Die Fünf Sterne verglühen
Italien. Der stärksten Regierungspartei droht die Sezession, im Parlament formen Rebellen eine eigene Fraktion. Die Grabenkämpfe erschweren auch die Arbeit von Premier Draghi.
Rom/Wien. Der Zerfall der Fünf Sterne überschattet Mario Draghis erste Regierungstage. Die größte Koalitionspartei im frisch angelobten Team des neuen italienischen Premiers zerfleischt sich gerade selbst in einem offen ausgetragenen Krieg: Nach Tagen der Austritte, Drohungen, gegenseitigen Vorwürfe und Kritik setzen nun einige Rebellen konkrete Schritte in Richtung Sezession. In den beiden Parlamentskammern wurde die Fraktion L´Alternativa c’`e (Es gibt eine Alternative) gegründet, die der Regierung Draghi die Stirn bieten will. Bisher kamen die einzigen relevanten Gegenstimmen im Parlament von den rechtspopulistischen Fratelli d’Italia, da so gut wie alle wichtigen Parteien den Ex-EZB-Chef unterstützen.
Ziel ist, aus der parlamentarischen Gruppierung der Fünf-Sterne-Rebellen langfristig eine eigene Bewegung zu schaffen. Auf Facebook wirbt man bereits mit dem Slogan „Gleichheit, Respekt und Solidarität“. Auch an einem Logo wird gebastelt. Man denke an ein Zahnrad – wie beim Symbol der italienischen Republik, aber auch als Hinweis auf die Welt der Arbeit – samt Stern mit Trikolore, sagt Ex-Fünf-Sterne-Abgeordneter Pino Cabras. Auch der Name der Bewegung ist (linkes) Programm: Er bezieht sich auf die berühmte Aussage von Margaret Thatcher zu Markt und Kapitalismus: „There is no alternative.“
„Wir sind keine Marsmenschen mehr“
„Wir werden den demokratischen Aufstand des Volkes anführen“, verspricht Senator Mattia Crucioli. Doch einfach wird es nicht, die Revolution zu führen. Zum einen weil die charismatischen Anführer fehlen: Alessandro Di Battista, der freche und populäre Fünf-Sterne-Abgeordnete, der die Revolte angezettelt hatte, hält sich bedeckt, seit er nach seinem Nein zur Regierung Draghi aus der Bewegung ausgetreten ist. Bei der neuen Parlamentsfraktion ist er nicht dabei.
Zudem dürfte es nicht angenehm sein, den mächtigen Übervater, den scharfzüngigen Kabarettisten Beppe Grillo, als Feind zu haben: Der Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung hatte sich ausdrücklich für eine Unterstützung Draghis ausgesprochen. „Wir sind keine Marsmenschen mehr“, sagte er.
Das grüne Licht für die Regierung Draghi hat denn auch zur totalen Eskalation der internen Spannungen geführt. Trotz des Segens Grillos, der mächtigen Partei-Anführer und der Unterstützung der Basis in einem Online-Votum verweigerten mehrere FünfSterne-Parlamentarier Draghi das Vertrauen. Daraufhin wurden diese „Rebellen“– 21 Senatoren und 20 Abgeordnete – aus der Bewegung rausgeworfen. „Fehlender Respekt“vor Entscheidungen der Parteiführung „schade dem Image und der politischen Arbeit der parlamentarischen Gruppe der Fünf-Sterne-Bewegung“, erklärte Fraktionschef Davide Crippa.
Somit konzentrieren sich Wut und Rebellion der Fünf-Sterne-Dissidenten vorerst auf die einstigen Genossen, die angepassten Minister und Amtsträger. Man wirft ihnen Verrat vor: Vor gar nicht so langer Zeit marschierten Grillo und seine Anhänger noch mit erhobenem Stinkefinger gegen die Elite. Damals war die Fünf-Sterne-Bewegung noch Flaggschiff der Anti-System-Revolte.
Alles wurde anders, als die Bewegung 2018 in Roms Regierungspaläste zog: Erst koalierte sie mit den Rechtspopulisten, dann mit den Linksdemokraten und nun unterstützt sie auch noch als stärkste politische Parlamentskraft den Technokraten Draghi, Inbegriff der „Kaste“schlechthin: Er saß am Hebel der verhassten EU-Institutionen und war auch noch Banker. Zudem predigt er freien Markt sowie EU-Treue. Außerdem wurde er nicht demokratisch gewählt, sondern vom Präsidenten nominiert. Er steht also für alles, was (einst) die Fünf Sterne hassten.
Die Fünf-Sterne-Sezession wird rein numerisch Draghi nicht schaden, nur etwa 50 der insgesamt 280 Fünf-Sterne-Parlamentarier zählen zu den Dissidenten. Doch Rebellion und Spaltung schwächen die ohnehin zunehmend orientierungslose Partei zusätzlich. Der Streit dürfte neue Gräben aufreißen und weitere Fraktionsbildungen mit sich ziehen. Und dass ausgerechnet die Schlüsselkraft der Regierung Draghi zerrissen und zerstritten ist, dürfte das bereits komplizierte Management von Pandemie und Wirtschaftskrise noch weiter erschweren.