Europaweite Grenzschließungen
Europäischer Rat. Die Staats- und Regierungschefs wollen das Impfen beschleunigen, ringen aber vorab um einheitliche Reisebedingungen.
Brüssel. Ein Jahr nach den fatalen Semesterferien, die in fast allen europäischen Ländern die erste große Welle der Pandemie ausgelöst haben, steigt in ganz Europa die Sorge vor einer Wiederholung dieses Fiaskos. Die Videokonferenz der 27 Staats- und Regierungschefs der Union am Donnerstagabend drehte sich diesem Licht nicht nur um das geplante Hauptthema Impfen, sondern auch um die Frage, wie sich erneute unkoordinierte, chaotische Grenzschließungen vermeiden lassen.
Gesundheitspolitik ist fast ausschließlich nationalstaatliche Zuständigkeit, und dieser Umstand behindert die Union weiterhin darin, ihre internen Grenzen offen zu halten. „Es geht nicht darum, flächendeckende Grenzkontrollen einzuführen, aber ich sage Ihnen ganz offen, wenn ein Land mit ähnlicher Inzidenz seine Geschäfte aufmacht, und wir haben unsere noch zu, dann haben wir ein Problem“, brachte die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, die Malaise auf den Punkt. Ihre Regierung hat vor der Videokonferenz ein internes, dreiseitiges Diskussionspapier lanciert, das als eine der Optionen zur Eindämmung der erstmals in England entdeckten, deutlich ansteckenderen Variante des Virus ein Einreiseverbot für Drittstaaten vorschlägt, „sofern Mitgliedstaaten dies als notwendig erachten, um die öffentliche Gesundheit zu schützen“. Das der „Presse“vorliegende Papier erwähnt das Vereinigte Königreich zwar nicht, aber natürlich würde sich diese Maßnahme in erster Linie gegen die Briten richten.
Fataler Skiurlaub
Mehrere Mitgliedstaaten haben Urlaubsreisen bereits untersagt. Nach Dänemark darf man zum Beispiel seit Kurzem nur mehr aus einer schmalen Reihe dringlicher Gründe. Belgiens Regierung wird voraussichtlich am Freitag Urlaubsreisen untersagen. Auch in Irland, das von der Mutante besonders betroffen ist, geht die politische Debatte in Richtung Verbot nicht essenzieller Reisen.
Die Erfahrungen mit den Urlaubsreisen während der jüngsten Weihnachtsfeiertage haben mehrere Regierungen in ihrer Annahme über die Wirksamkeit von Appellen an die bürgerliche Verantwortung ernüchtert, auf solche Reisen im Interesse der Allgemeinheit zu verzichten. „Wir haben die Belgier freundlich darum gebeten, nicht zu reisen – und dann sind 160.000 Personen trotzdem über Weihnachten und Neujahr losgefahren“, ärgerte sich Ministerpräsident Alexander De Croo gegenüber dem niederländischsprachigen TV-Sender VRT. „Wenn Sie reisen, bringen Sie das Virus im Gepäck mit zurück.“Für öffentlichen Ärger sorgte dieser Tage der Fall einer Belgierin, die in der Schweiz Skiurlaub machte, sich dort mit der „englischen“Mutante ansteckte und bei der Rückreise die Test- und Quarantäneregeln missachtete (die allerdings bisher auch kaum kontrolliert wurden), worauf zwei Schulen im Raum Antwerpen geschlossen wurden und rund 5000 Menschen in Quarantäne mussten.
Allerdings gibt es auch Mitgliedstaaten, die auf eine möglichst rasche Erleichterung der Reisen zu touristischen Zwecken drängen. Griechenland vor allem ist stark vom Tourismus abhängig, der Vorstoß von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, ein EU-weit einheitliches Impfzertifikat einzuführen und damit geimpften Reisenden Vorteile zu verschaffen, erklärt sich so.
Ärger über Pfizers Impfstofflieferungen
Beim Hauptthema des Videogipfels, dem Stand der Dinge der nationalen Impfkampagnen, ging es am Donnerstag unter anderem um die Frage, wieso der Hersteller des ersten in der EU zugelassenen Impfstoffs, das Konsortium von Pfizer und Biontech, entgegen der eingegangenen Verpflichtungen seine Lieferungen an die Mitgliedstaaten kurzfristig drosselt. Der Umbau des Werks im belgischen Puurs ist der Hauptgrund dafür, dennoch wächst vielerorts der Ärger über den Konzern, der noch vor ein paar Wochen die EU dafür kritisierte, nicht genug von seinem Impfstoff gekauft zu haben. Italiens Regierung etwa hat am Dienstag eine Klage gegen Pfizer in den Raum gestellt.
Wenn ein Land mit ähnlicher Inzidenz aufmacht und wir haben zu, haben wir ein Problem.
Angela Merkel, Deutsche Kanzlerin