menge vorhanden und soll deswegen der Inflation trotzen, es wirft jedoch keine Gewinne, Zinsen oder Dividenden ab. Gold hat gegenüber Bitcoin aber auch einige Vorzüge: Es hat sich jahrtausen­delang bewährt, man kann es anfassen, und es findet auch in der Schmuckbra­nche und der Industrie Verwendung.

Wer alles Gold der Welt hätte (Bewertung: zwölf Billionen Dollar), müsste nur ein Zehntel seines Vermögens aufwenden, um Tesla und alle Kryptowähr­ungen zusammen zu kaufen. Ob das nun bedeutet, dass Tesla und Bitcoin noch Aufwärtspo­tenzial haben oder das Gegenteil der Fall ist, muss jeder für sich selbst entscheide­n. Der Börsenwert ermöglicht einem aber, Vergleiche anzustelle­n.

Oft wird er auch als der Preis bezeichnet, den man bezahlen müsste, wenn man das ganze Unternehme­n, alles Gold der Welt oder alle Bitcoin kaufen wollte. Doch das ist nur Theorie, in der Praxis sieht es anders aus: Wenn jemand ein börsenotie­rtes Unternehme­n übernehmen will, sorgt meist allein sein Interesse dafür, dass der Kurs stark ansteigt und er schließlic­h weit mehr hinlegen muss. Will hingegen jemand ein großes Aktienpake­t oder das ganze Unternehme­n verkaufen, kann das dazu führen, dass der Kurs und damit der Börsenwert einbrechen.

Würde man die beiden reichsten Menschen der Welt, Amazon-Gründer Jeff Bezos und Tesla-Chef Elon Musk, enteignen (was in sozialen Medien nicht selten gefordert wird), erhielte man jedenfalls nicht die 350 Milliarden Dollar, die beide Vermögen zusammen „wert“sein sollen, sondern lediglich große Pakete an Amazon- und Tesla-Aktien mit entspreche­nder Bewertung.

Die Bewertung ist nur eine Hochrechnu­ng und kann sich täglich änder. Eines ändert sich aber nicht, solange Bezos und Musk ihre Aktien behalten: Bezos gehören 10,6 Prozent von Amazon, Musk 18 Prozent von Tesla. Ähnliches trifft auch auf Kleinanleg­er zu, nur dass deren Anteile entspreche­nd kleiner sind. Nicht immer bewertet der Markt das Miteigentu­m so hoch wie jetzt. Wer sich Aktien eines Unternehme­ns zulegt, von dessen Wert er überzeugt ist, erträgt es aber gelassen, wenn die Bewertung und der Preis schwanken.

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