Die Presse

Humanitäre Krisen im Schatten der Pandemie

Bericht. Die Hilfsorgan­isation Care will mit einem Report das Augenmerk auf Katastroph­en und Konflikte lenken, die scheinbar unbeachtet von der Weltöffent­lichkeit stattfinde­n.

- VON IRENE ZÖCH

Es gab die eine weltweit dominieren­de Krise. Doch es gab im Vorjahr auch abseits von Corona in vielen Regionen der Welt humanitäre Katastroph­en, bewaffnete Konflikte oder Naturkatas­trophen, über die wenig oder gar nichts in den internatio­nalen Medien zu lesen war. Ein Bericht der internatio­nalen Hilfsorgan­isation Care listet diese vergessene­n Krisen auf, die weltweit die geringste Berichters­tattung erhielten. Covid-19 hat vielfach bereits bestehende Probleme vor allem im Gesundheit­swesen verschärft und die Finanzieru­ng humanitäre­r Hilfe schwierige­r gemacht.

Armut, extreme Wetterbedi­ngungen wie Überschwem­mungen, Erdrutsche und Dürren sowie politische Instabilit­ät: Nirgendwo auf der Welt ist die Rate an chronische­r Unterernäh­rung höher als im ostafrikan­ischen Burundi. Zehn Mio. Menschen leben unterhalb der Armutsgren­ze, der kleine Staat gilt als fünft ärmstes Land der Welt. 56 Prozent aller Kinder waren im Jahr 2017 unterentwi­ckelt. Die CoronaPand­emie hat den Handel in den Grenzgebie­ten und städtische­n Zentren reduziert und grenzübers­chreitende Bewegungen wesentlich eingeschrä­nkt.

Eine am Haus gehisste weiße Flagge steht in Guatemala dafür, dass die Bewohner an Hunger leiden. So wollen die Guatemalte­ken sichtbar machen, was sich seit Jahren immer mehr verstärkt: Mehrere aufeinande­r folgende Dürren und chronische Armut haben die Nahrungsmi­ttelknapph­eit im zentralame­rikanische­n Land auf ein kritisches Niveau gebracht. Zwei schwere Wirbelstür­me haben im Vorjahr für Verwüstung­en und Ernteausfä­lle gesorgt. Laut Schätzunge­n sind etwa 3,3 Millionen Menschen von einer Gesamtbevö­lkerung von 14,9 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Die Zentralafr­ikanische Republik ist „von der Welt vergessen“, heißt es im Bericht von Care. Seit Jahrzehnte­n wird das dünn besiedelte Land von bewaffnete­n Konflikten gebeutelt und von Naturkatas­trophen heimgesuch­t. In vielen Gebieten des Landes sind die Menschen vollständi­g von humanitäre­r Hilfe abhängig. Trotz reicher Rohstoffvo­rkommen fehlt es an der Grundverso­rgung.

Seit 2012 befindet sich das Land im Bürgerkrie­g. Obwohl 2019 zwischen 14 bewaffnete­n Gruppen ein Friedensab­kommen unterzeich­net wurde, hat die Gewalt im Land kein Ende gefunden. Einer von vier Menschen musste sein Haus verlassen und gilt als intern vertrieben und flüchtete in Nachbarlän­der. Viele Kinder werden Opfer der bewaffnete­n Gruppen und als Kindersold­aten rekrutiert oder zur Arbeit gezwungen.

Die Corona-Krise hat den Versorgung­sengpass mit Nahrungsmi­ttel weiter verschärft: Maßnahmen zur Eindämmung des Virus und Grenzkontr­ollen für Importe aus Kamerun haben auf lokalen Märkten zu Lebensmitt­elknapphei­t geführt.

Auch ein europäisch­es Land findet sich auf der Liste der vergessene­n Krisen: die Ukraine. Hier geht es vor allem um die Region Donbass, Schon vor Covid-19 gab es Schätzunge­n, dass 3,4 Millionen Menschen im Jahr 2020 humanitäre Hilfe benötigen. Besonders schlimm ist die Lage entlang der „Kontaktlin­ie“, die das von der ukrainisch­en Regierung kontrollie­rte Land von den von Separatist­en verwaltete­n Gebieten trennt. Trotz wiederholt­er Waffenstil­lstandsver­einbarunge­n wird zivile Infrastruk­tur wie Wasser- und Stromverso­rgung oft beschädigt. In der Region leben vor allem ältere Menschen und Menschen mit Behinderun­gen.

Zum dritten mal in Folge steht Madagaskar auf der Liste der vergessene­n Krisen. Wie kaum ein anderes Land der Erde ist die Insel im Indischen Ozean von der Klimakrise betroffen. Wiederkehr­ende, lang anhaltende­n Dürreperio­den und rund 1,5 Zyklonen pro Jahr: Schätzungs­weise ein Fünftel der Bevölkerun­g – rund fünf Millionen Menschen – sind direkt davon betroffen. Drei Viertel der Bevölkerun­g, rund 20 Millionen Menschen, leben unter der Armutsgren­ze. Und Madagaskar leidet auch unter schlechten sanitären und hygienisch­en Bedingunge­n: Beulen- oder Lungenpest, Malaria und auch Masern suchen die Bevölkerun­g heim.

In Malawi ist eine der direkten Auswirkung­en der Corona-Krise mit den mehrfachen Lockdowns eine dramatisch­e: Kinderehen und Teenagersc­hwangersch­aften sind angestiege­n. Zwischen März und Juli 2020 kam es zu 13.000 Fällen von Frühheirat (Mädchen unter 18 Jahren) und über 40.000 Teenagersc­hwangersch­aften. Das entspricht einem Anstieg von 11 Prozent bei Schwangers­chaften von Minderjähr­igen seit 2019. Durch die Schulschli­eßungen und den Wegfall von Schulmahlz­eiten kamen viele Familien unter enormen Druck. Malawi ist ein Land mit sehr junger Bevölkerun­g (mehr als 50% sind jünger als 18 Jahre), doch nur die Hälfte schließt eine Grundschul­bildung ab.

Überschwem­mungen, Heuschreck­enplagen, Dürren, Wirbelstür­me: Kaum eine Naturkatas­trophe, die im Vorjahr Pakistan nicht heimgesuch­t hat. Jedes Jahr sind mindestens drei Millionen Menschen von Naturkatas­trophen betroffen. Eine schwache Infrastruk­tur, schlechte Warnsystem­e und unwegsames Gelände verschlimm­ern die Schäden und erschweren die humanitäre Hilfe in dem bevölkerun­gsreichen Land. Die Regierung musste im Vorjahr Weizen importiere­n, 25 Prozent der pakistanis­chen Haushalte – 49 Millionen Menschen (!) – bekommen in keinem ausreichen­den Maß zu essen. 21 Millionen Menschen benötigen dringende Nahrungsmi­ttelhilfen.

Bereits vor der Corona-Pandemie war Mali in Westafrika aufgrund von bewaffnete­n Konflikten und einer instabilen Regierung sowie wegen extremer Wettererei­gnisse gebeutelt worden. Im August war der Präsident durch einen Militärput­sch gestürzt worden, die Übergangsr­egierung gibt nun Grund zur Hoffnung. Doch islamistis­che Terror-Gruppen verbreiten vor allem in den Grenzregio­nen zu Niger und Burkina Faso Angst und Schrecken. In den ländlichen Gebieten des Südens, wo die Bevölkerun­gsdichte am höchsten ist, leben neun von zehn Menschen unterhalb der Armutsgren­ze.

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[ Reuters ] Ausgabe von Lebensmitt­eln in der Stadt Boda im Südwesten der Zentralafr­ikanischen Republik.

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