Geistesdiebinnen haben keinen Stil
Bildet die Grenze zwischen dem redlichen Wissenschaftler und dem unredlichen Dieb geistigen Eigentums.
Mit dem „Sakrileg“Abschreiben hat sich schon der kalifornische Dramatiker Wilson Mizner (1876–1933) befasst: Aus einem Buch abschreiben ist ein Plagiat, aus zwei ein Essay, aus drei eine Kompilation und aus vier eine Dissertation.
Das Plagiat wird vom lateinischen plagium abgeleitet und heißt „Menschenraub“, womit die Vorlage fremden geistigen Eigentums als eigenes gemeint ist. Der älteste Fall ist aus dem Rom des ersten Jahrhunderts nach Christus belegt, wo der unbedeutende Poetaster Fidentinus Gedichte des Verseschmieds Martial als seine bekannt gemacht hat. Solche Taten wurden schon damals geächtet. Im Lauf der Geschichte wurde so viel gestohlen, dass einem der Platz fehlen würde, die „Dichter“auch nur exemplarisch hinreichend zu würdigen.
Freilich darf das Zitieren nicht mit dem Plagiieren verwechselt werden. Die Wiedergabe eines Zitats unter Angabe der Quelle wird kein Problem sein. Eine Dissertation wird ohne Zitate nie auskommen. Es wäre unakademisch, Forschungsergebnisse nicht „einzubauen“. Die Resultate der gelehrten Vorfahren liefern die Bausteine für das eigene und – hoffentlich – neue wissenschaftliche Gebäude.
Das Urheberrecht unterscheidet das „kleine“und „große Zitat“. Der Oberste Gerichtshof hat 1995 zu Recht erkannt, dass es zulässig ist, „in eine Dissertation im Rahmen des wissenschaftlichen Großzitats eine größere Zahl von Zitaten aufzunehmen, wenn der Schwerpunkt auf der eigenen geistigen Leistung des Zitierenden liegt“. Das „Kleinzitat“muss auf den „durch den Zweck gebotenen Umfang“beschränkt sein, wie es in einer Entscheidung von 1982 heißt.
Die Plagiate sind darauf zurückzuführen, dass der heutige wissenschaftliche Nachwuchs, der vor dem Abschreiben nicht zurückschreckt, nicht mehr korrekt zitieren kann. Soll heißen, er handelt fahrlässig. Ich glaube nicht, dass alles von einem Plagiatsvorsatz herrührt. Die Versuchung ist groß; größer als bei materiellen Dingen, zumal das immaterielle, geistige Werk jedermann haptisch und virtuell unbeschränkt zugänglich ist. Gefinkelter ist das Ideenplagiat, das das Ergebnis übernimmt, ohne den Urheber zu nennen, was vorkommen soll. Nachgewiesen werden kann es selten. Das Ideenplagiat darf jedoch nicht mit der Umsetzung einer literarischen Grundidee verwechselt werden. Ein und dasselbe Sujet wird sich in der Literaturgeschichte zigmal wiederfinden, beispielsweise der Kaspar-Hauser-Stoff. Bei Rechtshändeln kommt nichts heraus, weil das Ideenplagiat kaum beweisbar ist.
Vergleichen Sie in einer ruhigen Minute Kafkas „Verwandlung“und Handkes „Stunde der wahren Empfindung“. Ein Sujet. Aber nicht einmal der kühnste Germanist würde ernsthaft behaupten, ein Großer hätte hier von einem Unerreichbaren abgekupfert.
Eines aber darf ich ungestraft tun: von mir selber abschreiben. Die Wissenschaft spricht von einem Autoplagiat. Und mit aller Arroganz kann ich sagen, dass ich mir damit wenigstens nicht meinen Stil verhaue. Daraus folgt, dass die Geistesdiebe entweder keinen Stil haben oder kein Unrechtsbewusstsein. Beides schlimm genug. Janko Ferk (geb. 1958) ist Jurist, Schriftsteller, zuletzt erschien sein wissenschaftlicher Essayband „Kafka, neu ausgelegt“(Leykam).