Was den Arbeitsminister erwartet
Regierungsumbildung. Martin Kocher war bisher Chef des Instituts für Höhere Studien und ist ab Montag neuer Arbeitsminister. Der Experte ohne Parteibuch muss die größte Arbeitsmarktkrise seit dem Zweiten Weltkrieg managen.
Wien. Samstagabend trat Christine Aschbacher (ÖVP) als Ministerin für Arbeit, Jugend und Familie nach schwerwiegenden Plagiatsvorwürfen zurück. Bereits Sonntagmittag präsentierte ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz ihren Nachfolger. Die Wahl fiel auf den 47-jährigen Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Lehrender an mehreren internationalen Universitäten und gefragter Verhaltensökonom (siehe Seite 3).
Der gebürtige Salzburger soll am Montag um 13 Uhr von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt werden. Kocher beriet die Regierung bereits in der jüngeren Vergangenheit in Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und verhaltensökonomischen Fragen. Einerseits wird er die Arbeitsmarkt
agenden übernehmen, andererseits aufgrund seiner Expertise eine Sonderrolle in der Regierungsriege einnehmen. Die Agenden für Familie und Jugend wandern zu ÖVP-Kanzleramtsministerin Susanne Raab.
Kocher ist leidenschaftlicher Marathonläufer – ein Langstreckenlauf ist auch die Bewältigung der größten Arbeitsmarktkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Auf Kocher warten riesige Baustellen. „Es gibt keine Einarbeitungszeit, wir werden heute mit der Arbeit beginnen“, sagte Kocher am Sonntag bei seiner Präsentation.
Die Arbeitslosenzahlen
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechterte sich mit dem aktuellen, mittlerweile zweieinhalb Monate andauernden Lockdown wieder massiv. Im Dezember war rund eine halbe Million Menschen arbeitslos. Das ist um ein Drittel mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahrs. Gleichzeitig gab es nur 50.000 offene Stellen. Das heißt, nur jeder Zehnte hat eine Chance auf einen Job.
Kocher sagte am Sonntag, dass er nicht damit rechne, noch vor dem Sommer eine wirkliche Entspannung zu sehen. Seine Priorität eins sei darum die Bewältigung der Pandemie und die Bekämpfung der akuten Krise bis dahin. Mit einem Aufschwung sei erst zu rechnen, wenn ein Großteil der Bevölkerung geimpft sei. Gesundheitsminister Rudolf Anschober sagte, dass bis Ende des Sommers alle eine Impfung erhalten sollen, die das wollen. „Es wird wohl etwa bis 2024 dauern, bis die Arbeitslosenzahlen wieder auf dem Niveau von 2019 sein werden“, sagte Kocher am Sonntag. Darum wird die Regierung gemeinsam mit den Sozialpartnern mittel- und langfristige Pläne für Weiterqualifizierung, Umschulungen und Arbeitsstiftungen schmieden müssen. Gewerkschaft und Arbeiterkammer fordern etwa Ausbildungsprogramme in jenen Bereichen, in denen sich bereits ein Personalmangel ankündigt – dazu gehören Pflege und Bildung.
Arbeitslosengeld
Wegen der alarmierenden Arbeitslosenzahlen ist auch die Höhe des Arbeitslosengeldes ein Thema, das laufend nachverhandelt werden muss. Denn einerseits kommen auf den Staat auch weiterhin hohe Kosten zu – andererseits wird Österreichs Wirtschaft ohne entsprechenden Konsum nicht in die Gänge kommen. Fehlt der Bevölkerung das Geld, fehlt der Motor für den Aufschwung. Die Gewerkschaft fordert eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes als Konjunkturmotor.
Bisher ließ sich die Regierung nur zu Einmalzahlungen hinreißen – eine nachhaltige Lösung war das nicht. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hatte sich im Herbst für eine Erhöhung ausgesprochen, die ÖVP war dafür bisher nicht zu haben.
Kurzarbeit
Derzeit sind rund 420.000 Menschen in Kurzarbeit, bisher wurden rund 5,5 Milliarden Euro ausgegeben. Bis Ende 2021 sind insgesamt zehn Milliarden veranschlagt. Die aktuelle Regelung läuft Ende März aus und muss mit den Sozialpartnern neu verhandelt werden. Bisher betrachtete die Regierung die Kurzarbeit als essenzielles Instrument zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Kocher hatte sich in der Vergangenheit aber auch immer wieder skeptisch gezeigt. Darauf angesprochen sagte er am Sonntag, dass er sich vorstellen kann, die Maßnahme noch ein paar Monate zu verlängern, „Dauerzustand ist das aber keiner“. Sollte die Krise vielleicht noch Jahre anhalten, müsse ein anderes Instrumentarium zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gefunden werden.
Home-Office-Regelung
Die Pandemie wütet bald ein Jahr, eine der zentralsten Empfehlungen der Regierung an die Wirtschaft – so viel Home-Office wie möglich. Rechtsgrundlage oder Anspruch darauf gibt es aber keinen. Eine Regelung wurde bis März angekündigt. Die Gespräche mit den Sozialpartnern liefen zuletzt gut. Kocher wird all das aber auf den Boden bringen und in nachhaltige Gesetze gießen müssen.