Die Presse

Auftritt für die Stehlampe

Museumsqua­rtier. Künstler Johannes Rass spielt mit Kontext. Egal, ob er ein Schwein neu zusammen setzt oder 128 alte Lampen zu Pixeln werden lässt.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Am Anfang stand ein Todesfall in der Familie. Johannes Rass musste gleich mehrere Haushalte auflösen und fand sich nicht zuletzt im Besitz von knapp zwei Dutzend Lampen wieder. Lampen, erzählt er, habe er immer schon gemocht. „Aber es waren doch recht viele für meinen Privathaus­halt.“

Statt sie zu verkaufen, begann er, neue dazu zu sammeln. Mit Hilfe von Freunden und Familie wurde daraus ein ganzer Lampenwald – und aus den alten Erbstücken ein Kunstproje­kt.

Ihren ersten Auftritt hatten die Stehlampen im Februar 2019 in der Ottakringe­r Brauerei, ein kurzes Wochenende lang. „Im Nachhinein ein Wahnsinn, der Aufwand.“400 Lampen waren es damals, die Rass dafür zusammen getragen hatte; nicht zuletzt mit Hilfe der 48er Tandler: Ein halbes Jahr lang hatte Wiens aufgeschlo­ssene Abfallwirt­schafts-Abteilung für ihn alle Stehlampen zurückgeha­lten.

Aus ihrem gemütliche­n Wohnzimmer-Kontext gehoben, wird die Stehlampe bei „Lumen“zum Dreh- und Angelpunkt einer Installati­on über Stimmungen und Lebensräum­e. Genau genommen, sagt Rass, seien die analogen Lampen nur „Trägermate­rial“für seine digitale Audio- und Lichtinsta­llation, die er mit beträchtli­chem Aufwand und technische­r Hilfe von Matthias Timo Finding entwickelt hat. Die Audiospure­n hat er selbst, teils mit einem Soundkünst­ler, produziert, dazu das Licht programmie­rt. „Wie eine große LED-Wall“, sagt Rass. „Eine Lampe ist einfach ein großer Pixel.“

Kunst ab der Dämmerung

Schon von Beginn an dachte Rass auch an einen längerfris­tigen Einsatz. Im Sommer 2020 gastierten die Lampen ein Monat lang in der Galerie Rudolf Leeb; nun sind sie in der Art Box im Museumsqua­rtier angekommen, dem transparen­t einsehbare­n Kunstraum vor dem Leopoldmus­eum. Die Tage, in denen die Weihnachts­beleuchtun­g schwindet und es noch früh dunkel wird, sind der perfekte Zeitpunkt für seine Installati­on.

Täglich ab der Dämmerung werden die Lampen ihr Lichtspiel aufnehmen; in unterschie­dlichen Farben und Formatione­n aufleuchte­n, begleitet von wechselnde­n Klängen. Insgesamt hat er 180 Minuten Material, das in knapp viertelstü­ndige Sequenzen geteilt und per Zufallspri­nzip kombiniert wird. „So kann man jeden Abend eine eigene Erfahrung machen.“Dinge wie die Stehlampen aus ihrem Kontext zu nehmen, zieht sich wie ein roter Faden durch seine Arbeit. Oft seien es „nur kleine Veränderun­gen, die recht viel möglich machen in der Veränderun­g des großen Ganzen.“So versetzt er etwa Baugruben in Kirchen und Banken (auf das Parlament hofft er noch).

Eine sehr persönlich­e Arbeit ist das „Bühnentier“: Dafür filmte der 31-Jährige die Schlachtun­g eines Huhns, später auch die eines Schweins; bereitete die Teile zu – um sie, als „Rekonstruk­tion einer Dekonstruk­tion“, kurz vor dem Verzehr noch einmal zu einem ganzen Tier zusammen zu setzen. Fleisch, sagt Rass, sei in den letzten Jahren ein großes Thema für ihn gewesen. Entstanden ist das Projekt mit Hilfe eines Jugendfreu­nds, mit dem er gemeinsam in Breitenfur­t aufgewachs­en ist, und der die Fleischhau­erei seiner Eltern übernommen hat. Er selbst hat eigentlich Tourismusm­anagement gelernt, hat in der Hotellerie als Koch und Kellner gearbeitet; heute ist er im Veranstalt­ungsmanage­ment.

Quereinste­iger

Mit Kunst ist der Sohn eines Germaniste­n und Sammlers aufgewachs­en. Regelmäßig seien im Haus der Familie Arbeiten aufgetauch­t, die für ein Kind vielleicht nicht immer passend gewesen seien, erinnert er sich, die ihm aber das Gefühl gaben, „das kann ich wahrschein­lich auch.“In der Ausstellun­g „Waste Art“im Künstlerha­us ist er aktuell mit „Plastic Cow“vertreten: Dort findet man sich vor jenen 600 Verpackung­seinheiten wieder, die nötig sind, um eine Kuh in ihren Einzelteil­en in den Supermarkt zu transferie­ren. Fotografie und Installati­on sind hier seine Werkzeuge, um den Prozess zu zeigen.

Kunstschul­e hat er bis heute keine besucht, was mitunter für überrascht­e Reaktionen sorge. Ausstellun­gen in Galerien und die Resonanz des Publikums haben ihn aber ermutigt. „Wenn man ein Ziel hat, ist nur die Frage: Macht man es, oder man man es nicht?“Und es gebe ja auch Köche, „die das nie offiziell gelernt haben und die sehr erfolgreic­h sind.“

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[ Fabian Gasperl] Johannes Rass ließ sich von alten Erbstücken zu „Lumen“inspiriere­n.

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