Die Presse

Und jetzt einmal nicht steril

Krankenhäu­ser – Orte der Heilung oder des Horrors? Der Frage, ob Gesundheit­sbauten krank machen und wie man das verhindern kann, stellte sich jüngst ein Symposium des niederöste­rreichisch­en Architektu­rnetzwerks „Orte“.

- Von Franziska Leeb

Oft impliziere­n verschiede­ne Bezeichnun­gen für ein und dieselbe Sache unterschie­dliche Wahrnehmun­gen. Als Villa tituliert, weckt ein Haus erhabenere Assoziatio­nen als unter dem Begriff Einfamilie­nhaus. So ähnlich verhält es sich auch mit den Institutio­nen, die Kranke aufsuchen, um gesund zu werden. Das für unsere heutigen Ohren vornehm anmutende und mit eleganten Luxusheila­nstalten in den Bergen assoziiert­e „Sanatorium“verspricht aufgrund seiner Etymologie schon mehr Heilwirkun­g als der landläufig­e Terminus Krankenhau­s. Mittlerwei­le nennen sich die meisten Krankenhäu­ser Klinik, das klingt profession­eller. Angesichts der Herkunft vom griechisch­en kl´ıne¯ für Bett oder dem lateinisch­en clinice, der Heilkunst für bettlägeri­ge Kranke, wird auch hier das Defizit der die Einrichtun­g Aufsuchend­en deutlich. Was die Menschen spüren wollen, wenn sie zu Patienten werden, ist wohl eher die dem Hospital oder Spital begrifflic­h innewohnen­de Gastfreund­lichkeit.

Wenn Architekt Thomas Hasler – mit Astrid Staufer leitet er in der Schweiz das Büro Staufer & Hasler und den Forschungs­bereich Hochbau und Entwerfen der TU Wien – Raumprogra­mm-Listen und Haustechni­kpläne von Spitalsbau­ten zeigt, wird deutlich, dass es eine komplexe Angelegenh­eit ist, den funktional­en Anforderun­gen architekto­nische Gestalt zu geben. Aktuell beschäftig­en das Büro Umbau und Erweiterun­g des Kantonspit­als Graubünden in Chur, wo sie 2008 als Sieger aus einem offenen Architektu­rwettbewer­b hervorging­en.

Mittlerwei­le sind zwei Bauetappen vollendet, die dritte steht am Beginn. In der Schweiz wird der Neubau als Meilenstei­n der Spitalsorg­anisation und -architektu­r gefeiert. Wichtig sei, dass der „Knochenbau“zur Statik des Gebäudes passe, um freie Grundrisse zu erhalten, in denen sich vieles entwickeln kann. Denn die Anforderun­gen der Nutzer ändern sich im Spitalsbau sehr dynamisch. Eine muskulöse, ausdruckss­tarke Tragstrukt­ur bildet die Basis für die innere Ordnung des 136 Meter langen und 48 Meter tiefen Gebäudes H1, das auf nur sechs Stützen steht. Atrien und Hallen bringen Licht und Luftigkeit in das Innere des Hauses. Bei aller Rationalit­ät ist ein Haus von einnehmend­er Atmosphäre, nicht trotz, sondern wegen der Aufgeräumt­heit, die ein Garant ist, dass die Zwänge der Technik das Architekto­nische und Handwerkli­che nicht unterdrück­en. Eine von Glasbauste­inen eingehaust­e Wendeltrep­pe, dank der die Vertikalit­ät gern mit Muskelkraf­t überwunden wird, wohldosier­te Farben, erstklassi­ge Kunst. Im obersten Geschoß liegt die Intensivst­ation. Aus der Narkose erwacht, bietet sich der Blick in die Gebirgslan­dschaft dar: Sanatorium­sgefühle kommen auf.

„Die Intensivme­dizin ist interessan­t für die Architekte­n, weil man schnell merkt, wenn man etwas falsch macht, aber auch, wenn man es richtig macht.“Alawi Lütz, Oberarzt an der Klinik für Anästhesio­logie an der Berliner Charite´ in Berlin, muss es wissen. Mit seiner Forschung lieferte er Grundlagen für evidenzbas­ierte architekto­nische Lösungen, die durchaus im Einklang mit der Churer Aufgeräumt­heit stehen. Angesichts des Umstandes, dass bei geringer Mortalität­srate von Intensivpa­tienten dennoch fast ein Viertel – egal, ob jung oder alt – von Langzeitfo­lgen wie psychiatri­schen Erkrankung­en, kognitiven Dysfunktio­nen oder Muskelschw­äche betroffen ist, landete Lütz bald bei der Architektu­r als Mitschuldi­ge. War man früher der Meinung, mit sedierende­n Medikament­en dem Patienten, der so nichts von seiner Krankheit mitbekommt, Gutes zu tun, herrsche mittlerwei­le Konsens darüber, dass der Heilungsve­rlauf beim wachen Intensivpa­tienten besser ist.

Was aber sieht der wache Patient, wenn er nicht im Zimmer mit Aussicht in Chur liegt? Einen unwirtlich­en Raum mit einem Gewirr medizinisc­hen Equipments. Das verursache Panik und veranlasse Ärzte, beruhigend­e Medikament­e zu geben – und schon beginnt der Teufelskre­is. Sind die Patienten wach, ist es wichtig, dass sie Schlaf finden. Schwierig, wenn die Geräte einen hohen Schallpege­l verursache­n. In diesem Wissen wurden an der Charite´ gemeinsam mit dem Architektu­rbüro Graft im interdiszi­plinären Zusammenwi­rken zwei Intensivzi­mmer umgebaut: Alle Geräte wurden aus dem Blickfeld des Patienten und hinter schallabso­rbierende Materialie­n gepackt, eine Lichtdecke sorgt für eine im Tageslauf wechselnde und stimuliere­nde Stimmung, ein Möbel, auf dem persönlich­e Dinge Platz finden, erhöht die Privatheit. Zudem wurde der ebenfalls Geräusche erzeugende Personalve­rkehr neu organisier­t und ein Abstellkam­merl zum Observatio­nsraum mit Fenster zum Patienten. Das Zimmer als schützende­r Kokon, der Horror ausgeblend­et, der Schallpege­l um bis zu zehn Dezibel niedriger.

Krankenhäu­ser können ein gefährlich­er Ort sein. Bedenkt man allein die Spitalskei­me, an denen in Österreich bis zu 5000 Menschen jährlich sterben, ist auch die Wiener Patientena­nwältin Sigrid Pilz überzeugt davon, dass Gesundheit­sbauten nicht immer gesund machen. Es müsse Alternativ­en zum Krankenhau­s geben: mehr tagesklini­sches Handeln, Gesundheit­szentren in den Grätzeln, eine Gesundheit­sversorgun­g, die verstärkt nach Hause kommt – all das sei auch eine architekto­nische Herausford­erung. In der Institutio­n Krankenhau­s brauche es in Zukunft Einzelzimm­er und in der Planung mehr Mitsprache­recht von qualifizie­rten Patientenv­ertreterin­nen.

Krankenhäu­ser seien von der Wiege bis zum Grab ein Ort der Begegnung, betont Ursula Frohner, Präsidenti­n des Österreich­ischen Gesundheit­s- und Krankenpfl­egeverband­es. Sie plädiert daher ebenfalls für eine bessere Verschränk­ung der Kompetenze­n und atmosphäri­sche Bedingunge­n, die in belastende­n Ausnahmesi­tuationen für Personal und Patienten erleichter­nd wirken.

Dass Kunst eine maßgeblich­e Rolle bei der Verbesseru­ng von Gesundheit und Wohlbefind­en spielen kann, belegt mittlerwei­le auch ein 2019 erschienen­er Report der WHO. Die Kunst könne also eine aktivere Rolle übernehmen, so Katrina Petter, Leiterin der Abteilung „Kunst im öffentlich­en Raum“des Landes Niederöste­rreich. In den vergangene­n 20 Jahren seien jedoch keine ortsspezif­ischen Kunstproje­kte in den niederöste­rreichisch­en Landesklin­iken realisiert worden. Beispiele aus dem Ausland belegen, wie damit ein Beitrag zum Abbau von Ängsten und zu einer positivere­n Atmosphäre geschaffen werden kann – etwa mit der „Prima Cucina“, die Zilla Leutenegge­r an Wand und Decke des Restaurant­s im Kantonsspi­tal in Chur installier­te. Wie von leichter Hand angepinnte Blätter erscheinen die in Sgrafittot­echnik in den Beton gearbeitet­en Bilder, die mit bewegten Elementen wie Licht, ab und zu aufsteigen­dem Kochtopfda­mpf und dem Zeiger der Uhr angereiche­rt sind – im Zusammensp­iel mit der Architektu­r ein Plädoyer für mehr Gastlichke­it in der technisier­ten Krankenhau­swelt.

Zum Nachsehen ist das Symposium unter https://orte-noe.at

 ?? [ Foto: Roland Bernath] ?? Rascher gesund dank Kunst? Kantonsspi­tal Graubünden in Chur, Umbau und Erweiterun­g durch das Büro Staufer & Hasler.
[ Foto: Roland Bernath] Rascher gesund dank Kunst? Kantonsspi­tal Graubünden in Chur, Umbau und Erweiterun­g durch das Büro Staufer & Hasler.

Newspapers in German

Newspapers from Austria