Todeskampf der „Wiener Zeitung“
Gastbeitrag. Die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt steht vor dem Aus – durch Türkis-Grün und eine EU-Richtlinie.
Das Damoklesschwert hängt seit 1169 Tagen über der „Wiener Zeitung“. Schon zum ÖVP-FPÖ-Regierungsprogramm gehörte das Ende der Pflichtinserate für Firmen in dem 1703 gegründeten Medium. Das Vorhaben steht auch im türkis-grünen Koalitionspapier. Der Verlag sucht seitdem ein „neues Geschäftsmodell mit dem Ziel des Erhalts der Marke“, wie es die Politik in aller Inkompetenz formuliert. Und die Redaktion macht – das soll gerade hier zugestanden sein – eine gute Zeitung.
Doch seit Sommerbeginn 2019 schwebt über dem Blatt ein zweites Damoklesschwert aus Brüssel. Die EU-Richtlinie zum Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht vereitelt wahrscheinlich die Online-Fortsetzung der Pflichtinserate. Sie ist 2021 umzusetzen. „Unsere Deadline ist im August“, heißt es aus der 60-köpfigen Redaktion. Denn die jährlich 15 bis 20 Mio. Euro aus diesen Einschaltungen sind die bei Weitem größte Einnahmequelle des seit 1813 täglich erscheinenden Titels. 2008 hat der OGH eine Klage der „Presse“wegen dieser „Wettbewerb verzerrenden Pflichtinserate“abgewiesen.
Niemand weiß, wie viele Leser die „Wiener Zeitung“hat. Nur wenige Geheimnisträger kennen ihre Auflage. Sie gehört der Republik und ist neben dem „Volksblatt“der oberösterreichischen ÖVP der zweite ganz besondere Sonderfall in der an Titeln armen, aber Spezialitäten reichen austriakischen Presselandschaft mit nur 14 Tageszeitungen. In Schweden sind es 130, in der Schweiz 90. Jeder finale Blattschluss ist ein Verlust an journalistischer Informationsvielfalt und Demokratiequalität.
Die Würdigung dieser Kehrseite der Medaille eines fehlenden Geschäftsmodells wirkt umso wichtiger angesichts der aktuellen Gründungen von digitalen PR-Plattformen durch die ÖVP. Mit dem Wechsel ihres Regierungspartners hat sie das Medienressort von Gernot Blümel direkt zu Sebastian Kurz verschoben. Seitdem harrt die irrwitzig verfasste herkömmliche Presseförderung ebenso vergeblich einer Reform wie die inakzeptable überproportionale Stützung von Gratisgazetten und Boulevard. Von 30 Mio. Euro Regierungsinseraten unter Türkis-Blau landeten zwei Drittel bei „Krone“, „Österreich“, Oe24 und „Heute“. Obwohl die Letztgenannten gratis verteilt werden, erreichen sie nur rund ein Drittel der verbreiteten Gesamtauflage heimischer Tageszeitungen. Sie betrug vor Corona 2,75 Mio. Stück. Während in anderen Bundesländern neun Zehntel davon verkauft wurden, waren es in Wien nur 45 Prozent.
Schwerer für alle Kauftitel
Für alle Kauftitel wird es dadurch schwerer. Die „Wiener Zeitung“beharrt wie das ausgiebig mit Presseförderung subventionierte „Volksblatt“auf dem historischen Fehler, sich seit 1999 Media-Analyse und Auflagenkontrolle zu verweigern – den anerkannten Ausweisen für Publikumszahlen. Damals erzielte sie mit 16.000 Exemplaren 59.000 Leser. Chancenlos im Wettbewerb mit „Presse“und „Standard“. Die Republik hat den in Demokratien einzigartigen Fehler einer eigenen Zeitung zu lang hinausgezögert. Aus wechselndem Partei-Interesse, nicht aus Staatsräson.
Abgesehen von ihrer hohen Qualität gibt es wenig gute Argumente für ein Weiterbestehen der „Wiener Zeitung“. Doch die Tragödie ihrer Journalisten wird noch trister durch digitale Medien-Neugründungen der ÖVP und in ihrem Umfeld. Nach „Zur Sache“aus dem türkisen Parlamentsklub startet nun auch Exxpress. Dafür ist offenbar ausreichend Geld vorhanden. So geht Medienpolitik, wenn sie Chefsache ist.
Peter Plaikner (* 1960) ist Publizist, Politik- u. Medienberater sowie Geschäftsführer von IMPact, Inst. f. Medien u. Politik.