Die Presse

Schubhäftl­ing frei, weil kein Flug ging

Fremdenrec­ht. Flucht nach erfolglose­m Asylantrag, aber vor Schubhaft rechtferti­gt kein Einsperren länger als sechs Monate. Der Lockdown verhindert­e die Rückführun­g.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Höchstgeri­cht mahnt Maximaldau­er der Schubhaft ein.

Wien. Darf das Bundesverw­altungsger­icht die Schubhaft gegen abzuschieb­ende Ausländer über ein halbes Jahr hinaus verlängern, wenn die Rückführun­g am Ausfall von Flugverbin­dungen scheitert? Mit dieser Frage hatte sich der Verwaltung­sgerichtsh­ofs (VwGH) zu beschäftig­en, als es galt, eine erneute Fortsetzun­g der Schubhaft zu überprüfen. Das Ergebnis vorweg: Das EU-Recht verbietet eine solche Verlängeru­ng.

Sechs Jahre nach der Einreise eines Afghanen, der in Österreich Asyl beantragt hatte, ging es plötzlich Schlag auf Schlag: Nachdem das Bundesverw­altungsger­icht im Dezember 2019 seine Beschwerde gegen die Versagung von Asyl abgewiesen hatte, wollte das Bundesasyl­amt (BFA) den Afghanen am 4. Februar 2020 nach Afghanista­n ausfliegen lassen. In seinem Grundverso­rgungsquar­tier war er jedoch nicht anzutreffe­n, weil er dieses tags zuvor verlassen hatte.

Am 13. Februar versuchte der Mann, sich nach Deutschlan­d durchzusch­lagen. Grenzkontr­ollbeamte verhindert­en das jedoch und brachten ihn nach Österreich zurück. Er wurde festgenomm­en und am 14. Februar in Schubhaft überstellt. Darin suchte er nochmals um Asyl an. Dennoch durfte das BFA den „faktischen Abschiebes­chutz“aufheben, bestätigte das

Bundesverw­altungsger­icht am 10. März. Am nächsten Tag erhielt der Mann ein Heimreisez­ertifikat als Behelfsrei­sedokument. Der Abflug war für 16. März geplant. Das war zufällig genau der Tag, an dem der erste Corona-Lockdown in Österreich begann.

Zweiter Asylantrag abgewiesen

Der Flug fand deshalb nicht statt. Fünf Mal verlängert­e das Bundesverw­altungsger­icht dann die Schubhaft, zuletzt am 21. September. Mittlerwei­le war nicht nur der zweite Asylantrag abgewiesen worden; es waren auch schon sieben Monate seit dem Beginn der Schubhaft vergangen. Und damit jener Zeitraum, den diese Form der Anhaltung grundsätzl­ich nicht überschrei­ten darf.

Das Bundesverw­altungsger­icht hielt die Verlängeru­ng trotzdem für gerechtfer­tigt. Denn das Fremdenpol­izeigesetz verlängert die Maximalfri­st auf 18 Monate, wenn ein Fremder bereits einmal untergetau­cht ist und sich so der Flucht entzogen hat. Überdies sei die Überschrei­tung der Frist darauf zurückzufü­hren, dass es wegen der Covid-19-Pandemie nach wie vor zu Verzögerun­gen im Flugverkeh­r gekommen sei. Ein Ende der Schubhaft sei abzusehen, die Abschiebun­g für November geplant.

Das wollte Rechtsanwä­ltin Julia Ecker als Vertreteri­n des Afghanen nicht gelten lassen: Lege man die gesetzlich­e Haftverlän­gerung so aus, dass sie auch dem EURecht entspreche, dürfe diese auf ihren Mandanten nicht angewendet werden, argumentie­rte Ecker.

Die Rückführun­gsrichtlin­ie (2008/115/EG) kennt zwei Gründe, warum die Schubhaft länger als ein halbes Jahr dauern darf. Der eine davon – Verzögerun­gen bei der Übermittlu­ng der erforderli­chen Unterlagen durch Drittstaat­en – schied im Fall des Afghanen von vornherein aus. Aber auch der zweite Grund, nämlich mangelnde Kooperatio­nsbereitsc­haft des Betroffene­n, war nicht anwendbar.

Kooperatio­n nicht verweigert

Das folgt aus einer Entscheidu­ng des EU-Gerichtsho­fs. Nach dessen Urteil Mahdi (C-146/14) hat die Behörde nur zu prüfen, ob der Drittstaat­sangehörig­e hinsichtli­ch der Durchführu­ng der Abschiebun­g nicht mit den staatliche­n Stellen zusammenar­beite und ob die Abschiebun­g wegen dieses Verhaltens wahrschein­lich länger dauern wird. „Wenn die Abschiebun­g des Betroffene­n aus einem anderen Grund länger als vorgesehen dauern wird oder gedauert hat, kann kein Kausalzusa­mmenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaat­sangehörig­en und der Dauer der Abschiebun­g und damit keine mangelnde Kooperatio­nsbereitsc­haft des Betreffend­en festgestel­lt werden“, führte der EuGH aus.

Diesen Gedanken griff der VwGH auf: „Im vorliegend­en Fall scheiterte die für 16. März 2020 geplante Abschiebun­g des Revisionsw­erbers gemäß den Feststellu­ngen des Bundesverw­altungsger­ichts ,auf Grund der Covid-19-Pandemie‘, und es ist auch die bisherige Dauer der Schubhaft auf die mit der Covid-19-Pandemie verbundene vorübergeh­ende Verzögerun­g bei der Durchführu­ng der geplanten Abschiebun­g auf dem Luftweg zurückzufü­hren“(Ra 2020/21/0404). Die Abschiebun­g sei daher nur mehr an Gründen gescheiter­t, die nicht dem Afghanen anzulasten waren. „Dass sich der Revisionsw­erber der für 4. Februar 2020 geplanten Abschiebun­g und danach bis 14. Februar 2020 dem Zugriff der Behörde entzogen hatte, war für die längere Dauer der gegenständ­lichen Schubhaft jedoch nicht kausal“, so der VwGH.

Die Anhaltung des Mannes in Schubhaft über sechs Monate hinaus war damit rechtswidr­ig; ihr Mandant habe nun Aussicht auf eine Schubhafte­nschädigun­g, sagt Ecker. Der Mann wurde kurz vor der Entscheidu­ng des VwGH enthaftet. Diese macht seinen Aufenthalt in Österreich aber noch nicht rechtmäßig. Mit einem aktuellen Heimreisez­ertifikat könnte er abgeschobe­n – und sicherheit­shalber wohl auch zuvor einige Stunden festgenomm­en – werden. Wenn ein Flug nach Afghanista­n geht.

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