Warmes Wetter belastet auch die Winterschläfer
Tiere passen sich auf vielfältige Weise an den Klimawandel an. Erdferkel verlegen ihre Nahrungssuche auf den helllichten Tag, Braunbären wachen in warmen Wintern öfter aus der Winterruhe auf, um Futter zu naschen.
Wir fragen uns oft, ob unser Körper sich an Veränderungen der Umwelt anpasst: Warum macht uns die zunehmende Hitze im Sommer so zu schaffen und wie kommen wir mit Wetterextremen zurecht? Ein Team internationaler Forscherinnen und Forscher widmete nun eine ganze Ausgabe des Wissenschaftsjournals Frontiers in Physiology der Frage, wie Tiere auf die Folgen des Klimawandels reagieren. In 15 Publikationen stecken Details über Anpassungen an Umweltschwankungen und die globale Erderwärmung.
Die einleitenden Worte schrieb Sylvain Giroud vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (Fiwi) der Vet-Med-Uni Wien mit Kollegen aus England, Kanada und Schweden. Er zählt auf, woran sich die Auswirkungen des Klimawandels gut ablesen lassen: „Erstens betreffen Anpassungen die saisonalen Rhythmen wie Winterruhe und Winterschlaf. Zweitens geht es um Veränderungen des Energiestoffwechsels und des
Wasserhaushaltes. Und der dritte Faktor ist die thermische Empfindlichkeit von Tieren während ihrer Entwicklung und daraus folgende lebenslange Auswirkungen.“
Als Beispiel nennt der Wildtierökologe den Lebensrhythmus der Erdferkel im südlichen Afrika. Die Säugetiere, die sich von Ameisen und Termiten ernähren, sind ursprünglich nachtaktiv, doch seit einigen Jahren verschieben sie ihre wache Zeit mehr in den Tag hinein. Ein Team aus Johannesburg in Südafrika erforschte diese Tiere mit kleinen Daten-Loggern über drei Jahre. Die Aufzeichnungen zeigen, dass Erdferkel in Dürrezeiten, wenn Nahrung rar ist, sowohl nachts als auch tagsüber auf Futtersuche gehen. „Sie können aber ihre Körpertemperatur nicht so stark regulieren und leiden unter hohen Temperaturen“, sagt Giroud. Viele Erdferkel verhungern. Das Forschungsteam schließt, dass diese Tierart nicht gut gerüstet ist für den Klimawandel – was auch Konsequenzen für andere Tiere hat, die auf Erdferkelbauten als Rückzugsort angewiesen sind.
Die Jugend bestimmt restliches Leben
Das Team um Giroud am Wilheminenberg untersucht indes in Europa heimische Tierarten, aktuell vor allem den Gartenschläfer. Das Nagetier ist mit dem Siebenschläfer verwandt und in Österreich nur mehr in Vorarlberg verbreitet. „Vor allem in Deutschland fällt der dramatische Rückgang der Gartenschläferpopulationen auf. Die Ursachen dafür werden intensiv untersucht“, sagt Giroud. Die kleinen Allesfresser, die Pflanzen, Insekten, Obst, Gemüse und kleine Mäuse verspeisen, sind bisher wenig erforscht, und Giroud interessiert, wie sich Erfahrungen in der Kindheit auf das spätere Leben auswirken. „Solche Forschungsfragen sind bei Geflügel gut untersucht, weil es wirtschaftlichen Wert hat zu wissen, wie man junge Vögel aufziehen muss, um gesunde, große Erwachsene zu haben“, sagt er. Daher weiß man, dass Vogelarten sich gut an Umweltbedingungen anpassen, die sie in jungen Jahren erleben: Wer im Kalten aufwächst, vertragt später gut Kälte, wer warme Bedingungen erlebte, kann besser mit Hitze umgehen. Bei Zugvögeln kommt hinzu, dass sie Klimawandelfolgen leichter ausweichen können und von für sie ungünstigen Orten einfach weiterziehen.
„Kleine Nager, die in einen energiesparenden Körperzustand fallen können, haben auch weniger mit Temperaturschwankungen zu kämpfen. Wir schauen nun, ob Gartenschläfer flexibel auf thermische Bedingungen in der Kindheit reagieren.“Dazu vergleicht das Team Jungtiere, die im ersten Wurf im Frühling geboren wurden, mit Artgenossen, die im Herbst zur Welt ka
men – und weniger Zeit zum Entwickeln und Ansammeln von Fettreserven haben, bevor der Winter kommt. „Die Spätgeborenen bekommen im folgenden Jahr mehr Nachwuchs als die Frühgeborenen. Wir vermuten, dass die Erfahrungen in der Kindheit, in der sie in kurzer Zeit enorm wachsen und stabil werden müssen, ihr weiteres Leben beeinflussen“, sagt Giroud: „Diese Tierart dient uns auch als Modell für die Forschung an Winterschlaf.“
Winterruhe ist anfällig für Störungen
Im Gegensatz zu den nahe verwandten Siebenschläfern, die wie Murmeltiere, Hamster und Fledermäuse durchgehend Winterschlaf über mehrere Monate halten, wachen Gartenschläfer im Winter immer wieder auf, fahren ihre Körpertemperatur und den Stoffwechsel hoch, um Nahrung zu naschen, also neue Energie in den Körper zu bringen. Diese „Winterruhe“ist besonders anfällig für Klimawandelfolgen.
Denn bei wärmeren Wintern verbringen die Tiere einerseits mehr Zeit im kostenintensiven Wachmodus und verbrauchen andererseits auch im Torpor, wie die Kältestarre genannt wird, mehr Fett- und Energiereserven bei höherer Umgebungstemperatur.
Somit sparen sie viel weniger Energie als in kalten Wintern und können im Frühling sehr geschwächt sein. „Die Anpassungen scheinen genetisch bestimmt zu sein. Nun ist die Frage, ob die evolutionären Adaptationen gleich schnell sein können wie die Änderungen der Umwelt durch den Klimawandel“, sagt Giroud. Eine Bedrohung der Tiere mit Winterschlaf und Winterruhe kommt mit der Erderwärmung auch in Form von Krankheitserregern: „Bei höheren Temperaturen sind Pathogene aktiver. Das kann auch ein Grund sein, warum die Gartenschläferpopulation so drastisch abnimmt.“
Neben der Arbeit mit Tieren in Klimakammern und Freiluftgehegen nimmt Giroud auch an spektakulärer Forschung an Braunbären teil. Das „Scandinavian Brown Bear Research Project“macht Expeditionen in abgelegene Gebiete in Schweden und Norwegen, wo die großen Raubtiere über Helikopter und GPS-Logger beobachtet werden. „Wir finden so die Höhlen, in denen die Braunbären Winterruhe machen. Während die Tiere kurz betäubt sind, kann unser Team sie aus der Höhle transportieren, Haar- und Gewebeproben entnehmen und Ultraschalluntersuchungen durchführen“, erzählt Giroud. Neben Fragen zu Veränderungen im Klimawandel geht es dem VetMed-Team hier auch um biomedizinische Entdeckungen. „Das Faszinierende ist, dass Braunbären während fünf, sechs Monaten der Winterruhe keine Muskel abbauen oder Proteine verlieren: Wir Menschen schmelzen hingegen fast weg, wenn wir ohne körperliche Aktivität ans Bett gefesselt sind“, sagt der Ökophysiologe. Das Studium des saisonalen Zyklus der Braunbären soll nun Hinweise liefern, welche Stoffe auch bei Menschen den Protein- und Muskelabbau in Ruhephasen verhindern können.
Wildtiere als Vorbild für die Medizin
„Das ist Biomimikry: In Wildtieren Ansätze zu finden, die humanmedizinisch sinnvoll sind“, sagt Giroud. Der Stoffwechsel der Bären ist bis heute ein Mysterium: Sie geben während der Winterruhe weder Urin noch Kot ab, ohne dass ihr Körper darunter leidet. Das Wissen darum, „wie es z. B. gelingt, Cholesterin im Körper zu recyceln, kann helfen, Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas besser zu verstehen und im besten Fall zu therapieren“. Wir Menschen können uns also von Tieren einiges abschauen. Und die Ergebnisse helfen auch domestizierten Tieren wie Katzen, die anfällig für Nierenerkrankungen sind.