Raucherhusten gegen Covid-Elend
Sleaford Mods. Auf „Spare Ribs“wütet das britische Elektropunkduo gegen falsche Pandemiepolitik, den Brexit sowie den Politikberater Dominic Cummings.
Als „perfectly pissed off“werden die besten Songs der Sleaford Mods gern von lokalen Medien beschrieben. Und doch hat sich viel getan, seit sich die aus Nottingham stammenden Herren Jason Williamson und Andrew Fearn 2011 zusammengetan haben, um ihrer unbändigen Wut Ausdruck zu verleihen. Brennstoff ihrer Stücke war zunächst persönlicher Zorn, genährt von Aussichtslosigkeit und einer strikten Diät aus Kokain und Alkohol. Als der unerwartete Erfolg einsetzte, wurde das Duo clean und begann, über die politischen Ursachen des Ungemachs der britischen Arbeiterklasse zu singen und zu rappen. Dies genauso brutal und pointiert wie zuvor in ihren persönlichen Tiraden. Die minimalistische Musik der Sleaford Mods lockt noch immer nicht in eskapistische Pseudoparadiese, sondern adressiert in aller Schärfe die triste Realität der armen Leute Großbritanniens.
„Spare Ribs“, das siebente Album, ist einmal mehr ein harscher Reality-Check. Covid-19-Lockdown und Brexit bereichern die Themenpalette. Viel Gift spritzt Williamson in „Shortcummings“, in dem es gegen den mittlerweile geschassten Boris-Johnson-Berater Dominic Cummings geht. Dieser Kopf der „Vote Leave“-Bewegung, bekannt für seinen roten Bus, hat die Lüge lanciert, dass Großbritannien wöchentlich 350 Millionen Pfund an die EU zahle, die besser im NHS (National Health Service) aufgehoben wären. Auch die Zerschlagung des öffentlich-rechtlichen Auftrags der BBC war ein zentrales Anliegen von Cummings. „He’s gunna get all his dreams, he’s got short, short, short shortcummings“, bellt Williamson hämisch in typisch hartem Midlands-Akzent. Sein hingepöbelter Sprechgesang räkelt sich auf einem Nagelbett aus rollenden Bassfiguren und reduzierten Beats. Provokant stellt er Fragen wie: „What do you get for killing me?“
Erstmals mit – starken – Frauenstimmen
Früher tat man die Sleaford Mods mit dem Hinweis ab, dass sie wie ein Mix aus The Fall und The Streets klängen, also nur so etwas wie „more of the same“wären. Das greift zu kurz. Längst haben sie mit den für sie typischen Anleihen an Grime und anderen elektronischen Genres ihren ganz eigenen Sound entwickelt. Die B-Seite der Hitsingle „Mork ’n’ Mindy“ist sogar ein funky Instrumental, das Tanzflächen füllen kann. Neu ist auch, dass erstmals Frauenstimmen zu hören sind. Punkto Zusammenarbeit mit Kollegen waren sie bislang zurückhaltend. Einzig mit The Prodigy haben sie einmal aufgenommen: „Ibiza“, eine herrlich krude Nummer, die britische Billigurlauber auf die Schippe nahm. Auf „Spare Ribs“verbünden sich die Sleaford Mods mit drei wilden Damen. Zum einen mit der britischen Anarchistin und Akademikerin Lisa McKenzie von der Durham University. Ihre Stimme ist auf „Top Room“zu hören. Auf „Mork ’n’ Mindy“brilliert die 30-jährige Billy Nomates, die im letzten August ihr empfehlenswertes Debütalbum präsentiert hat. „You go too high, too low, it doesn’t make a difference, I know. You go too high, too low, but the system won’t go“, singt sie mit einer von schlechten Erfahrungen geformten Stimme.
Noch mehr im Modus des Aufruhrs ist das Organ der Australierin Amy Taylor. Das Stück heißt „Nudge It“und richtet sich gegen jene Kollegen, die auf Arbeiterklasse machen, ohne es zu sein. Williamson hatte insbesondere die Band The Idles im Sinn, Zeilen wie „Stood outside an high-rise, trying to act like a gangster“wenden sich gegen jene Wohlstand-Kids, die in noblen Wohngegenden auf Gangsterpantomine machen.
Gegen eine andere Art von Heuchlern unter Musikerkollegen richtet sich das funky „Elocution“mit seinem rührenden Refrain „I wish I had the time to be a wanker just like you“. Es handelt von jenen, die Lippenbekenntnisse für unabhängige Veranstaltungsorte abgeben, insgeheim aber hoffen, wegen guter Nachfrage in größere Hallen „hochverlegt“zu werden. Special Effects wie Raucherhusten und Furzgeräusche hört man in „Out There“, der Beschreibung des Alltags der armen Leute in Zeiten von Pandemie und Brexit. Mit der ihm eigenen Poesie verflucht Williamson insbesondere den Austritt aus der EU. „Get Brexit punched, let’s get Brexit fucked by an horse’s penis until its misery splits“: Da schleicht sich noch die alte sexismusverdächtige Sprache von Williamson ein. Facebook-Freunde kennen ihn längst anders. Da gibt es Filme, die ihn in Hausschürze und mit Staubsauger zeigen.
Ein Engländer wolle er jedenfalls nicht mehr sein, erklärte er jüngst der „Irish Times“. Das Ringen um den Brexit habe das wahre Gesicht des Engländers gezeigt: „Engstirnig, ungebildet, faul, rassistisch und irgendwie privilegiert.“Gutes Feindbild.