Leitartikel von Florian Asamer
Ob die Corona-Einschränkungen enden, muss von fix festgelegten Kriterien abhängen und kann sich nicht ständig ändern. So verliert man jeden Rückhalt.
Man
solle doch bitte nicht geöffnete Skilifte gegen geschlossene Schulen ausspielen, hört man da seit Wochen. Natürlich nicht, man soll überhaupt niemanden gegen jemand anderen ausspielen. Auch nicht Wirte gegen Theaterbetreiber, Museen gegen Hoteliers oder Pensionisten gegen Schüler. Keinem Oberwarter, gefangen im ebenen Lockdown, ist damit geholfen, wenn die stillgelegten Gondeln im Bregenzerwald im Winterwind schaukeln. Dass sich Leid halbieren lässt, indem man es großflächig verteilt, stimmt überhaupt nur selten. In der Pandemie jedenfalls bestimmt nicht.
Trotzdem reiben sich gerade viele verwundert die Augen, weil der Lockdown diesmal einfach nicht so wirken will, wie er das im vergangenen Frühling und auch rund um die Adventzeit noch getan hat. Womit auch alle prognostizierten Öffnungsszenarien wieder heftig wackeln. Und dazu könnte man eine gar nicht so steile These aufstellen: Eh klar, weil es ja überhaupt keinen Lockdown gibt. Höchstens einen lockeren mit viel Augenzwinkern und vielen Hintertüren. Für jene, die etwas zu lachen haben, jedenfalls.
Wer im April 2020 die Nase aus dem Fenster streckte, sah ausgestorbene Straßen wie sonst nur kurz vor Noon im Italowestern. Das war und ist in den vergangenen Wochen definitiv anders. Ständig begegnet man Menschen, die nur rasch eine Kleinigkeit besorgen wollten, die eh schon problematische Weihnachtsausnahmen am 21. begannen und bis 28. Dezember ausdehnten, die doch eine Möglichkeit gefunden haben, das neue Jahr in der Gruppe zu begrüßen und sich nach dem eisigen Skitag 300 Kilometer von zu Hause entfernt nicht nur am Feuer zu wärmen. Hier gilt freilich: Wer ohne Ausnahme war, der werfe den ersten Stein.
Allerdings ist es dem Oberwarter nicht zu verdenken, wenn er angesichts von wackligen Handyvideos von staubendem Pulverschnee knapp unterhalb vom Gipfelkreuz vielleicht doch wider besseres inzwischen angehäuftes Amateurvirologenwissen den örtlichen Rodelhügel oder überfüllten Eislaufplatz aufsucht. Wo dann Abstandsregeln natürlich viel schwerer einzuhalten sind als im gut organisierten Liftbetrieb. Und insgesamt einfach der Eindruck entsteht, es werde sich schon nicht so heiß angesteckt wie supergespreadet.
Viel ist und war von mangelnder Eigenverantwortung die Rede. Doch diese kann nur eingefordert werden, wenn nachvollziehbare Regeln vorliegen, die für alle gleichermaßen gelten. Was denkt sich ein Gastronom oder Händler, der volle Skigebiete sieht, aber nicht mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen seinen Lebensunterhalt verdienen darf? Jedenfalls muss das Ende von Einschränkungen an nachvollziehbare Kriterien gebunden sein, die von vornherein klar feststehen. Geht es darum, die Intensivstationen zu entlasten (und wie ist das mit dem großen Verletzungsrisiko im Wintersport vereinbar), und wenn ja, wie sehr? Geht es darum, die Reproduktionszahl unter eins zu drücken, und bis wohin genau? Geht es darum, die täglichen Neuansteckungen unter einen gewissen Wert zu drücken, und wie lautet dieser Wert? Nur wenn diese Zahlen im Vorhinein verbindlich auf den Tisch gelegt werden, können wir alle uns zusammenreißen, um sie auch zu erreichen. Zuerst aber zu sagen, man sperre die Schulen vor den Geschäften auf, oder umgekehrt, und dann: „Vielleicht gar nicht, ihr werdet es schon in der Krone oder bei oe24 erfahren“, geht einfach nicht. So wird sich kein Mensch an diese Vorgaben halten. Und man kann es auch niemandem verübeln. Da wird gern vom Pull-Faktor geredet, wenn es um die Aufnahme von Kindern aus grässlichen Flüchtlingslagern geht, aber niemand sieht, wie sehr es eingesperrte Menschen zu den Liften zieht, wenn sonst alles geschlossen hat?
Die Lösung ist die Corona-Ampel oder ein adaptiertes Äquivalent: am besten drei Farben, die an fix vereinbarten und nicht verhandelbaren Zahlen hängen und die entsprechenden Öffnungs- bzw. Schließungsszenarien festlegen. Sonst werden nur weiter Schulen gegen Skilifte ausgespielt werden. Was außer dem Virus gar niemandem hilft.
E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com