Die Presse

Der Präsident, seine Feinde und die wilde Freakshow im Kapitol

Der „Trumpismus“verschärft die Spaltung der Gesellscha­ft, auf die er reagiert. Das amerikanis­che Modell des Multikultu­ralismus ist gescheiter­t.

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Ein Putsch ist eine zu ernste Angelegenh­eit, um sie Dilettante­n zu überlassen. Amerikanis­che Präsidente­n wissen das, schließlic­h hat die CIA eine ganze Reihe von Staatsstre­ichen inszeniert und sich oft genug fürchterli­ch blamiert. Wer ohne profession­elle Betreuung und Aussicht auf Erfolg einen Staatsstre­ich anzettelt, begeht – frei nach Talleyrand – etwas noch Schlimmere­s als ein Verbrechen, nämlich eine Dummheit. Vor allem braucht man einen Plan, denn die Spontaneit­ät der Massen erzeugt nur Chaos. Wie soll es nach dem Sturm auf ein Parlament weitergehe­n? Wie stellt man sicher, dass sich die Armee freundlich oder zumindest neutral verhält? Wie und mit welchem Personal besetzt man Rundfunk- und Fernsehans­talten? Wer verliest die politische Erklärung? Und vor allem: Was soll sie enthalten?

Die Resolution zur Amtsentheb­ung, die von der demokratis­chen Abgeordnet­en Ilhan Omar eingebrach­t wurde, wirft Donald Trump vor, zu Gewalt aufgerufen und einen Putschvers­uch „orchestrie­rt“zu haben. Omar bleibt den Beweis dafür jedoch ebenso schuldig wie Trump für seine Behauptung, er hätte bei der Präsidente­nwahl Joe Biden geschlagen.

Die Fotos und Videos, die im Kapitol gemacht wurden, lassen weniger an den Sturm auf den Winterpala­st denken als an eine entgleiste Freakshow an einem Tag der offenen Tür. Ordner wiesen bizarr kostümiert­en „Aufständis­chen“den Weg zu den Büros der Parlamenta­rier, Selfies wurden geschossen, da und dort wurde Gras geraucht. Einer gestand grinsend, er habe die Toilette benutzt, ohne die Spülung zu betätigen. Ein anderer fläzte sich in den Schreibtis­chsessel von Nancy Pelosi und klaute ihr Notebook.

„Es herrschte eine merkwürdig­e Mischung aus Konfusion und Erregung, und anfangs verstärkte die fast völlige Abwesenhei­t der Polizei das Gefühl der Gesetzlosi­gkeit“, berichtete die „New York Times“. Dann rastete der Mob aus, schlug Fenster und Türen ein. Ein Polizist erschoss eine unbewaffne­te Trump-Anhängerin, ein anderer starb an den Verletzung­en, die ihm mit einem Feuerlösch­er zugefügt wurden.

Für das Kapitol gelten strenge Sicherheit­sbestimmun­gen, seit puertorica­nische Nationalis­ten im Senat das Feuer eröffneten (1954) und linke Terroriste­n Bomben legten (1971 und 1983). Für den Schutz des Gebäudes sind 2000 (!) Polizisten zuständig. Warum haben sie versagt, obwohl das FBI vor gewaltbere­iten Rechtsextr­emisten gewarnt hatte? Steckte dahinter die Absicht, Ausschreit­ungen zuzulassen, um Trump und seine Anhänger zu diskrediti­eren?

Die politische Verantwort­ung für dieses Chaos trägt dennoch der Präsident. Die Ermittlung­en haben nur ergeben, dass es bei den Wahlen Unregelmäß­igkeiten gab, aber nicht in einem wahlentsch­eidenden Ausmaß. Trump hat nicht zur Gewalt aufgerufen, aber durch seine Unfähigkei­t, eine Niederlage hinzunehme­n, verschärft er eine gesellscha­ftliche Krise, die er zu lösen vorgibt. In Wirklichke­it ist der „Trumpismus“selbst schon ein Ergebnis dieser Krise.

Noch in den 1960er-Jahren kamen drei Viertel der Einwandere­r aus Deutschlan­d, England, Irland, Italien und Polen. Seither verzichten die USA jedoch darauf, die Immigratio­n zu steuern, um das ethnische Gefüge stabil zu halten. Von der Entdeckung Amerikas bis 1965 waren 43 Millionen Personen eingewande­rt. In den folgenden 55 Jahren kamen weitere 59 Millionen – zu viele für den „Schmelztie­gel“. Den USA kam das Minimum an Homogenitä­t abhanden, die eine Gesellscha­ft braucht, um nicht auseinande­rzufallen. Ein gemeinsame­r Staat setzt ein gemeinsame­s Erbe und ein gemeinsame­s Selbstvers­tändnis voraus. Das ist der Grund, warum demokratis­ch verfasste multiethni­sche Staaten scheitern.

Die USA sind aus einer Sezession hervorgega­ngen. Am Ende könnte nur eine bis zur Sezession radikalisi­erte Dezentrali­sierung einen Ausweg aus der Sackgasse bieten, in die das amerikanis­che Modell geraten ist.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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