Probelauf für Impfanreiz
Aus epidemiologischer Sicht sind Massentests drei Wochen nach Weihnachten nicht besonders sinnvoll. Einen Erkenntnisgewinn wird es dennoch geben.
Der Strategie des Freitestens eine Woche vor dem Ende des dritten harten Lockdowns liegt eine fundamentale Fehleinschätzung zugrunde – oder aber sie ist nur ein Probelauf für möglicherweise erforderliche Anreize zur Erhöhung der Impfbereitschaft, die allen aktuellen Umfragen zufolge unter 50 Prozent liegt und dazu führen könnte, dass die Pandemie länger dauert als notwendig.
Auf die Ankündigung von Fluggesellschaften und Urlaubsdestinationen, nur geimpfte Kunden bzw. Gäste zu akzeptieren, kann sich die Regierung jedenfalls nicht verlassen. Denn sollte sich in Europa eine geringe Durchimpfungsrate abzeichnen, werden es sich Airlines, Hotels und vom Tourismus abhängige Länder sehr genau überlegen, ob sie auf große Teile der Bevölkerung verzichten wollen.
Es dennoch darauf ankommen zu lassen und an Eigenverantwortung, Pflichtbewusstsein sowie Solidarität zu appellieren, wäre ein riskantes Unterfangen – weswegen bereits über unterschiedliche Modelle wie etwa Gutscheine nachgedacht wird, die gleichzeitig auch die Wirtschaft ankurbeln würden. Oder an die Fortsetzung der zehntägigen Heim-Quarantäne, in die sich Nicht-Geimpfte nach einem Auslandsurlaub begeben müssen.
Zurück zur (vermeintlichen) Fehleinschätzung: Bekanntermaßen dienen sämtliche Maßnahmen zur Kontaktreduktion dem Zweck, das Sprengen der Spitalskapazitäten zu verhindern. Zwar scheint die Lage derzeit im Griff zu sein, aber Superspreader-Events, die über Weihnachten programmiert sind, können zu einem erneuten starken Anstieg der Infektionen führen – mit der zeitverzögerten Folge einer Überlastung der Intensivstationen. Kanzler Sebastian Kurz selbst sagte am Freitag im ORF, es sei „weltfremd“zu glauben, dass am 24. und 25. Dezember auf Familienzusammenkünfte, wenn auch nur im kleinen Kreis, verzichtet wird.
Massentests würden ihre Wirkung also vor allem dann voll entfalten, wenn sie unmittelbar nach Weihnachten, also in den ersten Tagen des neuen Jahres stattfänden, um asymptomatische Infizierte zu ermitteln und zu isolieren – so, wie das ursprünglich auch geplant war. Drei Wochen später sind diese Personen längst erkrankt oder ihr Testergebnis ist nicht mehr positiv. So oder so wird der Schaden – angesichts Zehntausender zu erwartender Ansteckungen – bereits angerichtet sein. Internationale Erfahrungen zeigen, welche Auswirkungen Feiertage wie diese haben können. Zuletzt etwa in den USA, als die Infektionszahlen kurz nach dem Thanksgiving-Wochenende durch die Decke gegangen sind.
Warum die Tests dennoch erst rund um den 18. Jänner durchgeführt werden sollen? Die Regierung argumentiert damit, dass es inmitten eines harten Lockdowns, der ja beinahe einer Quarantäne gleichkommt, nicht zu sehr vielen Übertragungen kommen wird. Wie aber der zweite Lockdown in Österreich sowie zahlreiche andere in Ländern wie etwa der Slowakei gezeigt haben, ist das schlichtweg nicht der Fall.
Zum einen, weil sich die Bevölkerung nachgewiesenermaßen (etwa über die Mobilitätsdaten) bei Weitem nicht mehr so konsequent an die Vorgaben hält wie beim ersten Mal zwischen Mitte März und Ende April; und zum anderen, weil das Virus im Winter aus diversen und kaum beeinflussbaren Gründen deutlich stärker zirkuliert als in den anderen Jahreszeiten. Jene Gesundheitsexperten, die sich am Samstag in der Fachzeitschrift „The Lancet“für eine europaweite Strategie aussprachen, gehen sogar davon aus, dass im Jänner und Februar die Maßnahmen praktisch keinen Effekt auf die Infektionskurve haben werden.
Was im Hinblick auf die kommenden Monate nur eine seriöse Schlussfolgerung zulässt: Ein einigermaßen normaler Alltag mit durchgängig geöffneten Schulen, Restaurants, Cafes,´ Hotels, Fitnessstudios, Sporthallen, Kinos, Opern und Theatern wird erst wieder möglich sein, wenn die Temperaturen steigen und die Impfungen erste Wirkung zeitigen – realistischerweise also nach Ostern. Bis dahin dürften die Rollläden unten und die Straßen dunkel bleiben. Leuchten wird nur die Corona-Ampel. Und auch sie nur rot.