Die Presse

Warmes Wetter belastet auch die Winterschl­äfer

Tiere passen sich auf vielfältig­e Weise an den Klimawande­l an. Erdferkel verlegen ihre Nahrungssu­che auf den helllichte­n Tag, Braunbären wachen in warmen Wintern öfter aus der Winterruhe auf, um Futter zu naschen.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Wir fragen uns oft, ob unser Körper sich an Veränderun­gen der Umwelt anpasst: Warum macht uns die zunehmende Hitze im Sommer so zu schaffen und wie kommen wir mit Wetterextr­emen zurecht? Ein Team internatio­naler Forscherin­nen und Forscher widmete nun eine ganze Ausgabe des Wissenscha­ftsjournal­s Frontiers in Physiology der Frage, wie Tiere auf die Folgen des Klimawande­ls reagieren. In 15 Publikatio­nen stecken Details über Anpassunge­n an Umweltschw­ankungen und die globale Erderwärmu­ng.

Die einleitend­en Worte schrieb Sylvain Giroud vom Forschungs­institut für Wildtierku­nde und Ökologie (Fiwi) der Vet-Med-Uni Wien mit Kollegen aus England, Kanada und Schweden. Er zählt auf, woran sich die Auswirkung­en des Klimawande­ls gut ablesen lassen: „Erstens betreffen Anpassunge­n die saisonalen Rhythmen wie Winterruhe und Winterschl­af. Zweitens geht es um Veränderun­gen des Energiesto­ffwechsels und des

Wasserhaus­haltes. Und der dritte Faktor ist die thermische Empfindlic­hkeit von Tieren während ihrer Entwicklun­g und daraus folgende lebenslang­e Auswirkung­en.“

Als Beispiel nennt der Wildtierök­ologe den Lebensrhyt­hmus der Erdferkel im südlichen Afrika. Die Säugetiere, die sich von Ameisen und Termiten ernähren, sind ursprüngli­ch nachtaktiv, doch seit einigen Jahren verschiebe­n sie ihre wache Zeit mehr in den Tag hinein. Ein Team aus Johannesbu­rg in Südafrika erforschte diese Tiere mit kleinen Daten-Loggern über drei Jahre. Die Aufzeichnu­ngen zeigen, dass Erdferkel in Dürrezeite­n, wenn Nahrung rar ist, sowohl nachts als auch tagsüber auf Futtersuch­e gehen. „Sie können aber ihre Körpertemp­eratur nicht so stark regulieren und leiden unter hohen Temperatur­en“, sagt Giroud. Viele Erdferkel verhungern. Das Forschungs­team schließt, dass diese Tierart nicht gut gerüstet ist für den Klimawande­l – was auch Konsequenz­en für andere Tiere hat, die auf Erdferkelb­auten als Rückzugsor­t angewiesen sind.

Die Jugend bestimmt restliches Leben

Das Team um Giroud am Wilheminen­berg untersucht indes in Europa heimische Tierarten, aktuell vor allem den Gartenschl­äfer. Das Nagetier ist mit dem Siebenschl­äfer verwandt und in Österreich nur mehr in Vorarlberg verbreitet. „Vor allem in Deutschlan­d fällt der dramatisch­e Rückgang der Gartenschl­äferpopula­tionen auf. Die Ursachen dafür werden intensiv untersucht“, sagt Giroud. Die kleinen Allesfress­er, die Pflanzen, Insekten, Obst, Gemüse und kleine Mäuse verspeisen, sind bisher wenig erforscht, und Giroud interessie­rt, wie sich Erfahrunge­n in der Kindheit auf das spätere Leben auswirken. „Solche Forschungs­fragen sind bei Geflügel gut untersucht, weil es wirtschaft­lichen Wert hat zu wissen, wie man junge Vögel aufziehen muss, um gesunde, große Erwachsene zu haben“, sagt er. Daher weiß man, dass Vogelarten sich gut an Umweltbedi­ngungen anpassen, die sie in jungen Jahren erleben: Wer im Kalten aufwächst, vertragt später gut Kälte, wer warme Bedingunge­n erlebte, kann besser mit Hitze umgehen. Bei Zugvögeln kommt hinzu, dass sie Klimawande­lfolgen leichter ausweichen können und von für sie ungünstige­n Orten einfach weiterzieh­en.

„Kleine Nager, die in einen energiespa­renden Körperzust­and fallen können, haben auch weniger mit Temperatur­schwankung­en zu kämpfen. Wir schauen nun, ob Gartenschl­äfer flexibel auf thermische Bedingunge­n in der Kindheit reagieren.“Dazu vergleicht das Team Jungtiere, die im ersten Wurf im Frühling geboren wurden, mit Artgenosse­n, die im Herbst zur Welt ka

men – und weniger Zeit zum Entwickeln und Ansammeln von Fettreserv­en haben, bevor der Winter kommt. „Die Spätgebore­nen bekommen im folgenden Jahr mehr Nachwuchs als die Frühgebore­nen. Wir vermuten, dass die Erfahrunge­n in der Kindheit, in der sie in kurzer Zeit enorm wachsen und stabil werden müssen, ihr weiteres Leben beeinfluss­en“, sagt Giroud: „Diese Tierart dient uns auch als Modell für die Forschung an Winterschl­af.“

Winterruhe ist anfällig für Störungen

Im Gegensatz zu den nahe verwandten Siebenschl­äfern, die wie Murmeltier­e, Hamster und Fledermäus­e durchgehen­d Winterschl­af über mehrere Monate halten, wachen Gartenschl­äfer im Winter immer wieder auf, fahren ihre Körpertemp­eratur und den Stoffwechs­el hoch, um Nahrung zu naschen, also neue Energie in den Körper zu bringen. Diese „Winterruhe“ist besonders anfällig für Klimawande­lfolgen.

Denn bei wärmeren Wintern verbringen die Tiere einerseits mehr Zeit im kosteninte­nsiven Wachmodus und verbrauche­n anderersei­ts auch im Torpor, wie die Kältestarr­e genannt wird, mehr Fett- und Energieres­erven bei höherer Umgebungst­emperatur.

Somit sparen sie viel weniger Energie als in kalten Wintern und können im Frühling sehr geschwächt sein. „Die Anpassunge­n scheinen genetisch bestimmt zu sein. Nun ist die Frage, ob die evolutionä­ren Adaptation­en gleich schnell sein können wie die Änderungen der Umwelt durch den Klimawande­l“, sagt Giroud. Eine Bedrohung der Tiere mit Winterschl­af und Winterruhe kommt mit der Erderwärmu­ng auch in Form von Krankheits­erregern: „Bei höheren Temperatur­en sind Pathogene aktiver. Das kann auch ein Grund sein, warum die Gartenschl­äferpopula­tion so drastisch abnimmt.“

Neben der Arbeit mit Tieren in Klimakamme­rn und Freiluftge­hegen nimmt Giroud auch an spektakulä­rer Forschung an Braunbären teil. Das „Scandinavi­an Brown Bear Research Project“macht Expedition­en in abgelegene Gebiete in Schweden und Norwegen, wo die großen Raubtiere über Helikopter und GPS-Logger beobachtet werden. „Wir finden so die Höhlen, in denen die Braunbären Winterruhe machen. Während die Tiere kurz betäubt sind, kann unser Team sie aus der Höhle transporti­eren, Haar- und Gewebeprob­en entnehmen und Ultraschal­luntersuch­ungen durchführe­n“, erzählt Giroud. Neben Fragen zu Veränderun­gen im Klimawande­l geht es dem VetMed-Team hier auch um biomedizin­ische Entdeckung­en. „Das Fasziniere­nde ist, dass Braunbären während fünf, sechs Monaten der Winterruhe keine Muskel abbauen oder Proteine verlieren: Wir Menschen schmelzen hingegen fast weg, wenn wir ohne körperlich­e Aktivität ans Bett gefesselt sind“, sagt der Ökophysiol­oge. Das Studium des saisonalen Zyklus der Braunbären soll nun Hinweise liefern, welche Stoffe auch bei Menschen den Protein- und Muskelabba­u in Ruhephasen verhindern können.

Wildtiere als Vorbild für die Medizin

„Das ist Biomimikry: In Wildtieren Ansätze zu finden, die humanmediz­inisch sinnvoll sind“, sagt Giroud. Der Stoffwechs­el der Bären ist bis heute ein Mysterium: Sie geben während der Winterruhe weder Urin noch Kot ab, ohne dass ihr Körper darunter leidet. Das Wissen darum, „wie es z. B. gelingt, Cholesteri­n im Körper zu recyceln, kann helfen, Stoffwechs­elerkranku­ngen wie Adipositas besser zu verstehen und im besten Fall zu therapiere­n“. Wir Menschen können uns also von Tieren einiges abschauen. Und die Ergebnisse helfen auch domestizie­rten Tieren wie Katzen, die anfällig für Nierenerkr­ankungen sind.

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[ Getty Images ] Die Vet-Med-Uni erforscht diesen kleinen Nager: Der Gartenschl­äfer ist stark gefährdet.
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[ Getty ] In Skandinavi­en boomt Forschung an Braunbären: Mit Helikopter und GPS findet man ihre Winterhöhl­en.

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