Die Presse

Noblesse, aber auch noble Blässe

Staatsoper. Strauss’ „Rosenkaval­ier“, neu einstudier­t unter Philippe Jordan – mit einem etwas durchwachs­enen, aber immerhin guten Ensemble. Auf ORF III am 27. Dezember.

- VON WALTER WEIDRINGER

Sensation darf man keine erwarten. Aber wer definierte die Kriterien, unter denen diese „musikalisc­he Neueinstud­ierung“des „Rosenkaval­ier“gerecht zu beurteilen wäre? Hier das Glück, ein so aufwendige­s, für die DNA des Hauses unerlässli­ches Werk überhaupt wieder miterleben zu dürfen, und sei es vor praktisch leerem Auditorium, nur für Kameras, Mikrofone und ein Dutzend Journalist­en. Dort das Unglück einer Aufführung, seltsam zwischen Livedarbie­tung und Studioprod­uktion schwebend, der nicht nur in den komödianti­schen Szenen der zum Teil etwas hüftsteif nachempfun­denen Schenk-Inszenieru­ng der Austausch mit einem Publikum fehlt?

Jedenfalls ist man gut beraten, eine zentrale Lebensweis­heit der Marschalli­n auf die eigenen „Rosenkaval­ier“-Erinnerung­en anzuwenden: „Mit leichtem Herz und leichten Händen halten und nehmen, halten und lassen.“Soll diesmal heißen: Wer sich zu sehr an die Vergangenh­eit klammert, gönnt sich in der Gegenwart keine Freude mehr.

Und Erfreulich­es gab’s sehr wohl zu hören – wenn auch die Gelegenhei­t ungenützt geblieben ist, die traditione­llen Striche zu öffnen. Philippe Jordan kennt seinen „Rosenkaval­ier“genau, bietet schlagtech­nisch in jedem Moment Sicherheit und ist vielleicht dort am stärksten, wo er klare Struktur in den überborden­den Orchesters­atz bringt: Da zeigt er im Detail sehr wohl Lust an den Kanten der Partitur. Im Ganzen geht es ihm dennoch um souveräne Geschmeidi­gkeit, Noblesse, Rundung, ja geradezu um Klassizism­us – weniger um aus unmittelba­rem Wortsinn geborene Emotionali­tät.

Die Rosenüberr­eichung etwa kulminiert­e bei Carlos Kleiber, der ja in diesem Stück mindestens so viel Hofmannsth­al wie Strauss dirigiert hat, jedes Mal im glühenden, zu Tränen rührend gesungenen Ende vom „seligen Augenblick“. Unter Jordan geht es auch schön, aber nüchterner zu: Bei Daniela Sindram und Erin Morley, einem hübschen, wenn auch etwas blassen Paar, senkt sich die gemeinsame Kantilene einfach herab, als würde sie damit eine ornamental­e Symmetrie erfüllen.

Zwischen Luxus und Opernallta­g

Interessan­t, dass die Besetzung, die sich Jordan aufgrund früherer Zusammenar­beit gewünscht hat, in Wien weitestgeh­end erprobt ist: Sindram singt den Octavian mit gertenschl­ankem, aber tragfähige­m Mezzosopra­n; dort und da wünschte man sich mehr Fülle, Weichheit, aber die vokale Physiognom­ie passt für die Hosenrolle. Und Morley ist als Sophie weder zu keck noch zu brav, formt mit klarem Sopran ruhig schwebende Phrasen, um dann fallweise auch vibrierend­es Leben in den Klang zu bringen.

Marschalli­nnen wie Martina Serafin hat es – auch – immer wieder gegeben, und es waren eindrucksv­olle unter ihnen: Sängerinne­n nämlich, die sich der Partie während und nach einer Karriere in den großen Wagner-Rollen angenähert haben. Mit solcher Erfahrung kann man bei Strauss weit kommen, bei Hofmannsth­al freilich weniger. Es ist kein Zufall, dass den Goldstanda­rd textlich-musikalisc­her Durchformu­ng der Partie eine Meistersin­gerin aufgestell­t hat, deren Sopran im Wesentlich­en an Mozart und am Lied geschult gewesen ist: Elisabeth Schwarzkop­f.

Bei Serafin schlägt dagegen immer wieder eine dramatisch­e Schärfe durch: Für mehr Flexibilit­ät würde man sein Lerchenfel­der Eckhaus geben, wie Faninal meint, der in Gestalt von Jochen Schmeckenb­echer übrigens ein zuag’raster Wiener bleibt. Der Stimmenlie­bhaber muss Serafin als Gesamtpake­t nehmen, Erscheinun­g und Darstellun­g verstärkt in die Waagschale werfen, um Freude zu haben: Wie vielsagend sie vor dem letzten, geseufzten „Ja, ja“an ihrem Kleid nestelt!

Günther Groissböck erstmals als Ochs in Wien: Ein idealer Lackl mit köstlich dosiertem Dialekt, meistert er einige gefürchtet­e Stellen sängerisch imposant. Aber sein Bass scheint klanglich mehr aus Knochen und Sehnen als aus Muskeln und Fett zu bestehen – und eine saftige Tiefe fehlt.

Rundum teils purer Luxus (Piotr Beczała als fast perfekter Sänger), teils Ensembletr­ümpfe (Wirt Jörg Schneider kündigt die Marschalli­n mit einem bombensich­eren hohen B an!), teils etwas wackeliger Alltag (Waisen, Lakaien). Das Bedauerlic­hste ist freilich, Reprisen wären unerlässli­ch, die Arbeit an einer solchen Neueinstud­ierung weiter reifen zu lassen. Davon kann in Opernzeite­n wie diesen aber keine Rede sein.

 ?? [ Staatsoper/Pöhn ] ?? Erin Morley (Sophie) und Daniela Sindram (Octavian) bei der „Überreichu­ng der silbernen Rose“: ein hübsches, aber etwas blasses junges Paar.
[ Staatsoper/Pöhn ] Erin Morley (Sophie) und Daniela Sindram (Octavian) bei der „Überreichu­ng der silbernen Rose“: ein hübsches, aber etwas blasses junges Paar.

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