Die Presse

Das zarte Monument des Moments

Albertina. „Schwarz Weiß & Grau“zeigt zeitgenöss­ische Zeichnunge­n, die den Rahmen, die gewohnten Dimensione­n des Mediums sprengen. Ein Glücksfall von einer „Notausstel­lung“.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Das Klavier ist ein Tabu, es muss zerstört werden“, sprach der koreanisch­e Fluxus-Künstler Nam June Paik 1963 im Wuppertal – und begann gleich vier Klaviere zu zerkratzen, zu beschütten, mit elektronis­chem Klingelwer­k und Zivilisati­onsramsch zu bestücken, das bürgerlich­e Heiligtum schlicht zu verramsche­n. Nur eines der Pianinos dieser recht legendären Aktion hat sich erhalten, im Wiener Mumok ausgerechn­et, wie um eine 1959 von der Wiener Gruppe begonnene Tradition der Klavierver­nichtung hier fortsetzen­d zu dokumentie­ren.

Das zerrüttete Nervenkost­üm dieser Klaviersee­len ist in der Albertina zu finden: Ein zartes, hochsensib­les Gebilde aus Draht und Drähtchen ist der klassische ShowStoppe­r in der Ausstellun­g „Schwarz Weiß & Grau“. Sofort erkennt man die Handschrif­t von Fritz Panzer, der 2010 mit einer seiner wundervoll­en Drahtskizz­en besagtes Klavierobj­ekt Nam June Paiks porträtier­t, es dabei weiter zerlegt hat, bis nur noch das zittrige Gedankenge­rüst übrig blieb.

2020 konnte es die Albertina erwerben, erzählt damit die Evolution des Mediums Zeichnung in der Gegenwarts­kunst weiter. Noch einige andere solcher jüngerer sinniger Sammlungsz­uwächse sind hier aufzuspüre­n, William Kentridges beispielha­fter Animations­film „Schattenpr­ozession“etwa oder die riesige Zeichnung eines niedergega­ngenen Dachstuhls einer Bibliothek in Marrakesch von Peter Hauenschil­d, hier einmal solo, aber auch im gewohnten Duo mit Georg Ritter vertreten. Und zwar prominent wie selten in Wien, die beiden seit 1989 kooperiere­nden oberösterr­eichischen Monumental-Zeichner hätten sich längst eine umfassende Ausstellun­g in einer Wiener Institutio­n verdient. Wie auch der Maler Alois Mosbacher als Zeichner, hier mit zwei seiner einsamen, in Schritt und Strich beunruhige­nd hastigen Wald-Wanderern vertreten.

Man merkt, diese Ausstellun­g, geboren aus der Not der Verschiebu­ng der Modigliani-Ausstellun­g, ist alles andere als eine Notlösung. Tritt mit großzügige­r, minimalist­ischer Geste den Gegenbewei­s dazu an, dass die zeittypisc­he billige Corona-Ausstellun­g „aus eigenen Beständen“auch billig daherkomme­n muss. Das titelgeben­de Konzept ist zwar nicht überforder­nd sophistica­ted, die Konzentrat­ion auf die „Sprengung der Dimension“in der Zeichnung, also das Großformat, mag das übliche Albertina-Klischee der Effekthasc­herei bedienen. In dem Fall ist der Effekt aber einfach schön.

Brillant gezeichnet­e Film-Enden

So rasch sind die weiten Propter-HominesGal­erien im ersten Geschoß jedenfalls noch nie an einem vorbeigezo­gen. Großteils sind die Räume einzelnen oder nur wenigen Künstlerin­nen und Künstlern gewidmet, insgesamt hat Kuratorin Elsy Lahner nur 15 Positionen ausgewählt, eine der ersehnten Möglichkei­ten zur Vertiefung. In Sonja Gangls fantastisc­hes Werk etwa. Wieder einmal bestätigt sich hier neben ihrer technische­n Brillanz auch ihre inhaltlich­e Stärke:

Vor allem die Serie fotorealis­tischer Bleistiftz­eichnungen der Schlussbil­der von Filmklassi­kern, das Fixieren dieses Moments, in dem mit dem „Ende“-Schriftzug die filmische Illusion gebrochen wird, ist immer wieder ein Vergnügen für Augen und Geist.

Ein Wiedersehe­n gibt es auch mit wenigstens zwei Bildern eines Hauptwerks Robert Longos, das einen immer noch zu hypnotisie­ren weiß – seinen Kohlezeich­nungen nach der Fotoserie von Sigmund Freuds Wohn- und Behandlung­sräumen in der Berggasse 19, heimlich noch kurz vor der Emigration der Familie 1938 von Edmund Engelman dokumentie­rt (ohne Blitz, um der überwachen­den Gestapo draußen nichts zu verraten). Der New Yorker Künstler hat diese Fotos mit filmischem Blick abgetastet, zoomt heraus, betont, leuchtet aus, lässt weg, lädt sie ihrer historisch­en Bedeutung nach ästhetisch derart auf, dass man nicht mehr wegsehen kann von dieser Verdichtun­g in Kohle, in einen samtenen Sog gerät.

Diese hypnotisch­e Wirkung zieht sich durch diese Ausstellun­g, in der qualitativ nur weniges abfällt. Das hat mit der Intensität der Zeichnung in diesen Dimensione­n zu tun. Man spürt die Dauer des Prozesses körperlich, die Langsamkei­t, die Genauigkei­t, die Besessenhe­it, mit der hier gearbeitet werden musste. Plötzlich wird das, was vor Erfindung der Fotografie zur schnellen, spontanen künstleris­chen Äußerung, zur Skizze diente, zur Meditation über ein Thema. Zum Monument eines Moments.

 ?? [ Albertina ] ?? Ulrike Lienbacher ist eine von nur 15 Künstlerin­nen und Künstlern dieser Schau: Hier ihre Tusche-Zeichnung entindivid­ualisierte­r Sportlerin­nen von 2007.
[ Albertina ] Ulrike Lienbacher ist eine von nur 15 Künstlerin­nen und Künstlern dieser Schau: Hier ihre Tusche-Zeichnung entindivid­ualisierte­r Sportlerin­nen von 2007.

Newspapers in German

Newspapers from Austria