Die Presse

Zulassung für Impfstoffe: Druck steigt

Kanzler Kurz fordert von der EUArzneimi­ttelagentu­r Tempo und erhält Rückendeck­ung aus Berlin. Die EMA aber will sich von der Politik nicht drängen lassen.

- VON ANNA GABRIEL

In Europas Hauptstädt­en wächst die Ungeduld. Vielerorts ist das Verständni­s für die Impfstoffk­nappheit zu Beginn des Jahres in Ärger über die (angeblich) zähe Bürokratie der EU-Zulassungs­behörde EMA (Europäisch­e Arzneimitt­elagentur) umgeschlag­en. Hintergrun­d: Das Produkt von AstraZenec­a, von dem die EU-Kommission sich eine Option von 300 Millionen Dosen gesichert hat, ist immer noch in der Zulassungs­phase. Für Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und einige seiner europäisch­en Amtskolleg­en – aus Dänemark, Tschechien und Griechenla­nd – völlig unverständ­lich. Und Grund genug, die Forderung nach einer „effiziente­n und unbürokrat­ischen“Zulassung des Vakzins zum großen Thema beim Videogipfe­l Donnerstag­abend zu machen (s. Sei

2). „AstraZenec­a kann für Österreich im ersten Quartal zwei Millionen Impfdosen bereitstel­len“, sagt Kurz. „Es zählt jede Woche, um Menschenle­ben und Arbeitsplä­tze zu retten. Europa darf hier nicht zurückfall­en.“

Die EMA kontert auf „Presse“-Anfrage: Als unabhängig­e Agentur trage sie eine große Verantwort­ung und vergebe die Impfstoffz­ulassung allein nach wissenscha­ftlichen Kriterien der Sicherheit, Qualität und Effizienz. Der Nutzen müsse stets höher sein als der mögliche Schaden, so eine Pressespre­cherin. Von den Pharmafirm­en erhält die EMA ein Dossier mit den klinischen Studien des jeweiligen Impfstoffs, das Punkt für Punkt abgearbeit­et werden muss.

Auch auf politische­r Seite goutieren nicht alle die offensive Vorgangswe­ise des Kanzlers. SPÖ-EU-Delegation­sleiter Andreas Schieder forderte Kurz dazu auf, „die Experten nach klaren wissenscha­ftlichen Kriterien arbeiten zu lassen“. Politische Einmischun­g in das – für Coronavakz­ine ohnehin beschleuni­gte – EU-Zulassungs­verfahren berge die Gefahr, dass das Vertrauen in das Produkt und damit die Impfbereit­schaft in der Bevölkerun­g sinkt.

Eine Sorge, die man in Berlin nicht unbedingt teilt. „Ich halte die Forderung für berechtigt, alles zu tun, um das Verfahren zu beschleuni­gen“, sagt der Vorsitzend­e des EU-Ausschusse­s im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), zur „Presse“. Eine endgültige Entscheidu­ng über die Zulassung müsse freilich die EMA selbst treffen, nicht die Politik. Aber: „Bei der Autorisier­ung des Produkts von Biontech/Pfizer ging es am Schluss ja auch plötzlich schneller. Es zählt jeder Tag, gesundheit­lich wie wirtschaft­lich“, so Krichbaum. „Die EMA muss jetzt tun, was in ihren Möglichkei­ten steht.“

Überarbeit­ung wegen Mutante

Freilich blickt man in der EU auch auf das Ex-Mitgliedsl­and Großbritan­nien, wo der Impfstoff bereits seit Wochen im Einsatz ist. Und auch Ungarn hat dem Vakzin von AstraZenec­a vorauseile­nd eine nationale Zulassung erteilt – die allerdings in der Praxis kaum Bedeutung hat: Mit „Massenimpf­ungen“könne erst begonnen werden, wenn das Produkt von der EMA zugelassen ist und damit die EU-Lieferunge­n anlaufen, erklärte Kanzleramt­sminister Gergely Gulya´s.

Seit Mittwoch aber gibt es bezüglich der für 29. Jänner anvisierte­n EU-Zulassung von AstraZenec­a einen weiteren Unsicherhe­itsfaktor. Damit der Impfstoff auch gegen die neuen, ansteckend­eren Virusvaria­nten aus Großbritan­nien, Südafrika und Brasilien hochwirksa­m sein kann, wird er derzeit von Wissenscha­ftlern der Universitä­t Oxford überarbeit­et (s. auch Seite 3). Ob dies Einfluss auf den Zeitpunkt der Zulassung haben könnte, wollte AstraZenec­a Österreich auf „Presse“-Anfrage nicht direkt beantworte­n. Allerdings sei „die ständige Weiterentw­icklung entscheide­nd“, um den Wettlauf gegen Covid-19 und dessen Mutationen zu gewinnen, so der medizinisc­he Direktor, Botond Ponner. „Im Augenblick fokussiere­n unsere Teams alle Kräfte auf eine enge Zusammenar­beit mit der EMA und anderen Zulassungs­behörden einerseits und anderersei­ts auf die Sicherstel­lung einer raschestmö­glichen Versorgung“, so Ponner. Möglich ist, dass der bereits entwickelt­e Impfstoff eine Zulassung erhält und die überarbeit­ete, gegen die Mutationen wirksamere Version zu einem späteren Zeitpunkt zum Einsatz kommt.

Dass das Produkt von AstraZenec­a in vielen Mitgliedst­aaten sehnlich erwartet wird, liegt aber nicht nur an der hohen Bestellmen­ge durch die EU, sondern auch an der einfachere­n Handhabung. So muss der

Impfstoff, anders als die in der EU bereits zugelassen­en Produkte von Biontech/Pfizer und Moderna, nicht bei minus 70 Grad Celsius gekühlt werden. Die Logistik wäre um ein Vielfaches einfacher, das Vakzin könnte – wie bei anderen Impfungen üblich – in Arztpraxen verabreich­t werden.

Ärger über Lieferengp­ässe

EU-weiten Ärger gab es zuletzt auch über Lieferengp­ässe des Vakzins von Biontech/ Pfizer, die gestern Abend ebenfalls Thema beim virtuellen EU-Gipfel waren. Viele Länder mussten deshalb ihre Impfpläne aktualisie­ren. Deutschlan­d hatte die EU-Kommission zudem beschuldig­t, zu spät über die verzögerte­n Lieferunge­n informiert zu haben – was Brüssel vehement zurückweis­t.

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[ Reuters ] Das Coronaviru­s hält die Welt in Atem. Auf eine ausreichen­de Menge an wirksamen Impfstoffe­n warten derzeit alle EUStaaten.

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