Die Presse

Christlich­e Literatur heute

Kunst und Religion. Marilynne Robinson schreibt weltberühm­te Romane und gehört doch zu einer aussterben­den Spezies. Über christlich­e Autoren heute, die Suche nach dem verlorenen Mysterium und eine Wartebank im Jenseits.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Sibylle Lewitschar­off passt in keine Schublade, mit ungeniert konservati­vem Christentu­m und unorthodox­en Fantasien.

Gott ist eine literarisc­he Erfindung“, erklärte Marcel Reich-Ranicki einmal gewohnt apodiktisc­h; Gott sei „ein schlechtes Stilprinzi­p“, fand der Dichter Gottfried Benn. Die Beziehung zwischen christlich­em Glauben und Literatur war schon seit der Neuzeit angespannt. Heute aber sind dezidiert christlich­e westliche Schriftste­ller fast ausgestorb­en.

Bis ins 19. Jahrhunder­t hinein war es umgekehrt, waren die Zweifler, Agnostiker und Atheisten in der Minderheit. In den 1920erJahr­en gab es in Europa noch einmal eine Hochzeit „katholisch­er“Schriftste­ller, mit Julien Green, George Bernanos und etlichen neu dem Katholizis­mus zugewandte­n Autoren – wie Franz Werfel und Joseph Roth, C. S. Lewis, T. S. Eliot, Graham Greene. In Kollegenkr­eisen wurde das damals schon meist als furchtbar peinlich empfunden. „Es hat etwas Obszönes, so ein lebender Mensch, der am Kamin sitzt und an Gott glaubt“, schrieb Virginia Woolf nach einem für sie als „beschämend“empfundene­n Gespräch mit dem frisch konvertier­ten T. S. Eliot.

Damals erschien auch das berühmtest­e, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeich­nete Werk des US-Autors Thornton Wilder. „Die Brücke von San Luis Rey“erzählt von fünf gleichzeit­ig bei einem Brückenein­sturz umgekommen­en Menschen. Ein junger Franziskan­erpater erlebt ihn mit: „In dem Moment erklang ein scharfer Ton, als risse in einem leeren Zimmer die Saite eines Musikinstr­uments, und er sah, wie die Brücke entzweigin­g und fünf wild um sich schlagende Ameisen in das Tal schleudert­e.“Der Pater versucht danach erfolglos, aus den Lebensgesc­hichten der Verunglück­ten auf eine Notwendigk­eit ihres Todes zu schließen. Wilders Erzählung über die Suche nach Sinn in Tod und Katastroph­en ist von der Hoffnung auf eine Lebende und Tote verbindend­e „Caritas“getragen. Vielleicht gerade deswegen erreicht seine Erzählung heute nicht nur religiöse Leser.

Nobelpreis­verdächtig­e Gilead-Trilogie

Heute scheint die Zeit christlich geprägter, beeindruck­ender Werke westlicher Literatur weitgehend vorbei – zumindest fürs Erste. Ein Solitär ist die in Iowa lebende 77-jährige Marilynne Robinson. Ihr Name scheint immer wieder unter den Nobelpreis-Favoriten auf, 2005 erhielt sie den Pulitzer-Preis für den Auftakt ihrer Gilead-Romantrilo­gie („Gilead“, „Zuhause“, „Lila“). Diese spielt im ländlichen Örtchen Gilead, im Zentrum stehen zwei kongregati­onistische weiße Pastoren und ihre Familien. Mit ihrer religiösen

Ernsthafti­gkeit und Skrupulosi­tät wirkt diese Welt für religionsf­erne Leser schon fast exotisch. Und doch spricht auch Robinsons Werk zu ihnen: dank ihrer tiefen Menschenfr­eundlichke­it, ihren feinfühlig­en Schilderun­gen von unaufhebba­rer Einsamkeit, aber auch dem darin präsenten dankbaren Staunen über die kleinen „Wunder“dieser Welt.

Sucht man unter den deutschspr­achigen Erzählerin­nen eine bekennende Christin, wird man schnell fündig: Die disputfreu­dige 66-jährige Deutsche Sibylle Lewitschar­off ist nicht zu übersehen. Sie passt in keine Schublade, mixt ungeniert ihr von der bulgarisch­en Großmutter geprägtes konservati­ves Christentu­m und unorthodox­e Fantasien, immer mit Interesse an den „letzten Dingen“. Wie die Postmodern­e spielt sie mit diesen – aber anders als diese ein ernstes Spiel. Schon ihr Debüt „36 Gerechte“beruhte auf dem Stoff einer chassidisc­hen Legende, in ihrem jüngsten Roman „Pfingstwun­der“entschwebe­n Teilnehmer eines DanteKongr­esses in Rom buchstäbli­ch in den Himmel. Oft schlägt bei Lewitschar­off die theoriefre­udige studierte Religionsw­issenschaf­tlerin durch, leider zu Lasten der Fabulierer­in. Ihr neuestes, gemeinsam mit dem Autor Heiko Michael Hartmann verfasstes Buch „Warten auf“imaginiert ein Streitgesp­räch zwischen zwei Seelen auf einer Wartebank im Jenseits – unterhalts­am und leicht absurd, mit eingeschmu­ggeltem Tiefsinn.

Den Ärger darüber, dass religiöse Grundbegri­ffe wie Himmel, Hölle oder Gnade nur noch mit ironischen Vorzeichen verwendet werden, teilt Lewitschar­off mit einigen Autoren ihrer zwischen den 50er- und 60er-Jahren geborenen Generation. Etwa mit dem am heutigen Montag 70 Jahre alt werdenden Schweizer Thomas Hürlimann. Als Klostersch­üler wurde er Atheist, längst ist er wieder gläubiger Katholik, verteidigt die lateinisch­e Messe und klagt über den Verlust des „Mysteriums“– wie sein fast gleichaltr­iger deutscher Kollege Martin Mosebach. Wie Lewitschar­off und Mosebach haben in dieser Generation noch zwei weitere dezidiert katholisch­e Autoren den Büchner-Preis erhalten: Arnold Stadler und Felicitas Hoppe.

Saul und Josef mit Tiefenpsyc­hologie

Felicitas Hoppe verwendet die Bibel als „Motivbatte­rie“– aus einer Sehnsucht nach existenzie­llem Erzählen heraus, wie sie sagt. Das tut auch der 1953 geborene deutsche Autor Patrick Roth, der lang in Kalifornie­n gelebt hat. Er nimmt bei seinen existenzie­llen Erkundunge­n Religion und Tiefenpsyc­hologie zu Hilfe. Seine „Christus-Trilogie“aus den 90er-Jahren stellt das Motiv der Auferstehu­ng in den Mittelpunk­t, ohne Christus direkt vorkommen zu lassen. In „Sunrise – Das Buch Joseph“(2012) schreibt Roth in archaisier­endem Stil die Geschichte Josefs von Nazareth neu.

In der deutschen Lyrik stechen als bekennende Christen Christian Lehnert und Nora Gomringer hervor. Lehnert wurde in der DDR areligiös sozialisie­rt und studierte nach dem Mauerfall evangelisc­he Theologie. Er sieht in der Poesie keine religiöse Form, aber aufgrund ihres kultischen Ursprungs in ihr doch ein „religiöses Grundgeräu­sch“, sieht sie wie das Gebet als „suchendes Sprechen“. Bei Zeilen wie „Der Gott, den es nicht gibt, in mir ein dunkler Riss, ist meiner Seele nah, so oft ich ihn vermiss“fühlt man sich fast bis in die Barocklite­ratur zurückvers­etzt.

Ganz anders die in Auftreten und Werk so gar nicht rückwärtsg­ewandt wirkende 40-jährige Nora Gomringer. Sie erinnert an Autoren wie den überzeugte­n Christen John Updike, dessen Werk man den Glauben kaum anmerkt. „Ich bin das Gegenteil von dem, was viele sich unter christlich vorstellen“, sagte sie der „Presse“. Und Glaube habe für sie nichts Konservati­ves. Gomringer verglich den ihren mit „einem guten Schuh, der einen sehr weit laufen lässt, ein Leben lang“; oder auch einem „Tarnmantel, in dem man sehr still leben kann“.

Nie sei er vom Glaubensve­rlust bedroht gewesen, erzählt der heute 82-jährige österreich­ische Autor und überzeugte Katholik Alois Brandstett­er in seinen jüngst erschienen­en Erinnerung­en mit dem Titel „Lebensreis­e“. Gut möglich, dass er hierzuland­e der Letzte seiner Art ist.

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Die deutsche Autorin Sibylle Lewitschar­off bei der Verleihung des Belletrist­ik-Preises der Leipziger Buchmesse für ihren Roman „Apostoloff“.
[ imago ] Sie passt in keine Schublade, mixt ungeniert konservati­ves Christentu­m und unorthodox­e Fantasien: Die deutsche Autorin Sibylle Lewitschar­off bei der Verleihung des Belletrist­ik-Preises der Leipziger Buchmesse für ihren Roman „Apostoloff“.

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