Imageschaden für AstraZeneca
Europäische Union. Der Impfstoffhersteller kämpft mit schwerem Imageschaden. Sogar die 27 EU-Chefs beraten nun darüber, wie es mit dessen Vertragstreue aussieht.
Sicherstellen, dass die Pharmakonzerne ihre Verpflichtungen einhalten.
Charles Michel, EU-Ratspräsident
Brüssel. Knapp drei Monate nach dem feierlichen gemeinsamen Beginn der EUweiten Impfkampagne gegen Covid-19 herrscht zwischen dem britisch-schwedischen Pharmakonzern AstraZeneca und der Union dicke Luft. Am Donnerstag wird die Frage, ob der Konzern gegenüber der EU vertragsbrüchig geworden ist, gleich von zwei Institutionen erörtert. Vorstandschef Pascal Soriot muss sich am Nachmittag vor den versammelten Ausschüssen für Umwelt und Gesundheit sowie Industrie und Forschung des Europäischen Parlaments dem Kreuzverhör der Abgeordneten stellen. Fast zeitgleich werden sich die 27 Staats- und Regierungschefs der Union bei ihrem via Videokonferenz abgehaltenen informellen Europäischen Rat darüber austauschen, was bei der Bestellung und Lieferung der Impfstoffe nicht funktioniert hat und wen die Verantwortung dafür trifft.
Auch bei den EU-Chefs wird es vorrangig um AstraZeneca gehen. Der Konzern bemühte sich nicht einmal darum, die erneute Hiobsbotschaft der Nachrichtenagentur Reuters vom Mittwoch zu dementieren, wonach der Konzern auch im zweiten Quartal seine vertragsmäßigen Lieferungen an die Europäer voraussichtlich nicht werde einhalten können: „AstraZeneca bestätigt heute, dass die jüngste Q2-Prognose für die Lieferung des COVID-19-Impfstoffs auf die Einhaltung des Vertrags mit der Europäischen Kommission abzielt“, hieß es in einer Pressemitteilung aus der Konzernzentrale. Man bemühe sich nun, „die Produktivität in seiner EU-Lieferkette zu erhöhen“und doch noch die versprochenen 180 Millionen Dosen für die Monate April bis Juni bereitstellen zu können.
„Manche Akteure machen es schwer“
„Der Umstand, dass wir heute nicht bestätigen können, ob diese Meldung stimmt, zeigt die Probleme, die wir haben“, sagte ein hoher EU-Diplomat am Mittwoch. „Manche Akteure machen es sehr schwer, klare Informationen zu geben.“Die 27 Chefs werden jedenfalls die Frage der Vertragstreue der Pharmaunternehmen eingehend diskutieren. „Unsere Priorität ist es, die Impfung in der EU zu beschleunigen“, schreibt Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, in seinem Einladungsschreiben. „Das beinhaltet auch, sicherzustellen, dass die Impfstofflieferungen verlässlich sind und dass die Pharmaunternehmen ihre Verpflichtungen einhalten.“„Der Druck auf die Unternehmen ist sehr hoch“, erklärte der EU-Diplomat. Und er stellte vor allem AstraZeneca die Rute ins Fenster: „Wenn wir sehen, dass die Kooperation nicht funktioniert, haben wir Werkzeuge in den EU-Verträgen, wie Artikel 122, um die Produktion zu erzwingen. Damit meinte er Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU. Der ermächtigt die EU, „im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen beschließen“zu können. Sprich: Zwangsproduktion von Impfstoffen in der EU oder das Teilen von Patenten. Michel hatte das schon Ende Jänner ins Spiel gebracht. „Derzeit sind Kooperation und Dialog unser Zugang“, beruhigte der Diplomat.
Von der Leyen kalmiert
Den „good cop“gab am Mittwoch Ursula von der Leyen. „Die Impfstoffhersteller sind in dieser Pandemie unsere Partner, und auch sie standen noch nie vor solch einer Herausforderung“, sagte sie zur „Augsburger Allgemeinen“.
AstraZeneca kommt von zwei Fronten zugleich unter politischen Druck: Einerseits ist der Ärger der Mitgliedstaaten darüber, dass Lieferungen nicht eingehalten werden, groß. Belgien etwa hätte im Februar 443.000 Dosen erhalten sollen, berichtet die Zeitung „La Libre Belgique“. Bekommen hat es wenige Tage vor Monatsende nur 67.200 Dosen – um 85 Prozent weniger als versprochen. Andererseits wächst das Misstrauen gegenüber der Wirksamkeit des Impfstoffes gegen die Mutanten. Vielerorts bleiben Dosen unangetastet, weil Ärzte und Pfleger sich verweigern.
Gleichzeitig zu wenig und zu viel: Aus dieser Zwickmühle einen Ausweg zu finden, wird für AstraZeneca schwer werden. Einen offenen Konflikt mit dem Konzern kann sich die EU allerdings auch nicht leisten. Zu sehr hängen die nationalen Impfpläne von dessen Lieferungen ab. Ab April naht jedenfalls Hoffnung: 300 Millionen Dosen haben die drei bisher zugelassenen Hersteller (neben AstraZeneca auch Moderna und Pfizer-Biontech) der EU für das zweite Quartal versprochen.