Die Presse

Ford ist nur noch eine Geistersta­dt in Brasilien

Ford schließt alle Fabriken in Brasilien. Nur eine kleine Stadt wird noch an den US-Autobauer erinnern.

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Fordlandia­ˆ liegt mitten im Amazonasbe­cken in Brasilien. In den 1920er-Jahren wollte der USAutomagn­at Henry Ford hier mit einer Kautschukp­lantage günstig Autoreifen herstellen. Das Projekt floppte, heute ist die Ortschaft mit einst 8000 Einwohnern großteils eine Geistersta­dt, nur ein paar hundert Menschen leben noch in Fordlandia.ˆ

Camacari,¸ Taubate´ oder Belo Horizonte werden zweifellos nicht zu Geisterstä­dten, aber für die Bewohner ist es auf jeden Fall ein schwerer Schlag, was Ford am Dienstag angekündig­t hat: Der USAutobaue­r schließt seine Fabriken in diesen drei Städten, etwa 5000 Menschen verlieren ihren Job. Damit beendet Ford nach 101 Jahren die Fertigung im größten Land Südamerika­s. Das Unternehme­n schreibt wegen der Schließung­en 4,1 Milliarden Dollar ab. Die Autofirma betreibt weiterhin je eine Fabrik in Argentinie­n und eine in Uruguay.

Vorstandsc­hef Jim Farley sprach in einer Mitteilung von einer „sehr schweren, aber notwendige­n“Entscheidu­ng. Camacari¸ und Taubate´ sperren sofort zu, nur Ersatzteil­e werden noch für ein paar Monate gefertigt. Die Fabrik in Belo Horizonte schließt im vierten Quartal. Das Ende der Autofertig­ung in Brasilien sei Teil einer großen, elf Milliarden Dollar schweren weltweiten Umstruktur­ierung, heiß es in der Erklärung Farleys.

Brasiliens Wirtschaft­sministeri­um bedauerte die Entscheidu­ng. Sie stehe im Widerspruc­h zu der starken Erholung, die in den meisten Industriez­weigen des Landes zu beobachten sei. Die Metallarbe­itergewerk­schaften riefen zu Demonstrat­ionen auf.

Ford hat internatio­nal schon länger Schwierigk­eiten und verdiente zuletzt nur noch auf dem US-Heimatmark­t Geld. Neben Europa ist Südamerika für das USUnterneh­men ein großes Problemgeb­iet, im vergangene­n Quartal fiel dort ein Betriebsve­rlust von 108 Millionen Dollar an.

In Brasilien verkaufte Ford 2020 nach Daten des Nationalen Verbandes der Kraftfahrz­eugherstel­ler (Anfavea) 119.454 Autos – ein Rückgang um 39,2 Prozent im Vergleich zu 2019.

Vor zwei Jahren hatte der Autoherste­ller bereits sein mit mehr als 50 Jahren ältestes Werk in Brasilien in Sao˜ Bernardo do Campo im Großraum Sao˜ Paulo geschlosse­n. Ford war vor Volkswagen der erste große Autobauer in Brasilien und feierte 2019 sein 100-Jahr-Jubiläum in dem Land. VW gründete erst 1953 eine Tochterges­ellschaft in Brasilien.

Sein regionales Hauptquart­ier in Sao˜ Paulo will Ford nach eigenen Angaben behalten, auch der Kundenserv­ice und die Vertriebsa­ktivitäten in Südamerika­s größter Volkswirts­chaft sollen erhalten bleiben. Die Fahrzeuge werden künftig vor allem aus Argentinie­n und Uruguay importiert.

Der Schritt des US-Autobauers ist angesichts der sinkenden Erträge nachvollzi­ehbar. Es wird zweifellos auch nicht die letzte Bereinigun­g gewesen sein, die es im heurigen Jahr in der Autobranch­e gibt. Zu groß ist der Druck auf die Industrie. Zum teuren Wandel der Antriebe hin zum Elektroaut­o und den Arbeiten an autonom fahrenden Autos kam 2020 auch noch die Coronakris­e. Und die Folgen des Virus sieht man deutlich an den Statistike­n.

Großer Rückgang in Europa

Der weltgrößte Autobauer, VW, musste etwa bei seiner Kernmarke im vergangene­n Jahr einen Rückgang von 15,1 Prozent hinnehmen. Das teilte das Unternehme­n am Dienstag in Wolfsburg mit. Weltweit brachte die Marke im abgelaufen­en Jahr rund 5,3 Millionen Pkw an die Kunden.

Um etwa ein Fünftel gaben die Verkäufe bei der VW-Tochter Sko-ˇ da nach, ähnlich hoch war der Rückgang beim französisc­hen Autobauer Renault. Die Franzosen verzeichne­ten 2020 konkret einen Absatzrück­gang von 21,3 Prozent,

Skodaˇ musste ein Minus von 19,1 Prozent verkraften.

Beim bayerische­n Hersteller BMW hat der Aufschwung in China den Corona-Einbruch abgefedert. Die Münchner verkauften 2020 mit 2,3 Millionen Autos um 8,4 Prozent weniger als im Jahr davor, nachdem sie noch im Dezember einen Rückgang um etwa zehn Prozent befürchtet hatten. Im vierten Quartal stand sogar ein Absatzplus von 3,2 Prozent auf 686.069 Fahrzeuge der Marken BMW, Mini und Rolls-Royce zu Buche, wie das Unternehme­n mitteilte.

Insgesamt hat der Automarkt in Westeuropa 2020 mit einem dicken Minus von 24,5 Prozent gegenüber 2019 abgeschlos­sen. In den 18 Ländern Westeuropa­s (EU 14 sowie Großbritan­nien, Island, Norwegen, Schweiz) wurden in Summe 10,8 Millionen Pkw-Neuwagen verkauft. So schlecht wie im Jahr 2020 war der westeuropä­ische Automarkt seit 20 Jahren nicht, berichtete Ferdinand Dudenhöffe­r von der Universitä­t Duisburg-Essen. (red./ag.)

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[ Reuters ] Bereits 2019 schloss Ford seinen Standort in Sao˜ Bernardo do Campo (Bild), nun folgen die restlichen Fabriken.

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