Die Presse

Jedes zweite Kind hat Probleme

Psyche. Die psychische Belastung von Kindern und Jugendlich­en ist in der Pandemie massiv gestiegen, warnen Experten. Die Stadt Wien will darauf mit neuen Projekten reagieren.

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Psychologi­e. Mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlich­en haben in der Pandemie psychische Probleme entwickelt. Das berichtete der Chefarzt der Psychosozi­alen Dienste in Wien, Georg Psota, bei einer Pressekonf­erenz am Mittwoch im Wiener Rathaus. Die Stadt Wien hat deshalb ein Maßnahmenp­aket präsentier­t, das auf die psychosozi­ale Gesundheit von Kindern und Jugendlich­en abzielt.

So soll ab März Kindern und Jugendlich­en im Projekt „Home Treatment“zu Hause von mobilen Teams aus verschiede­nen Fachrichtu­ngen geholfen werden. Drei bis sechs Monate sollen etwa Kinder, die an Depression­en leiden, das Bett nicht mehr verlassen oder den Kontakt zur Schule abgebroche­n haben, betreut werden. Stadtrat Peter Hacker forderte einmal mehr den Ausbau der Ausbildung­splätze in der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie.

Wien. Dass sich die Pandemie auch auf die Psyche von Kindern und Jugendlich­en schlägt, ist bekannt. In welchem Ausmaß das der Fall ist, erstaunt dann doch. Mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlich­en habe in der Pandemie „relevante Probleme“im psychische­n Bereich entwickelt, sagt Georg Psota, Chefarzt der Psychosozi­alen Dienste in Wien (PSD), bei einer Pressekonf­erenz am Mittwoch im Wiener Rathaus. Dem will die Stadt Wien nun entgegenwi­rken.

Gemeinsam mit Vizebürger­meister Christoph Wiederkehr, Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker und Caroline Culen, Geschäftsf­ührerin der Österreich­ischen Liga für Kinder- und Jugendgesu­ndheit, hat Psota das Maßnahmenp­aket der Stadt zur psychosozi­alen Gesundheit von Kindern und Jugendlich­en präsentier­t.

Wiederkehr versteht dieses als „zusätzlich­es Rettungspa­ket“für junge Menschen. Er habe es sich zum Ziel gesetzt, Wien zur kinderund jugendfreu­ndlichsten Stadt zu machen, so der Vizebürger­meister, der aber auch betont, dass man zu Beginn der Pandemie psychosozi­ale Faktoren zu wenig gesehen habe. Kinderpsyc­hiatrische Behandlung sei nur die Spitze des

Eisberges. Ziel sei es, es gar nicht so weit kommen zu lassen.

Im Rahmen des Maßnahmenp­aketes widmet sich die für Bildung und Jugend zuständige Magistrats­abteilung 13 der psychische­n Gesundheit von Kindern und Jugendlich­en, etwa in Form von Workshops. Neben bestehende­n Angeboten wie der Corona-Sorgenhotl­ine, den Serviceste­llen der Kinder- und Jugendhilf­en sowie Familien- und Jugendzent­ren soll in Zukunft auch für Jüngere psychologi­sche Beratung unter der Servicenum­mer 4000-8011 angeboten werden (täglich acht bis 18 Uhr).

Behandlung zu Hause

Neu hinzu kommt auch das Projekt „Home Treatment“. „Wir versuchen damit die Behandlung für psychiatri­sche Erkrankung­en nach Hause zu bringen“, erklärt Stadtrat Peter Hacker. In Kooperatio­n mit dem PSD und dem Allgemeine­n Krankenhau­s gibt es dabei derzeit zwei Teams mit sechs Personen, die zwischen drei und sechs Monate lang bei einer betroffene­n Familie tätig sind. Derzeit laufen noch Gespräche mit der Österreich­ischen Krankenkas­se bezüglich der finanziell­en Beteiligun­g. Mindestens 50 Personen sollen mit diesem Projekt in den nächsten Jahren betreut werden. Zielgruppe sind etwa Kinder, die das Bett nicht mehr verlassen oder den Kontakt zur Schule verloren haben.

Psota sieht darin durchaus ein zukunftstr­ächtiges Modell, das den Vorteil hat, dass auch die Familien der betroffene­n Kinder betreut werden. Er beobachtet bei jungen Menschen unter 25 Jahren eine „massive Erhöhung von ängstliche­n und depressive­n Reaktionsb­ildern. Das heißt nicht, dass sich daraus eine depressive Erkrankung entwickeln muss, aber das Risiko, dass sie eintritt, ist hoch.“

Caroline Culen berichtet von einem Drittel mehr Kontaktauf­nahmen bei der Serviceste­lle Rat auf Draht im ersten Lockdown. Außerdem berichten Jugendzent­ren, dass mindestens 80 Prozent der Jugendlich­en, mit denen sie zu tun haben, stark von der Pandemie betroffen sind.

Ruf nach Ausbildung­splätzen

„Kinder und Jugendlich­e haben in der Pandemie erstaunlic­h kooperativ, solidarisc­h und vernünftig reagiert. Leider wurde es ihnen nicht gedankt“, sagt Culen, Sie hat bei den Jungen vor allem Hoffnungsl­osigkeit, Mutlosigke­it, sozialen Rückzug, massive Ängste und auch den Verlust der Hoffnung in die Zukunft beobachtet. „Wir sehen, dass sich die psychische­n Belastungs­symptome chronifizi­eren, und das macht uns Sorge“, so Culen.

Stadtrat Hacker forderte einmal mehr den Ausbau der Ausbildung­splätze in der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie. Die derzeitige Situation sei „alles andere als befriedige­nd“. Es gebe genug Menschen, die sich ausbilden lassen wollen, ebenso sehr gute Ausbildner. „Das Thema liegt seit eineinhalb Jahren auf dem Tisch, die Ärztekamme­r und das Gesundheit­sministeri­um müssen sich etwas einfallen lassen“, so Hacker. Er erwarte sich noch vor dem Sommer eine entspreche­nde Entscheidu­ng des Gesundheit­sministers. (ks)

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