„Bitcoin kam genau zur richtigen Zeit“
Kryptowährungen. Nach dem steilen Höhenflug von Bitcoin fürchten viele eine Korrektur. Doch die Sorge, dass eine andere Kryptowährung Bitcoin den Rang ablaufen könnte, hegt kaum jemand.
Wien. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass es sinnlos ist, den Markt „timen“zu wollen. Wer im Dezember gedacht hatte, Bitcoin müsse nach Erreichen eines Allzeithochs von 20.000 Dollar bald korrigieren, wird sich gedulden müssen. Zunächst hat sich der Preis verdoppelt. Am Sonntag kostete eine Einheit der größten und ältesten Kryptowährung zeitweise 40.000 Dollar, fiel dann aber zurück. Die Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen hat die Billionengrenze überschritten, 70 Prozent entfallen auf Bitcoin.
Inzwischen geben auch etablierte Banken Kursziele im sechsstelligen Bereich aus. JP Morgan rechnet mittelfristig mit 146.000 Dollar, wie Bloomberg berichtet. Bei einem solchen Preis würde die Marktkapitalisierung von Bitcoin mit den privaten Goldanlagen in börsengehandelten Fonds (ETFs), Barren und Münzen gleichziehen. Zuerst müsse sich aber die Volatilität von Bitcoin der von Gold annähern, was Jahre dauern könne.
Doch ist Bitcoin so etwas wie Gold, das man als Wertspeicher nützt, wenn man sich vor Inflation fürchtet? Oder so etwas wie eine Aktie, zumal es stark mit dem Aktienmarkt korreliert? Auf sozialen Medien wurde dieser Tage penibel registriert, dass Bitcoin beim Börsenwert Facebook überholt hat. Zeitweise waren nur Apple, Microsoft, Amazon, Google, Tesla und Saudi-Aramco wertvoller.
Halbierung trieb den Preis an
Bitcoin, das kürzlich seinen zwölften Geburtstag feierte, ist eine Internetwährung, deren Kurs von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Bitcoin ist dezentral und wird von keinen Staaten oder Notenbanken ausgegeben. Neue Bitcoin entstehen, wenn Rechner im Bitcoin-Netzwerk Blöcke erzeugen und damit Transaktionen bestätigen. Dafür werden sie mit Bitcoin belohnt. Alle paar Jahre wird die Belohnung halbiert, sodass Bitcoin ein knapperes Gut wird. Die letzte Halbierung erfolgte im Mai. Derzeit gibt es 18,5 Millionen Bitcoin, sobald 21 Millionen da sind, gibt es keine Belohnung mehr für das Erstellen von Blöcken.
Wo der faire Wert von Bitcoin ist, entziehe sich seiner Kenntnis, sagte kürzlich Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek. Ein Zahlungsmittel im eigentlichen Sinn sei es nicht, dazu schwanke es zu stark. In diesem Punkt gibt ihm Nikolaus Jilch, Geldexperte bei der Agenda Austria, recht. „Es gibt keine Benchmark, an der man das Kursziel festmachen kann.“Bitcoin könne ins Unermessliche steigen oder auf null fallen. Modelle, die auf die Stock-to-Flow-Ratio achten (Anzahl der bereits vorhandenen Bitcoin im Verhältnis zu den neu geschürften), seien bis jetzt richtig gelegen. Sie rechnen mittelfristig mit einem sechsstelligen Preis.
Korrektur wahrscheinlich
Angesichts des jüngsten parabolischen Anstiegs sei eine Korrektur aber wahrscheinlich, meint Jilch. Die Frage sei, wie weit diese geht. Möglicherweise werde das alte Allzeithoch (20.000 Dollar) noch einmal getestet. Vor drei Jahren hatte Bitcoin nach einer Verzwanzigfachung auf fast 20.000 Dollar heftig korrigiert: Binnen eines Jahres verlor es 80 Prozent seines Werts.
Und jetzt? Verglichen mit 2017 habe man ein „neues Level des Bewusstseins erreicht“, ist der Geldexperte überzeugt. Seriöse Banken geben Kursziele für Bitcoin aus. Vermögensverwalter, die für ihre reichen Kunden Bitcoin kaufen wollen, stehen vor dem Problem, dass man gar nicht so leicht große Mengen an Bitcoin kaufen kann. Wenn es einmal die Möglichkeit gebe, Fonds (ETFs) auf Bitcoin aufzulegen, täten die Fonds gut daran, bereits Bitcoin zu halten. Larry Fink, Chef des Vermögensverwalters Blackrock, habe seine ursprünglich negative Meinung zu Bitcoin inzwischen grundlegend revidiert. „Wenn solche BitcoinETFs aufgelegt werden, werden zahlreiche neue Investoren in den Markt strömen“, sagt Jilch.
In Staaten wie der Türkei oder Venezuela, wo die lokalen Währungen stark abwerten, spiele Bitcoin als Wertspeicher eine große Rolle: Wenn die venezolanische Währung um 90 Prozent falle, spiele es keine Rolle, ob ein Bitcoin 30.000 oder 20.000 Dollar koste, stellt Jilch fest. (Man muss übrigens keine ganzen Bitcoin kaufen, die kleinste Einheit ist ein 100-Millionstel-Bitcoin, genannt Satoshi.)
Doch auch im Euro- und Dollarraum fürchten viele, dass das massive Gelddrucken der Notenbanken mittelfristig nicht nur Vermögenswerte, sondern auch Preise antreiben werde. Die Staaten seien gut beraten, Bitcoin nicht zu bekämpfen oder zu verbieten, sondern zuzulassen, meint Jilch. Auch bei Gold habe sich das bewährt.
Doch besteht nicht die Gefahr, dass die Anleger auf andere Kryptowährungen setzen, die leichter handelbar sind oder andere bessere Funktionen haben? Schützt nicht jedes knappe Gut genauso vor Inflation? Jilch verweist auf den Netzwerkeffekt: Vor drei Jahren (damals entfiel nur ein Drittel des Marktwerts aller Kryptowährungen auf Bitcoin) habe der Markt klar gesagt, dass andere Coins zwar eine Rolle spielen könnten, aber nicht als spekulativer Wertspeicher. Bitcoin sei genau zur richtigen Zeit gekommen, und zwar nach der großen Finanzkrise. Aus einem ähnlichen Grund habe Facebook das Rennen gemacht und nicht Google+, bei den Suchmaschinen habe sich Google durchgesetzt – und nicht Bing.
„Junger, unregulierter Markt“
Ein sicheres Investment ist Bitcoin aber bei Weitem nicht. Bei Bitcoin, aber auch bei Altcoins, kommt es häufig zu Marktmanipulationen, von den großen Schwankungen ganz zu schweigen. Jilch warnt: „In diesem jungen, unregulierten Markt ist vieles möglich. Man muss sehr vorsichtig sein.“