Löst Investieren die Tugend des Sparens ab?
Online-Broker. Immer mehr wollen ihre Finanzen selbst in die Hand nehmen und greifen dafür auf Online-Broker zurück. Noch nie war es so einfach, in Aktien zu investieren. Auch die geringen Gebühren lassen Privatanleger frohlocken.
Wien. Über 100 Jahre ist es her, dass eine Pandemie durch Europa wütete. Fast genau so lang geben sich die Österreicher der Tugend des Sparens hin. Jahrzehntelang galt: Wer sein Geld in Sparprodukte steckt, wird dafür mit einem Zinsertrag belohnt, das Vermögen wächst. Dieser Mechanismus ist aber heute nicht mehr gegeben: Zur Stützung der Wirtschaft nach der Finanz- und Eurokrise hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen massiv gesenkt, seit 2016 liegen sie konstant bei null.
Dennoch wird hierzulande brav weiter gespart. Laut der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) wurden heuer fast zwölf Milliarden Euro mehr auf die hohe Kante gelegt, obwohl die Einkommen um rund fünf Milliarden Euro geschrumpft sind. Gewissermaßen war man dazu verdammt – konsumieren war nur eingeschränkt möglich –, aber auch das Bedürfnis nach finanzieller Absicherung steigt in unsicheren Zeiten.
Vom Sparer zum Investor
Dabei zeichnet sich ein Umdenken ab. Sparbuch, Bausparen und Prämienvorsorge verlieren an Bedeutung. „Irgendwann verlieren die Leute das Vertrauen, dass das funktionieren kann“, sagt Thomas Niss, Chef der Investment-App Own360, zur „Presse“. „Die Enttäuschung über das, was man dem durchschnittlichen Bürger angetan hat, wächst“, sagt Niss. Das Interesse an Wertpapieren und Fonds steigt. Dabei greifen Menschen inzwischen gern zu Online-Brokern. Sie bieten ihre Dienstleistung via Internet bzw. per Handy-App an. Während eine Bank eine Banklizenz besitzt, dürfen reine Broker keine Konten führen. Wer dort handeln möchte, muss ein Verrechnungskonto bei einer Partnerbank eröffnen. Es gibt auch gemischte Formen. So gibt es Broker, die auch
Bankgeschäfte anbieten.
„Das Anlagevolumen ist bei uns, vor allem im März und April 2020, sehr stark gestiegen. Das Kaufvolumen im März 2020 war mehr als das Fünffache im Vergleich zum durchschnittlichen monatlichen Volumen 2019“, so Niss.
Auch die Dadat Bank berichtet von gestiegenen Kunden- und Transaktionszahlen im Online-Brokerage. „Über unsere Handelsplattform werden inzwischen täglich bis zu über 5000 Transaktionen getätigt”, sagt Ernst Huber, Chef der Dadat Bank, zur „Presse“. „Die Österreicher öffnen sich im Vergleich zu anderen Ländern zwar mit Verspätung, aber nun doch eindeutig dem Trend zum Sparen und Investieren bei Direktbanken”, so Huber.
Auch der Chef der Hello Bank, Robert Ulm, berichtet der „Presse“, dass sich die Zahl der Neukunden im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt hat. „Wir sehen in diesem Ausnahmejahr generell einen massiven Anstieg der Zahl an Transaktionen – gegenüber dem Vorjahr um rund 80 Prozent“, sagt Ulm. „Zum einen wollen Kunden von der aktuellen Volatilität – und den niedrigen Einstiegskursen – an den Börsen profitieren. Zum anderen bemerken wir, dass die Menschen die Zeit des Lockdowns auch dazu nutzen, sich aktiv mit ihrer finanziellen Zukunft zu beschäftigen.“
Viele Online-Broker bieten gratis Webinare an. Auch auf der Video-Plattform YouTube werden Inhalte zu Finanzen beliebter. Laut einer Comdirect-Studie schaut ein Fünftel junger Erwachsener im Alter zwischen 16 und 25 Jahren YouTube, um sich über Geldanlagen zu informieren. Hier muss man zur Vorsicht rufen. Die Ratschläge sind oft nicht unabhängig oder werden nicht von zertifizierten Experten gegeben.
Preisdruck in der Beratungsbranche
Passiv verwaltete Vermögensberater dürften aktiven Managern Kopfschmerzen bereiten. Sie drücken die Gebühren und konsolidieren den Sektor. Laut dem Analysehaus Morningstar verzeichneten passive Portfolios bei den billigsten 25 Prozent der Fonds in Europa heuer bis Oktober Zuflüsse in Höhe von 10,1 Milliarden Euro. Aus aktiven Fonds dagegen wurden zwei Milliarden Euro abgezogen. Die Entgelte in Europa hätten im Schnitt laut Morningstar ein Rekordtief erreicht. Und mehr als die Hälfte der Vermögensverwalter plant laut einer Umfrage von Brown Brothers Harriman, die Gebühren 2021 zu reduzieren. Das dürfte dem Trend zum Investieren wohl nicht schaden.