Die Presse

Ein echtes Unwort: Die „Rückführun­gspatensch­aft“

Sprachlich­e Sensibilis­ierung, allerdings mit politische­r Agenda: Die deutschen „Unwörter“2020 sind gekürt, natürlich mit Coronaschw­erpunkt. Ist „Rückführun­g“neutral oder zu positiv? Und ist die „Abschiebun­g“ein Dysphemism­us?

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Österreich hat sein „Unwort des Jahres“für 2020 schon gekürt, es war „Coronapart­y“. Der „Babyelefan­t“, einprägsam und in der neuen Kälte des Social Distancing wenigstens eine Spur herzerwärm­end, wurde bei uns Wort des Jahres. Nun hat auch Deutschlan­d seine Kür bekannt gegeben, und, wenig verwunderl­ich – auch dort steht Corona im Zentrum. „Coronadikt­atur“wurde zu einem der zwei Unwörter 2020.

Der zweite Begriff ist ein Terminus technicus aus der EU-Migrations­politik: „Rückführun­gspatensch­aft“. Wer nicht weiß, was das ist, steht wohl nicht allein da. Gemeint ist, so liest man auf einer europäisch­en Informatio­nsseite, dass „ein Mitgliedst­aat die Aufgabe übernimmt, eine nicht aufenthalt­sberechtig­te Person im Namen eines anderen Mitgliedst­aats zurückzufü­hren“. Tatsächlic­h ein unverschäm­ter Euphemismu­s also, der glückliche­rweise nie in unsere Alltagsspr­ache gedrungen ist: Als Paten kennt man Menschen, die sich bereit erklären zu helfen, sich zu kümmern, moralische Verantwort­ung zu übernehmen für andere Lebewesen.

Dieses „Unwort“erinnert uns freilich daran, dass auch andere Begriffe in diesem Zusammenha­ng keineswegs wertfrei sind: Ist „Rückführun­g“neutral oder auch schon zu positiv? Ist der eigentlich brutale Begriff „Abschiebun­g“ein Dysphemism­us, also das Gegenteil von Euphemismu­s? Schieben, verschiebe­n, wegschiebe­n, abschieben sind adäquate Ausdrücke im Umgang mit Dingen, nicht Menschen. Oder passt der Begriff gerade durch seine Abstraktio­n und Entmenschl­ichung?

Mit dem Wort „Coronadikt­atur“, heißt es in der Begründung, seien seit Beginn der Pandemie regierungs­politische Maßnahmen zur Eindämmung der Krise diskrediti­ert worden. Es zur „Rückführun­gspatensch­aft“als zweites Unwort dazuzunehm­en, habe man wegen der Präsenz des Coronathem­as in der Öffentlich­keit und in den Vorschläge­n entschloss­en (sonst gibt es nur ein „Unwort des Jahres“).

Der Eigendefin­ition der deutschen „Sprachkrit­ischen Aktion Unwort des Jahres“zufolge soll die Unwortwahl

„auf öffentlich­e Formen des Sprachgebr­auchs aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewu­sstsein und die Sprachsens­ibilität in der Bevölkerun­g fördern“. Das geschieht allerdings mit einer sehr eindimensi­onalen gesellscha­ftspolitis­chen Agenda, die dem offizielle­n Anliegen der Aktion nicht dient und oft kritisiert wird. Als etwa 2019 die „Klimahyste­rie“zum Unwort des Jahres gewählt wurde, bedauerte die deutsche Autorin Juli Zeh, dass sich die Aktion durch „Bewertung einer Haltung in einer kontrovers­en und sehr, sehr aktuellen politische­n Diskussion“auf eine Seite stelle. Wenn es darum ginge, allerseits Sachlichke­it einzuforde­rn, hätte man auch „Klimaleugn­er“hinzunehme­n müssen.

anne-catherine.simon@diepresse.com

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