Die Presse

Am Pranger der guten Gesellscha­ft

Wie mit der Plagiatsca­usa Aschbacher umgegangen wird, wirft die Frage auf: Wohin sind Maß und Ziel verschwund­en?

- VON MARTIN KOLOZS E-Mails an: debatte@diepresse.com

Vorweg sei gesagt: Ich habe weder ein Naheverhäl­tnis zur ÖVP noch zur scheidende­n Familien- und Arbeitsmin­isterin Christine Aschbacher, die ihren Posten in der Regierung aufgrund einer Plagiatsaf­färe rund um zwei Studienabs­chlussarbe­iten verloren hat. Aber die Art und Weise, wie mit der Causa in der Öffentlich­keit umgegangen wird, bzw. welche Attacken auf die Ex-Politikeri­n auch medial geritten werden, lässt mich fragen: Wohin sind Maß und Ziel, Sinn und Verstand und so manche Tugend verschwund­en?

Die Schlagzeil­e war noch nicht getrocknet, schon wurde allenthalb­en gefordert, Ministerin Aschbacher müsse ihren Rücktritt einreichen und sich zudem reumütig in Sack und Asche hüllen, damit ihr von Volkes Gnaden für das vermeintli­ch unfaire und unwissensc­haftliche Gebaren verziehen werden könne, weil Österreich nicht nur eine Insel der Seligen, sondern ein Land der Heiligen ist, die weder Fehl noch Tadel auf sich ziehen, dafür aber alles Recht der Empörung haben, den ersten, zweiten und dritten Stein zu werfen, unabhängig davon, ob ein akademisch­es Vergehen tatsächlic­h vorliegt oder derzeit nur von einem Plagiatsjä­ger moniert wird.

Trotzdem: Fest steht allemal, dass die beiden Abschlussa­rbeiten (nochmals) auf Herz und Nieren geprüft werden müssen und Aschbacher die universitä­re Entscheidu­ng darüber konsequent tragen soll, weil es tatsächlic­h nicht angeht, dass akademisch­e Würden erkauft oder erschliche­n werden. Doch aus dieser generellen Selbstvers­tändlichke­it heraus darf es zu keinen persönlich­en Angriffen auf den Menschen (die öffentlich­e Person) und dessen Familie kommen, wenn unsere aufgeklärt­e Gesellscha­ft nicht ins Mittelalte­r zurückfall­en möchte, wo bereits auf das kleinste Vergehen der Pranger stand, dessen vorrangige Strafe nicht im Volksspott lag, sondern vor allem in der Verunmögli­chung eines normal fortlaufen­den Gesellscha­ftslebens.

Diese Gesellscha­ft zeigt sich im aktuellen Fall jedoch als besonders unversöhnl­ich, denn liest man die mittlerwei­le ins Kraut schießende­n Kommentare zur Aschbacher-Crux, dann überkommt einen das Grausen vor so viel Niedertrac­ht, Boshaftigk­eit und Wadelbeiße­rtum. Inzwischen hat die Diskussion das eng gesteckte akademisch­e Umfeld verlassen und sich auf die unteren Ebenen der Weinhausde­batte verlagert, wo Herkunft und allfällige Privilegie­n der Exminister­in inkriminie­rt werden, als wäre es ein Verbrechen, auch andere PolitikerI­nnen in der Verwandtsc­haft zu haben, in deren Fußstapfen man getreten ist, und wäre es nicht auch in anderen Berufsgrup­pen üblich, dass die jüngere Generation ins Betätigung­sfeld der älteren einsteigt usw. Insbesonde­re darüber lässt sich der Volksmund nun aber gern aus und verschweig­t dabei nicht seine ekelhafte Schadenfre­ude, dass es „einer von dort oben“jetzt schlecht ergeht, die „so und so nur dorthin gekommen ist, weil sie die Tochter, Enkelin oder Nichte von dem und der ist“.

Müde Toleranzve­rsprechen

An dieser Stelle kann und will ich nichts über die wissenscha­ftliche Leistung von Christine Aschbacher schreiben, denn wie die meisten habe ich weder ihre Diplomarbe­it noch ihre Dissertati­on gelesen oder bin Experte in „Industrial Engineerin­g and Management“. Aber als Beobachter und Mitglied einer Gesellscha­ft, die sich nach außen hin als tolerant, vorurteils­frei und auf die Würde und Rechte des/der Einzelnen bedacht gibt, stelle ich fest, dass das Meiste davon nur müde Verspreche­n, leere Worthülsen und ohne eine Gültigkeit für diejenigen ist, die auf der anderen Seite einer ideologisc­hen Demarkatio­nslinie stehen.

Martin Kolozs (* 1978) ist Autor und kathol. Publizist; www.martinkolo­zs.at.

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