Erschütternd ja, aber eine neue Reichspogromnacht?
Von Papst Franziskus bis Arnold Schwarzenegger. Wie man richtig Lehren aus der Vergangenheit zieht und die Frage: Wann sind NS-Vergleiche okay?
Ich bin mir der Reichskristallnacht, oder der Nacht des zerbrochenen Glases, sehr bewusst“, erzählte ein sichtlich erschütterter Arnold Schwarzenegger am Wochenende in einem Video. „Mittwoch war der Tag des zerbrochenen Glases hier in den USA.“Es war jener Tag, an dem Trump-Anhänger in das US-Kapitol eindrangen. Ein schockierendes Ereignis, keine Frage, aber eine neue Reichspogromnacht?
Schwarzeneggers Rede ist problematisch, weil er sich einer Gleichsetzung bedient. Diese unterscheidet sich vom Vergleich dadurch, dass Zweiteres ein Prozess ist, in dem differenziert wird: Was ist gleich, was ist anders? Historische Ereignisse kann – und soll – man vergleichen, aber eine Gleichsetzung ist nie korrekt und hat deshalb in politischen Reden nichts zu suchen.
Nun gut, könnte man meinen, Schwarzenegger hält keinen historischen Vortrag, sondern verbreitet eine emotionale Botschaft. Aber er hätte in einem Satz darauf hinweisen können, dass bei der Reichspogromnacht ein diktatorisches Regime die Zerstörung von Geschäften und Gebetshäusern einer verfolgten Minderheit veranlasste, hingegen beim Sturm auf das Kapitol das Zentrum einer demokratisch gewählten Macht – erfolglos – attackiert wurde.
Alternativ hätte er in den Geschichtsbüchern lesen und entdecken können, dass ein Vergleich mit dem gescheiterten Bierkellerputsch der Nazis 1923 passender gewesen wäre. Die Täter – darunter Hitler – wurden in ihrer Gefährlichkeit nicht ausreichend ernst genommen, der Putsch wurde von der NSDAP später glorifiziert. Das sind historische Parallelen, die relevant sind. Warum Schwarzenegger es nicht getan hat, ist klar: Es wäre weniger wirkungsvoll gewesen, weil der Öffentlichkeit das historische Wissen fehlt.
Schwarzenegger hätte auch darauf verzichten können, die aktuellen Ereignisse mit der NS-Zeit zu vergleichen. Dieser Versuchung widerstehen die wenigsten. Es sind nicht nur jene Coronaleugner und Impfgegner, die sich gelbe Sterne mit „Ungeimpft“-Aufschrift anheften oder mit Sophie Scholl und Anne Frank vergleichen. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums stehen Menschen wie Papst Franziskus, der 2017 die Lager auf den griechischen Inseln kritisierte: „Viele Flüchtlingslager sind Konzentrationslager – wegen der Menge an Menschen darin.“
Wann ist ein Vergleich gerechtfertigt, wann nicht? Je genauer auf einen bestimmten Aspekt eingegangen wird, desto besser. Auch der Schriftsteller Michael Köhlmeier sprach anlässlich des Holocaust-Gedenktages 2018 vor dem Parlament über die Parallelen zwischen der Flüchtlingspolitik und der NS-Zeit: „Es hat auch damals schon Menschen gegeben, auf der ganzen Welt, die sich damit brüsteten, Fluchtrouten geschlossen zu haben.“Das ist historisch korrekt, somit zulässig. Zudem ist der Kontext entscheidend. Mit welchem Ziel wird der Vergleich angestellt? Bei einer Gedenkrede über die Lehren aus der Geschichte zu sprechen, ist das, was erwartet wird. Anders, wenn der Vergleich genutzt wird, um sich als Opfer darzustellen, wie es etwa die Corona-„Querdenker“tun – oder Ex-FPÖ-Chef Heinz Christian Strache, der die Burschenschafter beim Akademikerball 2012 als „die neuen Juden“bezeichnete, weil er sich von den Gegendemonstrationen bedroht fühlte.
Es empfiehlt sich eine Gegenprobe: Findet man einen anderen historischen Vergleich, der ohne die NSZeit auskommt? Nicht nur bei den Nazis gab es überfüllte Lager oder wurden Gebäude zerstört. Vergleiche „wollen in der Regel nicht den Schrecken des Holocaust verkleinern, sondern den Schrecken des verglichenen Phänomens vergrößern“, schrieb „Presse“-Kollegin Anne-Catherine Simon. Kein historisches Ereignis ist global so bekannt – und erlaubt eine scheinbar einfache Zuteilung in Gut und Böse. Jeder schlecht gewählte Vergleich macht somit unseren Blick auf die Vergangenheit oberflächlicher. Aber immerhin reden wir darüber.
Historische Ereignisse kann – und soll – man vergleichen, aber eine Gleichsetzung ist nie korrekt.