Was kann der AstraZeneca-Impfstoff?
Immunisierung. Österreich setzt in seiner Impfstrategie stark auf den Impfstoff von AstraZeneca. Doch ausgerechnet dieser ist noch nicht zugelassen. Wo liegt das Problem?
Wien. Marketingtechnisch hatte es der Impfstoff AZD1222 von Anfang an nicht leicht. Im September wurde die Testung des Impfstoffs, der von der Universität Oxford in Kooperation mit dem britisch-schwedischen Pharmakonzern AstraZeneca entwickelt wurde, wegen schwerwiegender Nebenwirkungen bei einem Patienten (routinemäßig) ausgesetzt. Später machte der Impfstoff mit einer verhältnismäßig geringen Wirkung von 62,1 Prozent (bei Biontech liegt sie bei 95 Prozent) Schlagzeilen. Vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus. Trotzdem setzt die EU – und damit auch Österreich – stark auf den europäischen Impfstoff. Weil er billig ist und im Kühlschrank gelagert werden kann. Das mag logisch sein und ist doch riskant, denn noch ist AZD1222 gar nicht zugelassen. Warum nicht? Und wieso bereitet dieser Impfstoff solche Probleme?
1 Was ist das Problem mit der Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffs?
Eigentlich gibt es kein Problem mit der Zulassung. So sieht es zumindest der Wiener Infektiologe Herwig Kollaritsch von der Med-Uni Wien, der auch Gesundheitsminister Anschober berät und im nationalen Impfgremium sitzt. Denn AstraZeneca hat seine Zulassung erst am 12. Jänner 2021, also vor eineinhalb Wochen, bei der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) eingereicht. Berichten zufolge könnte der Impfstoff mit Ende Jänner zugelassen werden – die Politik macht jedenfalls Druck, dass alles schneller geschieht. Kollaritsch sieht „trotzdem keine Gefahr“, dass sich die Behörde davon beeinflussen lässt. Diese wüsste ja, dass eine verabsäumte Kontrolle auf sie zurückfällt.
2 Wo liegt dann das Problem? Immerhin soll der Impfstoff unterschiedlich wirken.
Tatsache ist, dass die (hohe) Wirksamkeit des AstraZeneca-Impfstoffs einem Missgeschick geschuldet ist: In der Phase-III-Studie (und letzten Studienphase) tauchten plötzlich zwei Dosierungsgruppen auf. Die erste Gruppe erhielt zweimal die volle Dosis innerhalb von 28 Tagen – so wie geplant. Die zweite Gruppe erhielt allerdings bei der ersten Impfung nur die halbe Dosis und bei der zweiten Impfung die volle Dosis. Die Überraschung bei der Auswertung: Diejenigen, die beim ersten Mal eine geringere Dosis erhielten, waren besser geschützt. „Und zwar signifikant besser geschützt“, sagt Kollaritsch. Die Gruppe mit der vollen Dosis hatte einen Schutz von rund 60 Prozent, jene mit der halben Dosis allerdings einen Schutz von über 90 Prozent.
3 Diese Erkenntnis ist doch im Grunde positiv. Woran hakt es dann?
Der Haken liegt in der Altersgruppe. Das Missgeschick bei der Dosierung ist nämlich nur in der Altersgruppe der 18- bis 55-Jährigen passiert. Jetzt hat AstraZeneca Studienergebnisse für zwei verschiedene Dosierungen in unterschiedlichen Altersgruppen. Die Arzneimittelbehörde könne aber nur zulassen, was an Studiendaten vorliege, sagt Kollaritsch. Das würde bedeuten, dass die Zulassung für die hohe Wirksamkeit (zuerst halbe Dosierung, dann ganze) nur für die 18- bis 55-Jährigen ausgesprochen wird und nicht für die Älteren. Genau davon ist gerüchteweise schon die Rede – dass AstraZeneca nicht die volle Zulassung erhalten wird. Denn die Arzneimittelagentur ist laut Kollaritsch „beinhart“. Ohne evidenzbasierte Daten gebe es keine Zulassung. Spannend wird also, wofür genau AstraZeneca um Zulassung angesucht hat. Und wie die Behörde entscheiden wird. „Ich gehe davon aus, dass AstraZeneca so schnell wie möglich nachbessern wird. Sprich, eine Gruppe nachreichen wird. Es ist ja auch nicht einsichtig, warum die Impfung bei Älteren weniger gut wirken soll“, sagt Kollaritsch.
4 Warum wirkt der Impfstoff bei einer hohen Dosis schlechter? Das ist doch unlogisch.
Nein, ist es nicht. Denn der AstraZenecaImpfstoff ist ein Vektorimpfstoff. Das heißt, das Spike-Protein des Coronavirus – gegen das der Körper Antikörper bilden soll – wird auf (inaktiven) Trägerviren, nämlich Adenoviren, in den Körper injiziert. „Das bedeutet, wir bilden auch gegen die Trägerviren Antikörper“, sagt Kollaritsch. Bekommt der Körper zweimal eine hohe Dosis der Trägerviren, „kann es dazu führen, dass die Immunantwort des Körpers gegen das Trägervirus stärker ist als gewünscht, und das beeinträchtigt die Wirksamkeit“. Oder noch einfacher formuliert: Der Körper konzentriert sich mehr auf die Trägerviren und schenkt dem Spike-Protein nicht mehr so viel Beachtung. Wird eine geringere Dosis initiiert, ist diese Dominanz aufgehoben.
Für Kollaritsch ist das auch der Grund, warum AstraZeneca bei den Entwicklern des russischen „Sputnik“-Impfstoffs um eine Zusammenarbeit angesucht hat. „Die waren nämlich vif. Die haben gleich gesagt, wir nehmen für jede Dosis andere Trägerviren.“Bei einer Zusammenarbeit könnte für eine der Dosen ein von den Russen entwickelter Vektor verwendet werden.
5 Aber das Virus mutiert doch. Der Impfstoff soll überarbeitet werden. Wirkt der noch?
Laut dem britischen „Telegraph“soll der AstraZeneca-Impfstoff überarbeitet werden, damit dieser gezielt gegen die neuen, hochansteckenden Coronavirus-Mutanten, etwa aus Großbritannien, eingesetzt werden kann. Heißt das, der Impfstoff wirkt nicht mehr? Kollaritsch glaubt das nicht. „Ich gehe davon aus, dass es nicht schwarz-weiß sein wird.“Was sehr wohl sein könne, sei, dass Mutationen Einbußen bei der Wirksamkeit verursachen. „Das ist aber kein Beinbruch.“Und das kenne man von der Grippe. Beim derzeitigen Stand der Technologien sei es „eine Frage von wenigen Wochen, bis man Mutationen abdeckt“. Das Problem sei ein anderes: nämlich die Zulassung, die wieder durchlaufen werden müsse. Eine Lösung seien „Mockup-Verfahren“. Dabei werden so geringe Bestandteile der Impfung verändert, dass die Behörden einem beschleunigten Zulassungsverfahren zustimmen können.