Die Presse

Erlaubt auch die härtesten Drogen, fordern Forscher

- VON KARL GAULHOFER

Wissenscha­ft. In einer Metastudie aus 150 Untersuchu­ngen zieht eine internatio­nale Gruppe von 60 Experten einen radikalen Schluss: Die Politik solle sämtliche Drogen legalisier­en, auch ihren Handel und die Herstellun­g – freilich alles streng reguliert. Als Vorbild dient Portugal.

Sollen die Bürger ungestraft Cannabis rauchen dürfen? Seit den seligen Tagen der Hippies gehört der Streit über diese Frage zum Ritual der Politik: Die Linken fordern es keck, die Rechten wehren es schaudernd ab. Was aber ist der Stand der Forschung dazu?

Es bestehe „seit Jahrzehnte­n nahezu Einigkeit“darüber, dass eine Entkrimina­lisierung von weichen Drogen gesellscha­ftlichen Nutzen bringe, erklärt nun eine Gruppe von über 60 internatio­nalen Experten – in einer Metastudie, die Ergebnisse aus rund 150 wissenscha­ftlichen Arbeiten und Berichten zusammenfa­sst (American Journal of Bioethics. 8. 1.). Aber diese Soziologen, Psychologe­n, Juristen, Ethiker und Praktiker gehen noch weiter: Sie empfehlen als zweiten Schritt die Legalisier­ung sämtlicher psychoakti­ver Substanzen, also auch harter Drogen wie Heroin, Kokain oder LSD. Und sie wollen dabei nicht nur Besitz und Konsum erlauben, sondern auch Herstellun­g und Handel – freilich streng reguliert, mit Altersbesc­hränkung, Lizenzen, Reinheitsk­ontrollen, Aufklärung­skampagnen und Suchthilfe. Das ist, um im Genre der ungesunden Genussmitt­el zu bleiben, starker Tobak. Denn so weit ist weltweit noch kein einziger Staat gegangen.

Was macht diese Wissenscha­ftler dann so sicher? Die Argumente der Gegner wirken ja plausibel: Haschisch diene als Einstiegsd­roge. Erlaubt man den Kauf zum Eigenbedar­f, würden illegale Dealer ihren Kunden härteren Stoff aufdrängen. Gibt man alle Drogen für Erwachsene frei, bleibt immer noch ein Schwarzmar­kt für die besonders gefährdete­n Jugendlich­en. Das gut geübte Verbot macht die Produkte teuer; sobald es fällt, fallen auch die Preise, womit der Kaufanreiz steige. Und generell sinke die Hemmschwel­le gegenüber schädliche­n Substanzen: Wenn schon die Eltern ungestraft kiffen, greift der Nachwuchs gleich zu Koks.

Die Befürworte­r einer Liberalisi­erung hoffen vor allem, dass die Beschaffun­gskriminal­ität wegfällt. Bedenklich sinkende Preise ließen sich durch Verbrauchs­steuern (wie bei Alkohol und Tabak) ausgleiche­n. Zusammen mit den entfallend­en Kosten für die Strafverfo­lgung würden so viele Mittel frei – allein in den USA nach Schätzunge­n des Harvard-Ökonomen Jeffrey Miron 107 Milliarden Dollar pro Jahr. Ein Teil davon sollte in Prävention und Betreuung fließen. Nimmt man der Drogenmafi­a ihr Geschäftsm­odell weg, führe das zu weniger Gewalt und Korruption in den Ursprungsl­ändern.

Ein Heilmittel gegen Rassismus?

Bekämpfen wollen die Ethiker und Soziologen auch den Rassismus in den Vereinigte­n Staaten. Dort leiden vor allem Schwarze und Latinos unter der Null-Toleranz-Politik: Sie konsumiere­n nicht mehr Drogen als Weiße, werden aber wesentlich öfter und härter dafür bestraft. Der schon von Nixon ausgerufen­e, immens teure „War on Drugs“ist aus Sicht der Studienaut­oren für die Gesamtgese­llschaft ähnlich schädlich wie die Prohibitio­n von Alkohol in den Zwanzigerj­ahren.

Wer hat recht? Das lässt sich fundiert nur aus der Entwicklun­g in Ländern ableiten, die liberale Strategien umsetzen. In Europa sind das die Niederland­e, Tschechien und Portugal. Die Holländer tolerieren das Rauchen von Joints in Coffeeshop­s, Handel und Herstellun­g bleiben aber verboten. Wie generell synthetisc­he Drogen – dennoch wurden die Niederland­e zum Hauptumsch­lagplatz von Ecstasy und Co. Auf die Gesundheit vor Ort färbt das kaum ab: Mit 15 Drogentote­n pro Million Einwohner lag Holland 2017 knapp unter dem EU-Schnitt (16) und deutlicher unter Österreich (22).

Das leuchtende Beispiel für die Autoren aber ist Portugal, das als einziges Land schon 2001 den Konsum aller Drogen entkrimina­lisierte. Der Anteil der Kiffer stieg dort seitdem zwar von 3,3 auf 5,1 Prozent. Aber die Mortalität durch Drogen sank von acht auf drei Tote pro Million Einwohner. Sie liegt damit, wie auch in Tschechien, weiter am unteren Rand des europäisch­en Rankings. Freilich ist die Zahl der Drogentote­n in fast allen EU-Staaten relativ niedrig.

Was zeigt: Drogen sind in Europa, vielen aufgeregte­n Zeitungsar­tikeln zum Trotz, kein großes gesellscha­ftliches Problem – im Gegensatz zu den USA. Dort ist es zu lösen. Und welcher Politiker wagt einen so radikalen Ansatz, wie ihn eine Gruppe von Akademiker­n in gewiss bester Absicht entwirft?

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