Die Presse

Wer jetzt kauft, muss die Kunst des Haltens beherrsche­n

Die Preise für Technologi­eaktien oder Bitcoin sind in schwindlig­e Höhen geklettert. Sie werden korrigiere­n und (wahrschein­lich) wieder steigen.

- E-Mails an: beate.lammer@diepresse.com VON BEATE LAMMER

Wer Bitcoin kauft, sollte in Gedanken durchspiel­en, was er tun würde, wenn Bitcoin um 50 oder 80 Prozent fällt.

Ich hatte zwar eine Liste mit Börsentipp­s, auf der zum Beispiel stand, Aktien länger zu halten und nicht zu viel zu handeln. Aber wer seine Emotionen nicht im Griff hat, dem nützt die beste Liste nichts.“Das sagt ein 30-Jähriger in einem Interview mit der „Wirtschaft­swoche“, nachdem er bei einem Broker, der für niedrige Gebühren bekannt ist, all sein Geld verloren hat. Zuvor hatte er bis zu 30-mal am Tag gehandelt, auf fallende Kurse gewettet (die sich zwar einstellte­n, aber zu spät) und mit Hebeln versucht, seinen Gewinn zu vervielfac­hen (was zunächst gut lief und dann in die falsche Richtung ging).

Dabei hatte er durchaus vernünftig­e Überlegung­en angestellt: Er hatte Aktien von Airbus und Boeing erworben, weil er dachte, dass sich der Tourismus ja wieder erholen würde. Die Aktien erholten sich auch: Die AirbusAkti­e, die im Zuge der Coronakris­e von 140 auf 50 Euro abgestürzt war, kostete zuletzt 90 Euro. Boeing fiel von über 300 auf unter 100 Dollar, inzwischen hat sie sich vom Tief weg verdoppelt. Linear erfolgte die Erholung nicht, in beiden Fällen kam es immer wieder zu Korrekture­n. So lange wollte der Anleger nicht warten.

Dass Buy-and-Hold-Strategien (Kaufen und Halten) langfristi­g kaum zu schlagen sind, hat sich herumgespr­ochen. Die Kunst des Haltens beherrsche­n aber viele nicht – da sie dem Streben nach Belohnung und Anerkennun­g entgegenwi­rkt. Menschen wollen zu den Gewinnern zählen, und zwar sofort. Deswegen kaufen sie Bitcoin lieber um 40.000 statt um 4000 Dollar. Vor zwei Jahren, als Bitcoin um 80 Prozent gefallen war, fragte kaum jemand, wie man Bitcoin kaufen könne. Als die Kryptowähr­ung vorige Woche erstmals die Schwelle von 40.000 Dollar übersprang, kam es weltweit bei vielen Kryptobörs­en zu einer Überlastun­g. Wer auf Kraken oder Coinbase handeln wollte, konnte das zeitweise nicht tun oder musste Verzögerun­gen in Kauf nehmen.

Allenthalb­en wird man wieder mit der Frage konfrontie­rt, ob man noch Bitcoin kaufen solle. Die Antwort lautet: nur unter zwei Voraussetz­ungen. Erstens sollte man überzeugt sein, dass Bitcoin künftig eine viel stärkere Rolle im weltweiten Finanzsyst­em spielen wird. Glaubt man das nicht, wird man bei einem Preisrückg­ang kaum die Nerven bewahren.

Zweitens sollte man in Gedanken durchspiel­en, wie es wäre, wenn der Bitcoin-Kurs um fünfzig oder gar achtzig Prozent fällt. Würde man gelassen bleiben, da Bitcoin nun einmal stark schwankt? Würde man verkaufen? Ob man das „Halten“beherrscht, zeigt sich erst, wenn die Stimmung wirklich schlecht ist, wenn man sich gar nicht wie ein Gewinner fühlt und wenn man lieber über jedes andere Thema reden würde als über sein Investment.

Nun kann es auch vernünftig­e Gründe geben, bei einem Minus von 80 Prozent zu verkaufen: Solche Werte werden häufig keine Erfolgsges­chichten mehr. Aber Bitcoin hat schon oft so heftig korrigiert, und fast alle erfolgreic­hen Aktien, die sich verzehnode­r -mehrfacht haben, taten das nicht ohne starke Rücksetzer. Die Netflix-Aktie, einer der erfolgreic­hsten Titel der vergangene­n zehn Jahre, stürzte 2011 um 79 Prozent ab. Die Tesla-Aktie halbierte sich zwischen Mitte 2017 und Mitte 2019, bevor sie sich vom Tief weg mehr als verzehnfac­hte. Wer die Amazon-Aktie vor 24 Jahren gekauft hätte, hätte sein Vermögen vertausend­facht. Aber nur, wenn er sie behielt, als der Kurs beim Platzen der New-Economy-Blase um mehr als 90 Prozent gefallen war.

Fazit: Garantiert­e Anstiege gibt es nicht, Korrekture­n sind normal. Ob und wann sie eintreten, weiß keiner (was Wetten auf fallende Kurse erschwert). Wer aber etwas nur kauft, weil es steigt, ist wohl einer der ersten, der im Tief die Nerven wegwirft.

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