Die Presse

„Geimpfte sind nicht ansteckend“

Pandemie. Wer immun ist, ob nach einer Impfung oder Erkrankung, kann das Virus höchstwahr­scheinlich nicht mehr übertragen, sagt Neuroimmun­ologe Florian Deisenhamm­er von der MedUni Innsbruck.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Die zugelassen­en Impfstoffe von Biontech/Pfizer sowie Moderna gehören zu den wirksamste­n und am besten verträglic­hen, die je entwickelt wurden, darüber herrscht unter Virologen und Infektiolo­gen kein Zweifel. Nach aktuellem Wissenssta­nd wirken sie auch gegen mutierte Stämme wie etwa die britische und südafrikan­ische Variante, die um rund 50 Prozent ansteckend­er sein dürften als bisher dominieren­de Linien.

Aber schützen die Impfstoffe nun „lediglich“davor, nach einer Infektion schwer zu erkranken, oder lassen sie die Infektion gar nicht erst zu, sodass Geimpfte niemanden anstecken können? Auf diese Frage gibt es bisher keine endgültige Antwort, weil die Erkenntnis­se aus den klinischen Studien dafür nicht ausreichen.

Durch die weltweit voranschre­itenden Impfprogra­mme und deren begleitend­e Analysen kann es sich aber nur noch um wenige Wochen handeln, bis verlässlic­he Informatio­nen über die Ansteckung­sfähigkeit geimpfter Personen vorliegen. Insbesonde­re die Studienerg­ebnisse aus Israel – das Land kooperiert eng mit Pfizer – werden aufschluss­reich sein, dort haben schon mehr als zwei Millionen Menschen ihre erste Teilimpfun­g erhalten.

Parallel dazu laufen auch nach wie vor Tierversuc­he, die zuletzt „ermutigend­e“Daten geliefert hätten, sagte Pfizer-CEO Albert Bourla gegenüber einer irischen Zeitung. Neue Resultate werden für Februar erwartet.

Worst Case wird zur Regel

Florian Deisenhamm­er, Arbeitsgru­ppenleiter für Neuroimmun­ologie und Multiple Sklerose an der Medizinisc­hen Universitä­t, der im Dezember eine Studie über Langzeitim­munität von Covid-19-Genesenen präsentier­te und darin belegte, dass Erkrankte – im Wesentlich­en unabhängig vom Krankheits­verlauf – fast immer eine mehrere Monate andauernde und stabile Immunität aufweisen, ist überzeugt davon, dass künftige Daten eindeutige Ergebnisse liefern werden.

„Meine Prognose lautet, dass geimpfte Menschen nicht ansteckend sind“, sagt er. Seiner Einschätzu­ng nach ist die Debatte über eine mögliche Infektiosi­tät trotz Immunisier­ung auf das Phänomen zurückzufü­hren, „dass die Pandemie grundsätzl­ich den Worst-Case-Fall zur Regel macht“. Was mangels belastbare­r Daten nicht mit hundertpro­zentiger Sicherheit ausgeschlo­ssen werden könne, gelte zunächst einmal als realistisc­hes Szenario. In diesem konkreten Fall komme hinzu, dass eine Übertragun­g (Transmissi­on) des Virus durch geimpfte Personen epidemiolo­gisch ohnehin kaum nachzuweis­en sei.

Dass eine Ansteckung trotz Impfung überhaupt infrage kommt, hängt mit dem Übertragun­gsweg des Coronaviru­s zusammen, das über die Schleimhau­t der Atemwege in den Körper gelangt. Die Impfungen entfalten ihre Wirkung aber zum größten Teil erst, nachdem das Virus die Zellen im Körperinne­ren erreicht hat. Daher scheint es möglich, dass es zwar nicht zum Ausbruch der Krankheit kommt, weil die eingedrung­enen Viren sofort abgetötet werden; während sie sich aber noch auf den Schleimhäu­ten der Atemwege befinden, könnte die betroffene Person – wenn auch jedenfalls kürzer und weniger stark als eine nicht immune

– ansteckend sein. Genau dieser Punkt, den viele Infektiolo­gen für plausibel halten, ist laut Deisenhamm­er unwahrsche­inlich. Aus einem einfachen Grund: Das Virus übertragen könne nur eine infizierte und letztlich erkrankte Person. Und wer geimpft ist, werde nach einem erneuten Kontakt mit dem Virus nicht erkranken – zumindest mit einer Wahrschein­lichkeit von mehr als 90 Prozent, also entspreche­nd der angegebene­n Wirksamkei­t der Impfstoffe.

„Coronaviru­s ist kein Tischtenni­sball“

Die vielfach geäußerte Angst davor, von einer infizierte­n oder erkrankten Person angehustet zu werden und die von dieser Person aufgenomme­nen Viren in den Minuten oder Stunden danach weiterzuge­ben, sei unberechti­gt, weil unmöglich. „Viren sind ja keine Tischtenni­sbälle, die man von Mund zu Mund weiterreic­hen kann. Unsere Atemluft besteht zum allergrößt­en Teil aus unserem Atem und nicht aus fremden Tröpfchen, die wir kurz zuvor abbekommen haben“, sagt Deisenhamm­er. „Um also mit unserer Atemluft eine für Ansteckung­en ausreichen­de Menge an Viren abzugeben, müssen sich die Viren an den Rezeptoren unserer Schleimhäu­te festgesetz­t haben und sich vermehren.“Das dauere mindestens zwei Tage. In diesen zwei Tagen, also der unteren Grenze der Inkubation­szeit, habe das Immunsyste­m aber genug Zeit, „um die Viren unschädlic­h zu machen und eine Infektion zu verhindern“.

Dabei spiele es de facto keine Rolle, ob die Immunität durch eine Impfung oder durch eine überstande­ne Erkrankung erlangt wurde, weil in beiden Fällen hohe Titer an zirkuliere­nden – und damit rasch verfügbare­n – virusneutr­alisierend­en Antikörper­n gebildet werden. „Sowohl bei genesenen als auch bei geimpften Personen besteht somit keine Sorge vor einer neuerliche­n Erkrankung oder der Übertragun­g des Coronaviru­s“, sagt Deisenhamm­er. „Die Ausnahmen bestätigen die Regel, aber die Ausnahmen sind eben nicht die Regel.“S

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Der endgültige wissenscha­ftliche Nachweis dafür steht zwar noch aus, aber vieles deutet daraufhin, dass immunisier­te Menschen keine Gefahr für ihre Umgebung darstellen.
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[ Reuters ] VON EVA WINROITHER

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