Die Presse

Allzweckwa­ffe: Martin Kocher im Porträt

Porträt. Die Geschichte eines Verhaltens­ökonomen, den vor einigen Jahren die wenigsten kannten. Martin Kocher hat es als IHS-Chef mittlerwei­le nicht nur zu Prominenz gebracht – er genießt auch das Vertrauen von Sebastian Kurz.

- VON HANNA KORDIK

Wien. Zwischen Realität und Wahrnehmun­g liegen oft Welten. Zum Beispiel im Frühjahr 2016: Damals gab es erste Gerüchte darüber, wer fortan Chef des österreich­ischen Instituts für Höhere Studien (IHS) werden würde. Und so manch ein Wirtschaft­sjournalis­t wird im Laufe der Recherche wohl gefragt haben: „Martin wer?“Ja, in Österreich war Martin Kocher damals nur einer Handvoll Ökonomie-Aficionado­s bekannt. Dabei war der Salzburger zu dem Zeitpunkt längst einer der führenden Verhaltens­ökonomen Europas. Aber er lehrte eben an der Universitä­t München.

Schnee von gestern. Mittlerwei­le gilt es schon fast als Kunststück, den 47-jährigen Martin Kocher nicht zu kennen: Seit viereinhal­b Jahren präsentier­t er als IHSChef gemeinsam mit dem Wifo Quartal für Quartal Konjunktur­prognosen. Dazwischen gibt er regelmäßig TV- und Zeitungsin­terviews zu wirtschaft­lichen Fragen. Und dies in einfachen, verständli­chen Worten: Martin Kocher sei für die Wirtschaft das, „was Peter Filzmaier für die Politik ist“, schreiben die „Salzburger Nachrichte­n“.

Wie zutreffend das ist, zeigt auch das jährliche Ökonomenra­nking, das „Die Presse“gemeinsam mit „Frankfurte­r Allgemeine­r Zeitung“und „Neuer Züricher Zeitung“jeden Herbst veröffentl­icht. Da rangiert Kocher (nach Verhaltens­ökonom Ernst Fehr) verlässlic­h auf Platz zwei. Er ist inzwischen zum am häufigsten in den österreich­ischen Medien zitierten Ökonomen geworden.

So etwas in der Art hat er ja auch zu seinem Amtsantrit­t 2016 angekündig­t beziehungs­weise versproche­n: „Ich werde den Mund aufmachen“, sagt er da. Hat er.

Verbindlic­h und freundlich

Wenn auch anders, als er seinerzeit insinuiert­e. Martin Kocher ist im Gegensatz zu seinem Vorvorgäng­er an der IHS-Spitze, Bernhard Felderer, keiner, der auf den Tisch haut. Ökonom Felderer war bekannt und geschätzt als einer, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Durchaus unbequem, was seine Analyse und Empfehlung­en betraf. Martin Kocher hingegen mag nicht unkritisch sein – aber doch sehr höflich, verbindlic­h und zurückhalt­end in der Wortwahl.

Harsche Töne sind ihm also fremd, und Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hält große Stücke auf Martin Kocher. Da stimmt die Chemie: Zu Beginn der Coronakris­e war Kocher in Sachen Konjunktur­paket auf Regierungs­linie (nämlich gegen klassische Konjunktur­hilfen, wie von der SPÖ gefordert). Er sprach sich dafür für Einzelmaßn­ahmen, wie Geld für Kurzarbeit, aus. Inhaltlich scheint man also auf einer Linie zu sein.

Und so regnete es im vergangene­n Jahr nachgerade Posten: Zuerst machte Kurz Kocher zum Chef des Statistikr­ats. Das ist immerhin das Aufsichtsg­remium der Statistik Austria – Österreich­s Datenschat­z, auf den das Bundeskanz­leramt ein besonders wachsames Auge wirft.

Posten um Posten

Dann wurde Kocher auch noch Präsident des Fiskalrats. Also zum Wächter darüber, ob das österreich­ische Budget den EU-Regeln entspricht.

Nicht schlecht für jemanden, der betont, parteilos zu sein. Martin Kocher positionie­rt sich gern in der Mitte. Als er IHS-Chef wurde, sagte er: „Wer zu konservati­v ist, glaubt nur an das Böse im Menschen, wer zu links ist, nur an das Gute.“

In dem Interview, das er mit der „Presse“führte, sprach Kocher auch über „eine der Krisen der Ökonomie“. Die bestünde darin, „dass viele Ökonomen zu vielen Dingen etwas sagen – ohne zu wissen, was zu tun ist“. Nein, so ist Kocher ganz sicher nicht. Er antwortet präzise, wenn er gefragt wird. Aber er muss nicht der Schnittlau­ch auf allen Suppen sein.

Und so hat der nunmehrige Arbeitsmin­ister schon vor seiner 2016 erfolgten Rückkehr in die Heimat eine bemerkensw­erte Karriere hingelegt. Diese führte Kocher über die Uni Innsbruck für zwei Jahre nach Amsterdam und 2010 ins englische Norwich an die University of East Anglia, bevor er dem Ruf der renommiert­en Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München folgte. Dort lehrte er als Professor für Verhaltens­ökonomie und experiment­elle Wirtschaft­sforschung, daneben war er Gastprofes­sor in Göteborg und an der University of Queensland im australisc­hen Brisbane.

Seit 2017 unterricht­et er neben all den Funktionen, die er in Österreich innehat, auch noch an der Universitä­t Wien, weil ihm die Verbindung zur Wissenscha­ft und die Betreuung von Doktorande­n wichtig sei, wie er sagt.

Freizeit gibt es auch noch

Dass es da auch noch Freizeit für ihn gibt, ist erstaunlic­h. Aber offenbar möglich. Kocher ist begeistert­er Marathonlä­ufer, und in die Berge zieht es ihn auch noch. Im Sommer wird gewandert, im Winter steht Skifahren auf dem Programm. Als Sohn zweier Skilehrer ist das wohl kein Wunder. Ebenso wenig, dass der junge Kocher auch im örtlichen Skikader war. Für eine Karriere als Skifahrer reichte es freilich nicht, zudem die Konkurrenz dann doch überborden­d war: In Kochers Schule war Hermann Maier eine Klasse über ihm, Michael Walchhofer zwei Klassen darunter.

Realitätss­inn hat Martin Kocher also auch noch.

 ?? [ Ilgner / picturedes­k.com] ?? Ideologie und Wissenscha­ft müsse man „stets sauber trennen“, sagte Martin Kocher, als er IHS-Chef wurde.
[ Ilgner / picturedes­k.com] Ideologie und Wissenscha­ft müsse man „stets sauber trennen“, sagte Martin Kocher, als er IHS-Chef wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Austria