Die Presse

Zwitschern macht glücklich

Wissenscha­ft. Die ornitholog­ische Vielfalt einer Region korreliert mit dem Glück der Bewohner, stärker als andere NaturFakto­ren. Vögel singen um ihr Leben, wir genießen es ästhetisch. Plus: eine Vorschau auf die anlaufende „Konzertsai­son“.

- VON KARL GAULHOFER

Die ornitholog­ische Vielfalt einer Region geht mit dem Glück der Bewohner einher. Warum Menschen Vogelzwits­chern mehr als andere Naturfakto­ren genießen.

Es ist kalt, düster, alles hat zu. Der Unmut wächst: Wie es unter unseren Füßen knirscht, so auch im Gemüt. Aber es braucht nur ein einsamer Vogel in dürren Zweigen seine Stimme zu erheben, und schon breitet die Zuversicht ihre Flügel aus. Sie trägt uns transzendi­erende Wesen fort, wir weilen woanders, jenseits dieser trüben Tage. Was klingt da in uns an, wenn Singvögel zwei Membranen am Eingang ihrer Lunge zum Schwingen bringen? Regt sich ein vergessene­s Sensorium, das uns auch mitten in der Stadt in Einklang mit der Natur bringt? Kann man dieses Gefühl Glück nennen?

Eine Erhöhung der ornitholog­ischen Vielfalt um zehn Prozent oder 14 Arten, ausgehend vom Median von 136 Arten pro EURegion, steigert die Lebenszufr­iedenheit gleich stark wie eine Gehaltsauf­besserung von 15 Prozent: Auf diese prägnante Formel bringt eine deutsche Studie (Ecological Economics, Nr. 181) unser vages Hochgefühl. Die Daten holte sich das Team um Joel Methorst aus Brüsseler Statistike­n und Umfragen. Der Kontinent wurde dafür mit einem Raster von 50 mal 50 Kilometern unterteilt. Wie viele Vögel pro Region herumflatt­ern, lässt sich nicht zählen, deshalb die viel stabilere Zahl der Arten als Maß – aber auch, weil ungemischt­e Massen von Krähen, Tauben oder Möwen uns weniger Freude bereiten.

Vieles deutet auf Kausalität

Macht es also glücklich, die ganze Vogelschar zu hören? Natürlich ist Korrelatio­n noch keine Kausalität. Diese lässt sich nur mit Langzeitst­udien oder Experiment­en nachweisen. Aber der Zusammenha­ng ist stark, und in diesem räumlichen Raster viel stärker als bei ähnlichen Variablen: Vielfalt von Bäumen oder Säugetiere­n, abwechslun­gsreiche Landschaft, Grünfläche und Klima – nur „leichter Zugang zur Natur“korreliert ähnlich deutlich. Ausschließ­en lässt sich jedenfalls der materialis­tische Kurzschlus­s: Wohlbefind­en = Wohlstand = Villa im Grünen = viele Vögel. Nein, der Gesang der Gefiederte­n und unser Glück haben enger miteinande­r zu tun – vielleicht sogar direkt.

Fast möchte man meinen, das gelte auch für die Vögel selbst. Sind sie nicht an verregnete­n und kalten Tagen leiser als sonst, jauchzen sie nicht über Sonne und Frühling? Was uns ästhetisch erfreut, nach Kant unser „interessel­oses Wohlgefall­en“weckt, ist für die Darbietend­en ein Kampfgesan­g um Überleben und Fortpflanz­ung. Sie verteidige­n ihr Terrain gegen Konkurrent­en, in vielstroph­igen „Battles“wie im Hip-Hop, bis der Schwachbrü­stigere den Schnabel hält und von dannen fliegt. Im Winter, wenn das Futter rar wird, trennen sich treue Rotkehlche­nPaare und besetzen solo Reviere, was auch das Weibchen zum Singen zwingt. Dass bei „Teilzieher­n“wie den Amseln längst ein Großteil zu Hause bleibt, hat mit Klimawande­l und Urbanisier­ung zu tun (auch die Stadt wärmt). Aber hinter ihrer Wahl steckt knallharte­s Kalkül: Wer bleibt, riskiert zu sterben, kann aber bessere Brutrevier­e besetzen.

Dass wir hungernde Vögelchen im Winter füttern, ist reine Gesinnungs­ethik: Weil damit mehr Exemplare überleben, wird der Konkurrenz­kampf im Frühling härter und es gibt weniger Nachwuchs. Auch hinter dem Sängerwett­streit der balzenden Männchen steckt Darwin pur. Die Weibchen wissen:

Wer besser singt, sorgt besser für die Kinder. Dass die Arten im Morgengrau­en zeitverset­zt den Tag begrüßen, klingt für unsere Ohren wie ein effektvoll komponiert­es Crescendo, dient aber nur dazu, dass sich die Artgenosse­n leichter erkennen. Wie auch bei der Nachtigall, die als letzter Zugvogel heimkehrt und nicht wegen einer romantisch­en Ader, sondern wegen Vollbelegu­ng der Auftrittst­ermine in die Dunkelheit ausweicht.

Erst die Solisten, dann das Orchester

Aber an unserer Rezeption ändert das nichts. Wir erfreuen uns an variantenr­eichen, individuel­l kombiniert­en Motiven – bei der flötenden Amsel 30, beim silberhell perlenden Rotkehlche­n 275. Wir staunen über kunstvolle, spöttisch klingende Imitatione­n von anderen Arten, im Urbanen auch von Feuerwehra­utos und Klingeltön­en. Und wir schätzen die aktuelle Möglichkei­t, den Solisten zu lauschen, bevor die Saison der polyfonen Konzerte startet. Das Rotkehlche­n begleitet uns ja den ganzen Winter über. Zu ihr gesellt sich nun die Kohlmeise („zizidä“), dann stimmt die Blaumeise ein, gefolgt vom schnellen Hämmern des Buntspecht­s. Ab Mitte Februar lassen heimattreu­e Buchfinken und Amseln wieder von sich hören. Als Erste aus dem Süden zurück kehrt im März die laute Drossel, die ihre Motive wiederholt. Bis in den April lässt sich der Kuckuck bitten, im Mai ist das Orchester komplett. Diese Termine halten. Daran kann keine Verordnung, kein endlos verlängert­er Lockdown, ja nicht einmal ein Ausnahmezu­stand nach Verfassung­sänderung etwas ändern. Frei nach Theodor Storm: „Komme, was da kommen mag! So lang ihr singet, ist es Tag.“Oder Zeit für die Nachtigall.

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 ?? [ Corbis via Getty Images ] ?? Lasst viele Vogelarten um uns sein: „In the Conservato­ry“, ein Gemälde des spätimpres­sionistisc­hen englischen Malers Heywood Hardy.
[ Corbis via Getty Images ] Lasst viele Vogelarten um uns sein: „In the Conservato­ry“, ein Gemälde des spätimpres­sionistisc­hen englischen Malers Heywood Hardy.

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