Noble Namen für die Damen
Mit spärlichen Gesten: Eva Schmidts Erzählungen auf der Suche nach dem Geheimnis hinter dem Offensichtlichen.
Den voyeuristischen Augenblick kennt jeder: Im Vorbeigehen beobachtet man im Garten eines Hauses ein paar Personen. Was geschieht da? Handelt es sich um einen Kampf? Um eine Umarmung? Man kann es sich nicht erklären. Oder man blickt in eine gegenüberliegende Wohnung, die Vorhänge sind zurückgezogen, ja, da ist jemand zu sehen, ein Mann, eine Frau, was treiben die gerade? Doch man kann nur sehr wenig erkennen, eine Geschichte lässt sich nicht erzählen. Oder vielleicht doch?
Für die in Bregenz lebende Schriftstellerin Eva Schmidt wird es in dem Moment, in dem wir bereits die Geduld verloren haben, erst interessant. Das beweist aufs Neue ein Band mit Erzählungen, die raffiniert mit Aussparung und Verkürzung operieren. Welches Geheimnis, fragt sich die Autorin, könnte hinter einer Miniatur-Szene verborgen sein? Klar, es gehört zum System des Rätsels, dass manche Fragen unbeantwortet bleiben.
Das Buch beginnt mit einer Reise nach Brighton, mit dem Blick in das Nachbarhaus, dort ist zu sehen: ein Mann im weißen Morgenmantel und eine Frau; sie frühstücken gerade. Die Stadt an der südenglischen Küste, die Atmosphäre des Ortes spielen hier kaum eine Rolle, die Szene könnte genauso gut in Besancon,¸ Brindisi oder Bad Leonfelden spielen.
Eine andere Erzählung macht uns mit einem traurigen Immobilienmakler bekannt. Er wäre gerne Polizist geworden, liebt Charlie Parker, ist nun aber aus der Spur geraten, vagabundiert zwischen leer stehenden Wohnungen hin und her, schläft im Auto und ernährt sich von Erdnüssen, Sandwiches und Wodka. Erinnerungen an eine gescheiterte Liebesgeschichte quälen den Kerl, aber was damals geschah, als ihn Lucy mit einem Barkeeper betrogen hatte, erfahren wir nicht. Überhaupt ist Lucy inzwischen tot, denn ein Lastwagen ist nach rechts abgebogen, ohne die Radfahrerin zu beachten. Wer mag so viel Unglück ertragen? Ein offenes Ende findet auch die Geschichte, in der ein älterer Mann mit einem kleinen Buben zu einer Alm wandert. Man wüsste zu gerne, was es außer den kleinen Gesprächsfetzen beim Aufstieg für den Buben sonst noch zu erleben gab. Aber das gibt die Autorin nicht preis.
Hinweise auf drei von 13 Geschichten, in denen übrigens einige Todesfälle berichtet werden, viel geraucht wird, zahlreiche Hunde auftreten, einer von ihnen wird sogar nach Dostojewskis Romanheld „Myschkin“ gerufen, ein anderer wiederum „Igor“, das Attribut Fürst kann man sich in beiden Fällen dazudenken. Eva Schmidt ist eine genaue Beobachterin des anderen, des Fremden. In ihren Texten steht nicht eine Erzählerin mit ihrer problematischen Gefühligkeit im Zentrum. Die Orte der Handlungen führen meist in eine Urlaubswelt, etwa nach Manchester by the Sea (USA), in die Toscana, nach Skagen in Dänemark oder Grünau im Almtal. Auffällig ist auch, dass die Frauen meist weltgewandte Namen haben, also Claire, Daphne, Alice oder Jessica heißen.
Die besondere erzählerische Programmatik wurde von der Kritik anhand früherer Bücher bereits mehrfach gewürdigt: der Eva-Schmidt-Sound. Natürlich weiß die Autorin, dass der Verzicht auf erzählerische Pointen und das Verweigern dramatischer Zuspitzungen, das Verrätseln von Informationen und das schroffe Abkürzen von Schlüssen riskant sind. So könnte man manchmal denken: Oho! Die Sache ist also schon zu Ende? War das bisher Erzählte nicht erst die Ouvertüre zur Tragödie?
Aber wir haben nicht übersehen, dass Eva Schmidt bereits in der ersten Erzählung erklärt, worauf es ihr ankommt: „Andeutungen von Leben, kleine Ausschnitte von Alltäglichem, zusammengesetzt aus kurzen Auftritten und spärlichen Gesten“.