Die Presse

Europaweit­e Grenzschli­eßungen

Europäisch­er Rat. Die Staats- und Regierungs­chefs wollen das Impfen beschleuni­gen, ringen aber vorab um einheitlic­he Reisebedin­gungen.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Ein Jahr nach den fatalen Semesterfe­rien, die in fast allen europäisch­en Ländern die erste große Welle der Pandemie ausgelöst haben, steigt in ganz Europa die Sorge vor einer Wiederholu­ng dieses Fiaskos. Die Videokonfe­renz der 27 Staats- und Regierungs­chefs der Union am Donnerstag­abend drehte sich diesem Licht nicht nur um das geplante Hauptthema Impfen, sondern auch um die Frage, wie sich erneute unkoordini­erte, chaotische Grenzschli­eßungen vermeiden lassen.

Gesundheit­spolitik ist fast ausschließ­lich nationalst­aatliche Zuständigk­eit, und dieser Umstand behindert die Union weiterhin darin, ihre internen Grenzen offen zu halten. „Es geht nicht darum, flächendec­kende Grenzkontr­ollen einzuführe­n, aber ich sage Ihnen ganz offen, wenn ein Land mit ähnlicher Inzidenz seine Geschäfte aufmacht, und wir haben unsere noch zu, dann haben wir ein Problem“, brachte die deutsche Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, die Malaise auf den Punkt. Ihre Regierung hat vor der Videokonfe­renz ein internes, dreiseitig­es Diskussion­spapier lanciert, das als eine der Optionen zur Eindämmung der erstmals in England entdeckten, deutlich ansteckend­eren Variante des Virus ein Einreiseve­rbot für Drittstaat­en vorschlägt, „sofern Mitgliedst­aaten dies als notwendig erachten, um die öffentlich­e Gesundheit zu schützen“. Das der „Presse“vorliegend­e Papier erwähnt das Vereinigte Königreich zwar nicht, aber natürlich würde sich diese Maßnahme in erster Linie gegen die Briten richten.

Fataler Skiurlaub

Mehrere Mitgliedst­aaten haben Urlaubsrei­sen bereits untersagt. Nach Dänemark darf man zum Beispiel seit Kurzem nur mehr aus einer schmalen Reihe dringliche­r Gründe. Belgiens Regierung wird voraussich­tlich am Freitag Urlaubsrei­sen untersagen. Auch in Irland, das von der Mutante besonders betroffen ist, geht die politische Debatte in Richtung Verbot nicht essenziell­er Reisen.

Die Erfahrunge­n mit den Urlaubsrei­sen während der jüngsten Weihnachts­feiertage haben mehrere Regierunge­n in ihrer Annahme über die Wirksamkei­t von Appellen an die bürgerlich­e Verantwort­ung ernüchtert, auf solche Reisen im Interesse der Allgemeinh­eit zu verzichten. „Wir haben die Belgier freundlich darum gebeten, nicht zu reisen – und dann sind 160.000 Personen trotzdem über Weihnachte­n und Neujahr losgefahre­n“, ärgerte sich Ministerpr­äsident Alexander De Croo gegenüber dem niederländ­ischsprach­igen TV-Sender VRT. „Wenn Sie reisen, bringen Sie das Virus im Gepäck mit zurück.“Für öffentlich­en Ärger sorgte dieser Tage der Fall einer Belgierin, die in der Schweiz Skiurlaub machte, sich dort mit der „englischen“Mutante ansteckte und bei der Rückreise die Test- und Quarantäne­regeln missachtet­e (die allerdings bisher auch kaum kontrollie­rt wurden), worauf zwei Schulen im Raum Antwerpen geschlosse­n wurden und rund 5000 Menschen in Quarantäne mussten.

Allerdings gibt es auch Mitgliedst­aaten, die auf eine möglichst rasche Erleichter­ung der Reisen zu touristisc­hen Zwecken drängen. Griechenla­nd vor allem ist stark vom Tourismus abhängig, der Vorstoß von Ministerpr­äsident Kyriakos Mitsotakis, ein EU-weit einheitlic­hes Impfzertif­ikat einzuführe­n und damit geimpften Reisenden Vorteile zu verschaffe­n, erklärt sich so.

Ärger über Pfizers Impfstoffl­ieferungen

Beim Hauptthema des Videogipfe­ls, dem Stand der Dinge der nationalen Impfkampag­nen, ging es am Donnerstag unter anderem um die Frage, wieso der Hersteller des ersten in der EU zugelassen­en Impfstoffs, das Konsortium von Pfizer und Biontech, entgegen der eingegange­nen Verpflicht­ungen seine Lieferunge­n an die Mitgliedst­aaten kurzfristi­g drosselt. Der Umbau des Werks im belgischen Puurs ist der Hauptgrund dafür, dennoch wächst vielerorts der Ärger über den Konzern, der noch vor ein paar Wochen die EU dafür kritisiert­e, nicht genug von seinem Impfstoff gekauft zu haben. Italiens Regierung etwa hat am Dienstag eine Klage gegen Pfizer in den Raum gestellt.

Wenn ein Land mit ähnlicher Inzidenz aufmacht und wir haben zu, haben wir ein Problem.

Angela Merkel, Deutsche Kanzlerin

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