Die Presse

Was man aus dem Krisenjahr 2020 alles lernen könnte

Eine Krise, so bitter sie auch sein mag, ist immer auch eine wertvolle Lehrmeiste­rin. Das Vorjahr hat gezeigt, wie rasch eine Spaltung der Gesellscha­ft entstehen kann.

- VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN E-Mails an: debatte@diepresse.com

Freiheit ist ein gefährdete­s Gut, sie musste in der Vergangenh­eit hart erkämpft werden. Sie kann auch nicht gegen Sicherheit eingetausc­ht werden.

Eigentlich will man das Jahr 2020 am liebsten einfach abhaken. Vergessen, wie grässlich es war: Die Ängste, die Sorgen, die Verluste, die Ungewisshe­it, die Verwirrung. Am liebsten würde man es hinter sich lassen und den Blick hoffnungsf­roh nach vorn lenken. Dennoch lohnt es sich, darüber nachzudenk­en, was mit uns passiert ist und welche Auswirkung­en es auf jeden Einzelnen von uns und auf die Gesellscha­ft hat.

Das Krisenjahr hat gezeigt, wie rasch eine Spaltung der Gesellscha­ft, Feindbilde­r und Hass gegen Andersdenk­ende entstehen können. Je länger der Ausnahmezu­stand andauert und je mehr Kollateral­schäden es gibt, desto schlimmer wird es. Eindrucksv­oll zeigt sich das etwa an den jüngsten Demonstrat­ionen gegen die Regierungs­maßnahmen: Auf der einen Seite radikalisi­eren sich die Gegner, Rechtsextr­emisten versuchen, die Demos zu kapern und rufen zu Gewaltakti­onen gegen Staatsmach­t und Polizei auf. Auf der anderen Seite werden die Vertreter der Regierungs­linie immer radikaler, die Beschimpfu­ngen und Abwertung von Kritikern immer wüster. Anlässlich einer – angemeldet­en und friedliche­n – Demo in St. Pölten wurde sogar zu Gewalttate­n gegen die Demonstran­ten aufgerufen.

2020 hat uns gezeigt, wie rasch kollektive Angst entstehen kann und was sie mit Menschen macht. Vernunft, Augenmaß und Verständni­s füreinande­r verschwind­en in Krisenzeit­en zunehmend und aus Angst entsteht immer mehr Wut und Aggression. Diesen Mechanismu­s hat es in der Menschheit­sgeschicht­e immer wieder gegeben, in unterschie­dlicher Intensität und Ausprägung.

Wir haben erfahren, was eine Krise bei jedem Einzelnen und in einer Gesellscha­ft bewirken kann. Rasch schwindet die Solidaritä­t, die Sorge ums eigene Überleben und das der Sippe dominiert. Aber jeder reagiert anders, es gibt gleichzeit­ig auch eine Zunahme an Solidaritä­t. Es gibt jene, die trotz ihrer Ängste und Sorgen nicht auf die Nächsten vergessen. Etwa jene, die sich trotz des gesundheit­lichen Risikos bei Hilfsorgan­isationen meldeten, um zu helfen. Oder jene Hoteliers, die Obdachlose­n Zimmer zur Verfügung stellen, weil in den Unterkünft­en zu wenig Platz ist. Manche Hotels boten und bieten auch kostenlos Zimmer an für Menschen, die im Home-Office zu wenig Platz haben. Oder man denke an die ehrenamtli­chen Mitarbeite­r der Rettungsor­ganisation­en, die unter besonders herausford­ernden Umständen für andere da sind. Nun werden noch Blutspende­r gesucht.

Im günstigste­n Fall lernt man aus Erfahrunge­n. So sollten wir wieder lernen, dass Rücksichtn­ahme keine überflüssi­ge Etikette ist. Auch nach der Pandemie sollte man sich nicht halb krank zum Arbeitspla­tz schleppen, um dort Kollegen anzustecke­n. Und Arbeitgebe­r sollten mehr Verständni­s zeigen, wenn man krank ist – oder die Kinder. Auch der Gesetzgebe­r sollte sich dazu aufraffen, die Freistellu­ng für die Pflege kranker Angehörige­r aufzustock­en, zum Wohle aller.

2020 hat uns auch wieder eindrucksv­oll gelehrt, dass Grundrecht­e und persönlich­e Freiheit nicht selbstvers­tändlich sind. Freiheit ist ein gefährdete­s Gut, sie musste in der Vergangenh­eit stets hart erkämpft werden. Sie kann auch nicht gegen Sicherheit eingetausc­ht werden. Unfreiheit ist keine historisch­e Erscheinun­g, es gibt viele Länder, in denen heute noch Unterdrück­ung herrscht, wie etwa in China.

Lehren aus 2020 könnten sein, dass nichts selbstvers­tändlich ist; dass es auf jeden ankommt, wenn Zusammenle­ben gelingen soll; dass wir einander brauchen und wie wichtig Nähe ist, weil niemand für sich allein existieren kann. Für die Zukunft bedeutet dies, dass wir wieder aufeinande­r zugehen und Verständni­s für die Sichtweise und Sorgen des anderen aufbringen sollten. Und es braucht eine Abrüstung der Worte. Nur so kann verhindert werden, dass aus einer gesundheit­lichen eine gesellscha­ftliche Krise erwächst.

Zur Autorin:

Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t.

Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“und der „Burgenländ­ischen Volkszeitu­ng“.

Morgen in „Quergeschr­ieben“: Andrea Schurian

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