Vier Augen prüfen mehr als zwei
Joint Audit. Die arbeitsteilige Befassung von zwei Gesellschaften zugleich ist ein Instrument zur Steigerung von Wettbewerb und der Qualität der Abschlussprüfung. – Ein Gastkommentar.
Jahresabschlüsse österreichischer Kapitalgesellschaften, die aufgrund des Überschreitens bestimmter Größenmerkmale nicht als „klein“gelten, sind jährlich von einem Wirtschaftsprüfer einer Abschlussprüfung zu unterziehen.
Von den Ende 2019 von der Abschlussprüfer-Aufsichtsbehörde registrierten 334 Prüfungsgesellschaften und 62 natürlichen Personen mit aufrechter Bescheinigung zur Durchführung von Abschlussprüfungen waren 14 mit der Prüfung von Jahresabschlüssen von Unternehmen von öffentlichem Interesse (Public Interest Entities, d. h. börsennotierte Unternehmen, Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen) betraut.
Das Prüfer-Netzwerk mit dem größten Marktanteil bei diesen Abschlussprüfungen wickelt 42% aller Abschlussprüfungen ab, insgesamt decken die „Big-Four“der Branche (das sind die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Deloitte, EY, KPMG und PricewaterhouseCoopers) 86% der Prüfungen bei börsenotierten Unternehmen und 80% der Abschlussprüfungen aller Unternehmen von öffentlichem Interesse ab.
Eine ähnliche Konzentration zeigt sich in den meisten europäischen Ländern. Laut einer Studie der Competition and Markets Authority (CMA) aus 2019 werden beispielsweise 97% der Jahresabschlüsse der Unternehmen des britischen FTSE-350-Index von einer Big-Four-Gesellschaft geprüft.
Um Interessenkonflikte zu vermeiden, sind Wirtschaftsprüfer von der Abschlussprüfung unter anderem dann ausgeschlossen, wenn sie während des Geschäftsjahres in die Führung der Bücher, die Aufstellung des Jahresabschlusses oder Erbringung von Bewertungsleistungen involviert waren.
Bei Unternehmen von öffentlichem Interesse reichen diese Vorschriften noch weiter; das beeinträchtigt insofern den Wettbewerb, als Big-Four Gesellschaften bei diesen Unternehmen häufig als Steuerberater tätig sind. Also entfallen sie als Abschlussprüfer.
Eng begrenzte Auswahl
Beim Wechsel des Wirtschaftsprüfers kommt es daher vor, dass nur zwei oder drei Gesellschaften als Abschlussprüfer tatsächlich in Betracht kommen. Die CMA hält deshalb zumindest fünf bis sieben Prüfungsgesellschaften für notwendig, die Abschlussprüfungen bei Unternehmen von öffentlichem Interesse durchführen.
Eine größere Vielfalt in diesem Marktsegment war ein zentrales Ziel der EU-Richtlinie zur Abschlussprüferreform, welche 2016 in Kraft getreten ist. Ein wichtiger Aspekt war dabei die obligatorische Rotation der Abschlussprüfer nach zehn, spätestens aber nach 20 Jahren. Obwohl die Reform ein Schritt in die richtige Richtung war, wurde die Wirkung auf die Diversität des Prüfermarkts bisher verfehlt. Insbesondere müssen die Hürden für den Eintritt in den Prüfermarkt für Unternehmen von öffentlichem Interesse gesenkt werden.
Eine bewährte Möglichkeit, um Marktvielfalt zu schaffen, sind Joint Audits. Dabei werden zwei Abschlussprüfer bestellt, die die Abschlussprüfung gemeinsam planen, die Prüfungsgebiete aufteilen, eine gegenseitige Qualitätsprüfung durchführen und einen gemeinsamen Prüfungsbericht erstellen.
Ein Blick auf den französischen Abschlussprüfermarkt zeigt, dass das Joint-Audit-Konzept funktioniert und die Diversität des Markts erhöht. Frankreich hat Joint Audits bereits vor 50 Jahren verpflichtend für börsennotierte Unternehmen eingeführt mit der Folge, dass bei mehr als 50% der Abschlussprüfungen der 100 größten Unternehmen des Landes Nicht-Big-FourGesellschaften eingebunden sind.
Zugleich erhöht sich die Qualität der Prüfung sowie die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer aufgrund der gemeinsamen Verantwortung für die Durchführung der Prüfung und des damit einhergehenden Vier-Augen-Prinzips. Manche Bilanzskandale der vergangenen Monate und Jahre hätten durch diese Kontrolle möglicherweise verhindert werden können.
Die asynchrone Ernennung von Wirtschaftsprüfern im Rahmen eines Joint Audits ermöglicht außerdem, den obligatorischen Transfer der Abschlussprüfung nach zehn bzw. 20 Jahren auf einen neuen Prüfer ohne Risiko eines Wissensverlusts durchzuführen.
Als häufiges Argument gegen Joint Audits werden steigende Kosten genannt. Tatsächlich wird dabei aber nicht dieselbe Prüfung zweimal durchgeführt, sondern es teilen sich zwei Prüfungsunternehmen die Prüfungsaktivitäten und einigen sich auf ein gemeinsames Prüfungsurteil. Die Erfahrungen in Frankreich zeigen auch, dass Prüfungshonorare trotz Joint Audit nicht höher sind als in anderen Ländern. Sie fielen bei vergleichbaren Unternehmen in Frankreich sogar geringfügig niedriger aus als in Großbritannien.
Reduzierter Wettbewerb
Der Abschlussprüfermarkt hat sich zunehmend konsolidiert. Konkurrierten Ende der 1990er noch die Big-Six, sind es heute die Big-Four, welche sich in Beratung und Prüfung den Markt teilen. Wenn sich diese Konsolidierung fortsetzt oder – wie zuletzt 2001 Arthur Andersen – einer der Großen ausscheidet, ist ein Wettbewerb im Abschlussprüfermarkt aufgrund beschriebener Unabhängigkeitsvorschriften zwischen Jahresabschlusserstellung, Beratung und Prüfung faktisch ausgeschlossen.
Das Instrument Joint Audit ermöglicht weiteren Prüfungsgesellschaften den Eintritt in den Prüfermarkt für Unternehmen von öffentlichem Interesse. Die Chance zur Sicherung der Diversität und des Wettbewerbs sollten Prüfungsausschüsse in den Aufsichtsräten von Public Interest Entities in ihren Entscheidungen zukünftig berücksichtigen.