Zwitschern macht glücklich
Wissenschaft. Die ornithologische Vielfalt einer Region korreliert mit dem Glück der Bewohner, stärker als andere NaturFaktoren. Vögel singen um ihr Leben, wir genießen es ästhetisch. Plus: eine Vorschau auf die anlaufende „Konzertsaison“.
Die ornithologische Vielfalt einer Region geht mit dem Glück der Bewohner einher. Warum Menschen Vogelzwitschern mehr als andere Naturfaktoren genießen.
Es ist kalt, düster, alles hat zu. Der Unmut wächst: Wie es unter unseren Füßen knirscht, so auch im Gemüt. Aber es braucht nur ein einsamer Vogel in dürren Zweigen seine Stimme zu erheben, und schon breitet die Zuversicht ihre Flügel aus. Sie trägt uns transzendierende Wesen fort, wir weilen woanders, jenseits dieser trüben Tage. Was klingt da in uns an, wenn Singvögel zwei Membranen am Eingang ihrer Lunge zum Schwingen bringen? Regt sich ein vergessenes Sensorium, das uns auch mitten in der Stadt in Einklang mit der Natur bringt? Kann man dieses Gefühl Glück nennen?
Eine Erhöhung der ornithologischen Vielfalt um zehn Prozent oder 14 Arten, ausgehend vom Median von 136 Arten pro EURegion, steigert die Lebenszufriedenheit gleich stark wie eine Gehaltsaufbesserung von 15 Prozent: Auf diese prägnante Formel bringt eine deutsche Studie (Ecological Economics, Nr. 181) unser vages Hochgefühl. Die Daten holte sich das Team um Joel Methorst aus Brüsseler Statistiken und Umfragen. Der Kontinent wurde dafür mit einem Raster von 50 mal 50 Kilometern unterteilt. Wie viele Vögel pro Region herumflattern, lässt sich nicht zählen, deshalb die viel stabilere Zahl der Arten als Maß – aber auch, weil ungemischte Massen von Krähen, Tauben oder Möwen uns weniger Freude bereiten.
Vieles deutet auf Kausalität
Macht es also glücklich, die ganze Vogelschar zu hören? Natürlich ist Korrelation noch keine Kausalität. Diese lässt sich nur mit Langzeitstudien oder Experimenten nachweisen. Aber der Zusammenhang ist stark, und in diesem räumlichen Raster viel stärker als bei ähnlichen Variablen: Vielfalt von Bäumen oder Säugetieren, abwechslungsreiche Landschaft, Grünfläche und Klima – nur „leichter Zugang zur Natur“korreliert ähnlich deutlich. Ausschließen lässt sich jedenfalls der materialistische Kurzschluss: Wohlbefinden = Wohlstand = Villa im Grünen = viele Vögel. Nein, der Gesang der Gefiederten und unser Glück haben enger miteinander zu tun – vielleicht sogar direkt.
Fast möchte man meinen, das gelte auch für die Vögel selbst. Sind sie nicht an verregneten und kalten Tagen leiser als sonst, jauchzen sie nicht über Sonne und Frühling? Was uns ästhetisch erfreut, nach Kant unser „interesseloses Wohlgefallen“weckt, ist für die Darbietenden ein Kampfgesang um Überleben und Fortpflanzung. Sie verteidigen ihr Terrain gegen Konkurrenten, in vielstrophigen „Battles“wie im Hip-Hop, bis der Schwachbrüstigere den Schnabel hält und von dannen fliegt. Im Winter, wenn das Futter rar wird, trennen sich treue RotkehlchenPaare und besetzen solo Reviere, was auch das Weibchen zum Singen zwingt. Dass bei „Teilziehern“wie den Amseln längst ein Großteil zu Hause bleibt, hat mit Klimawandel und Urbanisierung zu tun (auch die Stadt wärmt). Aber hinter ihrer Wahl steckt knallhartes Kalkül: Wer bleibt, riskiert zu sterben, kann aber bessere Brutreviere besetzen.
Dass wir hungernde Vögelchen im Winter füttern, ist reine Gesinnungsethik: Weil damit mehr Exemplare überleben, wird der Konkurrenzkampf im Frühling härter und es gibt weniger Nachwuchs. Auch hinter dem Sängerwettstreit der balzenden Männchen steckt Darwin pur. Die Weibchen wissen:
Wer besser singt, sorgt besser für die Kinder. Dass die Arten im Morgengrauen zeitversetzt den Tag begrüßen, klingt für unsere Ohren wie ein effektvoll komponiertes Crescendo, dient aber nur dazu, dass sich die Artgenossen leichter erkennen. Wie auch bei der Nachtigall, die als letzter Zugvogel heimkehrt und nicht wegen einer romantischen Ader, sondern wegen Vollbelegung der Auftrittstermine in die Dunkelheit ausweicht.
Erst die Solisten, dann das Orchester
Aber an unserer Rezeption ändert das nichts. Wir erfreuen uns an variantenreichen, individuell kombinierten Motiven – bei der flötenden Amsel 30, beim silberhell perlenden Rotkehlchen 275. Wir staunen über kunstvolle, spöttisch klingende Imitationen von anderen Arten, im Urbanen auch von Feuerwehrautos und Klingeltönen. Und wir schätzen die aktuelle Möglichkeit, den Solisten zu lauschen, bevor die Saison der polyfonen Konzerte startet. Das Rotkehlchen begleitet uns ja den ganzen Winter über. Zu ihr gesellt sich nun die Kohlmeise („zizidä“), dann stimmt die Blaumeise ein, gefolgt vom schnellen Hämmern des Buntspechts. Ab Mitte Februar lassen heimattreue Buchfinken und Amseln wieder von sich hören. Als Erste aus dem Süden zurück kehrt im März die laute Drossel, die ihre Motive wiederholt. Bis in den April lässt sich der Kuckuck bitten, im Mai ist das Orchester komplett. Diese Termine halten. Daran kann keine Verordnung, kein endlos verlängerter Lockdown, ja nicht einmal ein Ausnahmezustand nach Verfassungsänderung etwas ändern. Frei nach Theodor Storm: „Komme, was da kommen mag! So lang ihr singet, ist es Tag.“Oder Zeit für die Nachtigall.