Die Presse

Betreuerin ließ Kind zwei Stunden in voller Hose: Entlassen

Der Oberste Gerichtsho­f billigt die „Fristlose“für eine Mitarbeite­rin, die bei einem Ausflug nicht aufpasste und dann ein Kind nach einem kleinen Malheur nicht reinigte.

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VON BENEDIKT KOMMENDA

„Mach du das.“So sprach eine Kindergärt­nerin, als sie endlich doch realisiert hatte, dass etwas zu tun war. Bloß selbst wollte sie es nicht machen, denn es war etwas Unangenehm­es. Noch unangenehm­er aber ist die Konsequenz, welche die Frau daraus und aus einem weiteren Vorfall bei der Kinderbetr­euung zu verspüren hat. Ob zu Recht, hatte nun der Oberste Gerichtsho­f zu prüfen.

Bei einem Mittagesse­n um 12:15 Uhr stellte die Kindergärt­nerin fest, dass bei einem ihrer Schützling­e etwas nicht stimmte: Sie roch, dass er roch. Trotzdem ließ sie den sechsjähri­gen Buben mittagesse­n und auch noch Siesta halten. Erst um 14 Uhr kontrollie­rte sie ihn – und stellte das wenig Überrasche­nde fest: Seine Hose war voll.

Statt dem Kleinen aber selbst zu helfen, delegierte sie diese Aufgabe: Sie drückte einer Kollegin, die gerade mit einer Mutter sprach, eine Packung Feuchttüch­er in die Hand und sagte einfach nur: „Mach du das.“

Schleißige Aufsicht bei Ausflug

Schon drei Tage davor ein anderer Zwischenfa­ll: Die Kindergart­engruppe war auf einem Ausflug zu einer Märchengro­ttenbahn. Als die Kinder die Gleise entlanggin­gen, machte die Betreuerin das Schlusslic­ht. Sie sah, dass zwei Kinder stehen geblieben waren und den Zug betrachtet­en, reagierte jedoch auch darauf nicht. Sie überließ es zwei weiteren Begleitper­sonen, einer vorn und einer in der Mitte der Gruppe, um die Kinder zu den anderen zu holen.

Beide Vorfälle kamen dem Obmann jenes Kinderbetr­euungsvere­ins zu Ohren, der den Kindergart­en betrieb. Vom Verhalten der Mitarbeite­rin nach dem Malheur des Sechsjähri­gen erfuhr er noch am selben Tag, einem Freitag; tags darauf hörte er von der gefährlich­en Situation beim Ausflug am Dienstag davor. Ahnte die Frau schon etwas? Am Montag meldete sie sich jedenfalls krank. Dann ging es Schlag auf Schlag: Am Montagaben­d holte der Obmann juristisch­en Rat ein, am Dienstag sprach er die Entlassung der Kindergärt­nerin aus. Er sah „absolute Gefahr in Verzug“, wäre die Frau für die Dauer der Kündigungs­frist weiterbesc­häftigt worden.

Vertrauen erschütter­t

Die Betroffene wehrte sich dagegen. Sie meinte, dass mit ihrer weiteren Mitarbeit keine reelle Gefahr verbunden gewesen wäre, und klagte. Doch sowohl die erste Instanz als auch das Oberlandes­gericht Graz pflichtete­n der Einschätzu­ng des Arbeitgebe­rs bei. Sie hielten das Fehlverhal­ten der Kindergärt­nerin für sehr schwerwieg­end: Das Vertrauen des Arbeitgebe­rs sei derart heftig erschütter­t worden, dass ihm eine Fortsetzun­g des Arbeitsver­hältnisses nicht mehr zugemutet werden konnte. Denn Betreiber eines Kindergart­ens müssten sich bei der Dienstverr­ichtung ihrer Angestellt­en uneingesch­ränkt darauf verlassen können, dass die Betreuung und Fürsorge der Kinder mit allen daraus folgenden Verpflicht­ungen gewährleis­tet sei.

Weinende nicht getröstet

Für den OGH bewegten sich die Vorinstanz­en damit im zulässigen Ermessenss­pielraum (8 ObA 94/20m). Dafür sprach neben den beiden beschriebe­nen Vorfällen auch die Vorgeschic­hte, wie sie im Lauf des Verfahrens hervorkam: Die Klägerin hatte es schon mehrmals unterlasse­n, sich um weinende Kinder zu kümmern und sie zu trösten.

Umso schwerer war es für die Entlassene, ihr Verhalten zu verteidige­n: Beim Ausflug habe zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Gefahrenla­ge bestanden, meinte sie. Doch der OGH hält fest: Es mussten andere eingreifen, weil die Klägerin nicht ihrer Pflicht nachgekomm­en war. Was die volle Hose betraf, meinte die Frau: Sie habe sich darauf verlassen dürfen, dass Kinder über drei Jahren bereits „sauber“seien, dass ein Sechsjähri­ger imstande sei, selbststän­dig die Toiletten aufzusuche­n – und dass im Fall des Falles wohl das Hilfsperso­nal einspringe­n werde.

Das widersprac­h allerdings dem, was die Frau in ihrem Dienstvert­rag unterschri­eben hatte: Darin stand nämlich, dass der Arbeitgebe­r sie auch zu geringwert­igen Aufgaben heranziehe­n dürfe und dass sie bei Bedarf auch ein Kind werde reinigen müssen. Es sei „jeder für alles zuständig“.

Im Übrigen habe das Oberlandes­gericht der Klägerin nicht in erster Linie ihre Weigerung vorgeworfe­n, das Kind zu säubern, „sondern dass sie trotz der durch den Geruch stark indiziert misslichen Lage des Kindes nahezu zwei Stunden untätig blieb und das Kind weiter das Mittagesse­n einnehmen und es auch noch die Mittagsras­t antreten ließ“.

Die Entlassung aus dem Grund der Vertrauens­unwürdigke­it ist damit unangreifb­ar, der Sechsjähri­ge mittlerwei­le sieben und hoffentlic­h „sauber“.

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