„Jetzt wäre die Zeit für Experimente“
Verkehr. Navigationsdaten zeigen einen teils starken Rückgang des Verkehrs 2020. Aber auch eine teilweise starke Rückkehr des Autoverkehrs. Eine Verkehrswende brachte Corona nicht.
Wien. Die Stadt war still, als wären die Straßen gesperrt, auf der Ringstraße konnte man spazieren und auch auf Durchzugsstraßen galt wochenlang: völlig freie Fahrt. Die Bilder von März und April 2020 wird niemand schnell vergessen, aber auch danach hat sich das Verkehrsverhalten im ersten Coronajahr verändert.
Wie stark, und wie unterschiedlich sich der Autoverkehr 2020 verändert hat, darüber geben aktuelle Analysen von TomTom Auskunft. Der Kartierungsspezialist hat für seinen Traffic Index Verkehrsdaten aus 57 Ländern und 416 Städten weltweit analysiert. Der Index basiert auf Livedaten aus Fahrzeugen, die mit TomTomSystemen unterwegs sind – zahlreiche Autos mit eingebautem Navi, Nutzer von Mobilnavigation genauso wie Uber-Fahrzeuge. In Summe hat TomTom damit Livedaten aus jedem achten bis zehnten Auto.
Die zeigen: 2020 ist das StauNiveau in Österreich erstmals gesunken. Diese Größe, das Stau-Niveau, bezieht sich auf die „zusätzliche Reisezeit“gegenüber einem völlig freien Verkehrsfluss. Daran erkennt man: War das Stau-Niveau in Wien Anfang 2020 hoch wie 2019, kam es ab März zu einem massiven Rückgang. Mit den Lockerungen ist auch das Stau-Niveau gestiegen, mit den Restriktionen im Herbst ist das Verkehrsaufkommen erneut abgesunken. Der Lockdown light ab November aber hatte einen schwächeren Einfluss als der Lockdown im Frühjahr.
Im April war der Rückgang beinahe doppelt so hoch. In anderen Städten war der Effekt der Pandemie nachhaltiger, in Linz oder Innsbruck war der Rückgang des Verkehrs auch im Herbst deutlicher zu sehen. „Gerade in Städten, in denen der Fokus stark auf Pendlern liegt, hat sich die Situation nachhaltiger verändert“, sagt Oliver Kannenberg aus der Forschungsabteilung von TomTom.
„Wien hat sicher eine Sonderstellung durch den so beliebten öffentlichen Personennahverkehr: Der Anteil ist grundsätzlich hoch, aber aus Angst vor Infektionen gab es sicher eine gewisse Verlagerung auf den Autoverkehr. Auch viele Radfahrer steigen im Winter wieder um, das zeigt sich sofort, indem ab Dezember die Staudaten nach oben gehen.“
Eine weitere Kennzahl für den Rückgang des Verkehrs sind „Low traffic“-Tage, also Tage mit kaum Verkehr: 2020 wurden in Wien 35 solcher Tage gezählt – bis auf Nationalfeiertag und 8. Dezember alle im Frühjahr und Frühsommer. In Graz gab es 40 solcher Tage, einige auch im Herbst. In Innsbruck hingegen wurden das ganze Jahr über, auch im Sommer, „Low traffic“Tage verzeichnet, 67 in Summe. Kannenberg sieht hier sicher auch einen Zusammenhang mit fehlenden Touristen. Und in Linz, das als Wirtschaftszentrum gewöhnlich jeden Tag große Pendlerströme bewältigen muss, zeigten sich sowohl ein stärkerer Rückgang des Zeitverlustes als in Wien als auch eine hohe Zahl an Tagen mit kaum Verkehr: 77 „Low traffic“-Tage, im
Frühjahr wie ab Oktober, weisen auf fehlende Pendler hin.
Was sich einheitlich, so Kannenberg, in Städten gezeigt habe: Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in der Coronazeit, Stichwort Pop-up, hätten auf das Stau-Niveau nirgends nennenswerte Auswirkungen gehabt. „Jetzt ist eine gute Zeit für solche Experimente.“
„Keine Trendwende“
Kannenberg spricht Versuche von Einfahrtsrestriktionen für Stadtzentren ebenso an wie Tempo-30-Zonen. Und er sagt, aus dem Jahr 2020 ließen sich gute Schlüsse für den Mobilitätssektor ziehen, die mit Blick auf die Verkehrswende wichtig seien. Dass manches, das man sich zuvor nicht getraut hätte, keinen großen Effekt habe, etwa.
Vor allem könne man aus der teils raschen Rückkehr des Autoverkehrs schließen, dass Corona nicht die Verkehrswende gebracht hat, von der manche schon in Post-Corona-Utopien gesprochen hatten: Davon geht Ralf-Peter Schäfer, Leiter von Traffic & Travel bei TomTom, auch im Blick auf die weitere Entwicklung aus: „Obwohl das Verkehrsaufkommen 2020 geringer war, können wir nicht von einer Trendwende sprechen. Wir werden erleben, dass das Verkehrsaufkommen zunehmen wird, Menschen werden in alte Routinen zurückkehren. Daher ist jetzt die richtige Zeit für Planer, Entscheidungsträger und Arbeitgeber, eine Bestandsaufnahme zu machen, welche Maßnahmen sie ergreifen, um Straßen in Zukunft zu entlasten.“