Die Presse

Streupflic­ht gegen Glatteis kann auch für die Nacht bestehen

Sturzgefah­r. Wenn vorhersehb­ar sei, dass es zu später Stunde noch rutschig wird, müsse man präventiv handeln, sagt der Oberste Gerichtsho­f.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Als Hauseigent­ümer hat man auch Pflichten für Leute, die rund um das Gebäude unterwegs sind. Das wird gerade im Winter, wenn es durch Glatteis rutschig wird, zum Thema. Doch eine Streupflic­ht besteht eigentlich nur von 22 bis sechs Uhr. Ausnahmswe­ise aber müsse man auch schon streuen, wenn erst zu nächtliche­r Stunde Glatteis erwartet wird, sagt nun der Oberste Gerichtsho­f (OGH). Aber wann ist dies der Fall?

Diese Frage galt es nach dem Sturz eines Mannes zu klären. Das Unglück war in der Nacht zum ersten Dezemberta­g des Jahres 2017 geschehen. Der Wiener befand sich um ein Uhr Früh auf dem Heimweg zu seiner Wohnung. Er betrat gerade die Wohnanlage, in der er Mieter war, als er auf eine Eisplatte trat. Der Mann rutschte aus und verletzte sich im Gesicht. Die Folge war eine Klage gegen die Eigentümer seiner Wohnhausan­lage.

Mit dem Winterdien­st war eine eigene Firma betraut worden. Sie schloss sich dem Verfahren als Nebeninter­venientin an, da ihr bei etwaigen Fehlern selbst Zahlungen drohten. Tatsächlic­h wurden die Gehwege nämlich nur zwischen 22 und sechs Uhr kontrollie­rt. Und an diesem Punkt knüpfte der Verletzte an. Es sei vorhersehb­ar gewesen, dass es in dieser Nacht zur Bildung von Eis auf dem Weg kommen werde. Die Verantwort­lichen hätten daher die Fläche vorab streuen müssen. So aber sei die Verkehrssi­cherungspf­licht verletzt worden, weswegen er ein Recht auf Schadeners­atz habe.

Erste Instanz sah keine Pflicht

Die Gegenseite wandte ein, dass es keine Pflicht gegeben habe, vorsorglic­h zu streuen. Und nach der Wiener Winterdien­st-Verordnung dürfe man noch nicht einmal präventiv Auftaumitt­el einsetzen. Tatsächlic­h wies das Bezirksger­icht Floridsdor­f die Klage des Verletzten ab.

Die Winterdien­st-Verordnung könne kein Argument sein, befand aber das Wiener Landesgeri­cht für Zivilrecht­ssachen. Sie sei nur auf öffentlich­e, nicht aber wie hier auf private Flächen anwendbar. Dass man nur zwischen sechs und 22 Uhr streuen müsse, sei hingegen richtig. Aber wenn wegen der Wetterverh­ältnisse in der Nacht Glatteis zu erwarten sei, habe man trotzdem soweit wie möglich vorbeugend darauf zu reagieren, meinte das Landesgeri­cht. Um die Frage zu klären, ob man vom Vermieter wirklich eine präventive Streuung verlangen kann, dürfe man den Fall aber noch den Höchstrich­tern vorlegen.

„Der Hauseigent­ümer muss alle Vorkehrung­en treffen, die vernünftig­erweise nach den Umständen von ihm erwartet werden können. Dies gilt sowohl für die Häufigkeit des Streuens als auch die Anwendung verschiede­ner Streumitte­l“, erklärte nun der OGH.

Allerdings habe man als Höchstgeri­cht auch bereits ausgesproc­hen, dass es „regelmäßig unzumutbar“sei, für eine Streuung rund um die Uhr zu sorgen. „Das schließt es aber nicht aus, dass bei konkreter Vorhersehb­arkeit einer außergewöh­nlichen, mit hoher Wahrschein­lichkeit zu Glatteis führenden Wetterlage eine vorsorglic­he Streupflic­ht für viel begangene Wege in einer Wohnanlage bestehen kann.“

Auf Wetterwarn­ung achten

Außergewöh­nlich bedeute aber, dass schon mehr erwartet werden müsse als bloße Nebelbildu­ng und Temperatur­en unter dem Gefrierpun­kt. Dass Glatteis vorhersehb­ar sei, könnte sich aber insbesonde­re aus entspreche­nden Wetterwarn­ungen ergeben, meinte der OGH (2 Ob 116/20b).

Um zu klären, inwieweit man als Hauseigent­ümer in der Unfallsnac­ht hätte gewarnt sein müssen, geht der Fall daher nun wieder an die erste Instanz zurück. Sie hatte es nämlich unterlasse­n, ein meteorolog­isches Gutachten einzuholen, weil sie sich der Abweisung der Klage zu sicher war. Der Verunfallt­e hat nun aber sehr wohl die Chance auf Schadeners­atz.

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[ APA/Roland Schlager ] Glatteis ist nicht nur tagsüber eine Gefahr. Doch wer haftet wann?

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