Ein echtes Unwort: Die „Rückführungspatenschaft“
Sprachliche Sensibilisierung, allerdings mit politischer Agenda: Die deutschen „Unwörter“2020 sind gekürt, natürlich mit Coronaschwerpunkt. Ist „Rückführung“neutral oder zu positiv? Und ist die „Abschiebung“ein Dysphemismus?
Österreich hat sein „Unwort des Jahres“für 2020 schon gekürt, es war „Coronaparty“. Der „Babyelefant“, einprägsam und in der neuen Kälte des Social Distancing wenigstens eine Spur herzerwärmend, wurde bei uns Wort des Jahres. Nun hat auch Deutschland seine Kür bekannt gegeben, und, wenig verwunderlich – auch dort steht Corona im Zentrum. „Coronadiktatur“wurde zu einem der zwei Unwörter 2020.
Der zweite Begriff ist ein Terminus technicus aus der EU-Migrationspolitik: „Rückführungspatenschaft“. Wer nicht weiß, was das ist, steht wohl nicht allein da. Gemeint ist, so liest man auf einer europäischen Informationsseite, dass „ein Mitgliedstaat die Aufgabe übernimmt, eine nicht aufenthaltsberechtigte Person im Namen eines anderen Mitgliedstaats zurückzuführen“. Tatsächlich ein unverschämter Euphemismus also, der glücklicherweise nie in unsere Alltagssprache gedrungen ist: Als Paten kennt man Menschen, die sich bereit erklären zu helfen, sich zu kümmern, moralische Verantwortung zu übernehmen für andere Lebewesen.
Dieses „Unwort“erinnert uns freilich daran, dass auch andere Begriffe in diesem Zusammenhang keineswegs wertfrei sind: Ist „Rückführung“neutral oder auch schon zu positiv? Ist der eigentlich brutale Begriff „Abschiebung“ein Dysphemismus, also das Gegenteil von Euphemismus? Schieben, verschieben, wegschieben, abschieben sind adäquate Ausdrücke im Umgang mit Dingen, nicht Menschen. Oder passt der Begriff gerade durch seine Abstraktion und Entmenschlichung?
Mit dem Wort „Coronadiktatur“, heißt es in der Begründung, seien seit Beginn der Pandemie regierungspolitische Maßnahmen zur Eindämmung der Krise diskreditiert worden. Es zur „Rückführungspatenschaft“als zweites Unwort dazuzunehmen, habe man wegen der Präsenz des Coronathemas in der Öffentlichkeit und in den Vorschlägen entschlossen (sonst gibt es nur ein „Unwort des Jahres“).
Der Eigendefinition der deutschen „Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres“zufolge soll die Unwortwahl
„auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern“. Das geschieht allerdings mit einer sehr eindimensionalen gesellschaftspolitischen Agenda, die dem offiziellen Anliegen der Aktion nicht dient und oft kritisiert wird. Als etwa 2019 die „Klimahysterie“zum Unwort des Jahres gewählt wurde, bedauerte die deutsche Autorin Juli Zeh, dass sich die Aktion durch „Bewertung einer Haltung in einer kontroversen und sehr, sehr aktuellen politischen Diskussion“auf eine Seite stelle. Wenn es darum ginge, allerseits Sachlichkeit einzufordern, hätte man auch „Klimaleugner“hinzunehmen müssen.
anne-catherine.simon@diepresse.com