Erlaubt auch die härtesten Drogen, fordern Forscher
Wissenschaft. In einer Metastudie aus 150 Untersuchungen zieht eine internationale Gruppe von 60 Experten einen radikalen Schluss: Die Politik solle sämtliche Drogen legalisieren, auch ihren Handel und die Herstellung – freilich alles streng reguliert. Als Vorbild dient Portugal.
Sollen die Bürger ungestraft Cannabis rauchen dürfen? Seit den seligen Tagen der Hippies gehört der Streit über diese Frage zum Ritual der Politik: Die Linken fordern es keck, die Rechten wehren es schaudernd ab. Was aber ist der Stand der Forschung dazu?
Es bestehe „seit Jahrzehnten nahezu Einigkeit“darüber, dass eine Entkriminalisierung von weichen Drogen gesellschaftlichen Nutzen bringe, erklärt nun eine Gruppe von über 60 internationalen Experten – in einer Metastudie, die Ergebnisse aus rund 150 wissenschaftlichen Arbeiten und Berichten zusammenfasst (American Journal of Bioethics. 8. 1.). Aber diese Soziologen, Psychologen, Juristen, Ethiker und Praktiker gehen noch weiter: Sie empfehlen als zweiten Schritt die Legalisierung sämtlicher psychoaktiver Substanzen, also auch harter Drogen wie Heroin, Kokain oder LSD. Und sie wollen dabei nicht nur Besitz und Konsum erlauben, sondern auch Herstellung und Handel – freilich streng reguliert, mit Altersbeschränkung, Lizenzen, Reinheitskontrollen, Aufklärungskampagnen und Suchthilfe. Das ist, um im Genre der ungesunden Genussmittel zu bleiben, starker Tobak. Denn so weit ist weltweit noch kein einziger Staat gegangen.
Was macht diese Wissenschaftler dann so sicher? Die Argumente der Gegner wirken ja plausibel: Haschisch diene als Einstiegsdroge. Erlaubt man den Kauf zum Eigenbedarf, würden illegale Dealer ihren Kunden härteren Stoff aufdrängen. Gibt man alle Drogen für Erwachsene frei, bleibt immer noch ein Schwarzmarkt für die besonders gefährdeten Jugendlichen. Das gut geübte Verbot macht die Produkte teuer; sobald es fällt, fallen auch die Preise, womit der Kaufanreiz steige. Und generell sinke die Hemmschwelle gegenüber schädlichen Substanzen: Wenn schon die Eltern ungestraft kiffen, greift der Nachwuchs gleich zu Koks.
Die Befürworter einer Liberalisierung hoffen vor allem, dass die Beschaffungskriminalität wegfällt. Bedenklich sinkende Preise ließen sich durch Verbrauchssteuern (wie bei Alkohol und Tabak) ausgleichen. Zusammen mit den entfallenden Kosten für die Strafverfolgung würden so viele Mittel frei – allein in den USA nach Schätzungen des Harvard-Ökonomen Jeffrey Miron 107 Milliarden Dollar pro Jahr. Ein Teil davon sollte in Prävention und Betreuung fließen. Nimmt man der Drogenmafia ihr Geschäftsmodell weg, führe das zu weniger Gewalt und Korruption in den Ursprungsländern.
Ein Heilmittel gegen Rassismus?
Bekämpfen wollen die Ethiker und Soziologen auch den Rassismus in den Vereinigten Staaten. Dort leiden vor allem Schwarze und Latinos unter der Null-Toleranz-Politik: Sie konsumieren nicht mehr Drogen als Weiße, werden aber wesentlich öfter und härter dafür bestraft. Der schon von Nixon ausgerufene, immens teure „War on Drugs“ist aus Sicht der Studienautoren für die Gesamtgesellschaft ähnlich schädlich wie die Prohibition von Alkohol in den Zwanzigerjahren.
Wer hat recht? Das lässt sich fundiert nur aus der Entwicklung in Ländern ableiten, die liberale Strategien umsetzen. In Europa sind das die Niederlande, Tschechien und Portugal. Die Holländer tolerieren das Rauchen von Joints in Coffeeshops, Handel und Herstellung bleiben aber verboten. Wie generell synthetische Drogen – dennoch wurden die Niederlande zum Hauptumschlagplatz von Ecstasy und Co. Auf die Gesundheit vor Ort färbt das kaum ab: Mit 15 Drogentoten pro Million Einwohner lag Holland 2017 knapp unter dem EU-Schnitt (16) und deutlicher unter Österreich (22).
Das leuchtende Beispiel für die Autoren aber ist Portugal, das als einziges Land schon 2001 den Konsum aller Drogen entkriminalisierte. Der Anteil der Kiffer stieg dort seitdem zwar von 3,3 auf 5,1 Prozent. Aber die Mortalität durch Drogen sank von acht auf drei Tote pro Million Einwohner. Sie liegt damit, wie auch in Tschechien, weiter am unteren Rand des europäischen Rankings. Freilich ist die Zahl der Drogentoten in fast allen EU-Staaten relativ niedrig.
Was zeigt: Drogen sind in Europa, vielen aufgeregten Zeitungsartikeln zum Trotz, kein großes gesellschaftliches Problem – im Gegensatz zu den USA. Dort ist es zu lösen. Und welcher Politiker wagt einen so radikalen Ansatz, wie ihn eine Gruppe von Akademikern in gewiss bester Absicht entwirft?