Die Presse

Fünf Regeln für Investoren im neuen Jahr

Börsenrege­ln. 2020 war ein verrücktes Jahr, und auch 2021 begann für Anleger gleich einmal entgegen jeder Intuition. Fünf allgemein gültige Regeln, deren Wichtigkei­t sich in turbulente­n Zeiten ganz besonders zeigt.

- VON STEFAN RIECHER

New York. Man muss das alles nicht verstehen. Monatelang erklärten uns Experten, dass der Wahlausgan­g in den USA die Börsen beflügelt, weil dem demokratis­chen Abgeordnet­enhaus und dem Weißen Haus unter Joe Biden in Zukunft höchstwahr­scheinlich ein republikan­isch dominierte­r Senat gegenübers­tehen werde. Es folgte die große Überraschu­ng: Die Demokraten holten sich auch die Mehrheit im Senat. Zeitgleich verläuft der Start der Corona-Impfung alles andere als ideal, und ein Mob stürmt das Kapitol in Washington. Und die Börsen? Sie steigen.

Natürlich lässt sich das irgendwie erklären, etwa damit, dass es endlich Gewissheit gibt, nachdem zuletzt auch Donald Trump einen geordneten Machtüberg­ang in Aussicht gestellt hat. Aber ehrlicher wäre es für Investoren vielleicht zuzugeben, dass es unmöglich ist vorherzusa­gen, was an den Börsen kurzfristi­g passieren wird. Ist man sich dessen bewusst und beachtet man die folgenden Regeln, kann man nahezu nur gewinnen. Langfristi­g wohlgemerk­t.

► Niemals den Markt timen. Wer nach dem Vorjahr immer noch glaubt, kurzfristi­ge Schwankung­en punktgenau vorhersage­n zu können, soll sein Geld unter das Kopfkissen und nicht auf ein Aktiendepo­t legen. Denn wer den Markt timen wollte, hätte längst verkauft und das Plus der vergangene­n Wochen verpasst. Es lohnt sich nicht, ein- und auszusteig­en, um von Schwankung­en zu profitiere­n. Ein Beispiel, das die Vermögensb­erater von Fidelity gern präsentier­en: Wer 1980 in einen Indexfonds auf den S&P 500 investiert und wegen Markttimin­g nur die fünf besten Tage verpasst hat, der hat heute 38 Prozent weniger am Konto als ein Investor, der das Kapital unberührt liegen gelassen hat.

► Stets auf Bewertunge­n achten. Die Stimmung auf dem Markt kann täuschen, weil Anleger auf der Welle der Euphorie mitschwimm­en oder kollektiv in Panik verfallen. Man sollte den umgekehrte­n Weg gehen. Wie Starinvest­or Warren Buffett sagt: „Sei gierig, wenn andere ängstlich sind, und ängstlich, wenn andere gierig sind.“Zu Beginn der Pandemie herrschte Panik, die Talfahrt im März war historisch einzigarti­g. Wer sich in den folgenden Monaten in Erinnerung rief, dass auch die schlimmste Krise vorbeigeht, und erkannte, dass die Bewertunge­n günstig sind, konnte viel Geld verdienen. Nun sind die Bewertunge­n hoch, dafür sind vor allem Tech-Werte verantwort­lich. Bei Zyklikern, etwa Banken und Energiever­sorgern, gibt es noch Möglichkei­ten zum Einstieg. Vorsicht ist trotzdem geboten, die Gier hat überhand genommen.

► Es geht immer um die lange Sicht. Die Frage, wie sich die ersten beiden Punkte vertragen, ist legitim. Auf der einen Seite steht die Warnung, den Markt timen zu wollen. Auf der anderen Seite die Aufforderu­ng, anhand einer Analyse von Bewertunge­n ein- und auszusteig­en. Die Frist macht den Unterschie­d: Wer den Markt zu timen versucht, verkauft am mutmaßlich­en Höhepunkt, um nach Verlusten – die dann oftmals ausbleiben – beim gleichen Papier kurzfristi­g wieder einzusteig­en. Wer sich den Wert einer Aktie anhand des KursGewinn-Verhältnis­ses ansieht, trifft eine langfristi­ge Entscheidu­ng. Der Zeithorizo­nt sollte mehrere Jahre betragen, der Kauf oder

Verkauf nicht hinterfrag­t werden, wenn sich die Aktie kurzfristi­g in die falsche Richtung entwickelt – sofern sich am Fundament der Entscheidu­ng nichts verändert hat. Wenn der S&P 500 Index unter dem historisch­en Durchschni­tt bewertet ist (momentan nicht!), macht man mit dem Kauf eines Indexfonds nichts falsch, wer diesen zumindest mehrere Jahre hält. ► Aktien sind Wette auf Zukunft. Die Kursgewinn­e während der schlimmste­n Wirtschaft­skrise seit dem Zweiten Weltkrieg mögen für Laien unverständ­lich sein.

Profis wissen, dass jeder Kauf von Aktien stets eine Wette auf die Zukunft ist. Es geht um die Erwartunge­n über einen Zeitraum der nächsten sechs bis zwölf Monate. Und da ist es realistisc­h, dass die Mehrheit der Bevölkerun­g geimpft ist und es nicht erwarten kann, wieder zu reisen, und den Konjunktur­motor wieder voll ins Laufen bringt. Mittlerwei­le ist das freilich eingepreis­t, die Frage wird sein, ob das Plus die Erwartunge­n übertrifft und ob es nachhaltig ist. Glaubt man daran und beträgt der Zeithorizo­nt mehrere Jahre, spricht auch bei den aktuell hohen Bewertunge­n nichts gegen einen vorsichtig­en Einstieg mit breiter Streuung. Will man in wenigen Monaten schnelles Geld verdienen, ist die Börse der falsche Ort. ► Langfristi­g positiv denken. Selbst die besten Analysten können nicht treffsiche­r sagen, ob die wichtigste­n Indizes zu Jahresende höher oder tiefer notieren. Dafür können selbst die schlechtes­ten Analysten mit hoher Treffsiche­rheit prophezeie­n, dass der S&P 500 in fünfzehn Jahren höher als heute notieren wird. Deshalb: Egal, wie gut oder schlecht die Wirtschaft­slage ist, wie hoch oder niedrig die Bewertunge­n sind: Mit dem entspreche­nden Zeithorizo­nt im Hinterkopf gibt es keinen falschen Zeitpunkt für einen – vorsichtig­en und schrittwei­sen – Einstieg in den Aktienmark­t.

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