Und jetzt einmal nicht steril
Krankenhäuser – Orte der Heilung oder des Horrors? Der Frage, ob Gesundheitsbauten krank machen und wie man das verhindern kann, stellte sich jüngst ein Symposium des niederösterreichischen Architekturnetzwerks „Orte“.
Oft implizieren verschiedene Bezeichnungen für ein und dieselbe Sache unterschiedliche Wahrnehmungen. Als Villa tituliert, weckt ein Haus erhabenere Assoziationen als unter dem Begriff Einfamilienhaus. So ähnlich verhält es sich auch mit den Institutionen, die Kranke aufsuchen, um gesund zu werden. Das für unsere heutigen Ohren vornehm anmutende und mit eleganten Luxusheilanstalten in den Bergen assoziierte „Sanatorium“verspricht aufgrund seiner Etymologie schon mehr Heilwirkung als der landläufige Terminus Krankenhaus. Mittlerweile nennen sich die meisten Krankenhäuser Klinik, das klingt professioneller. Angesichts der Herkunft vom griechischen kl´ıne¯ für Bett oder dem lateinischen clinice, der Heilkunst für bettlägerige Kranke, wird auch hier das Defizit der die Einrichtung Aufsuchenden deutlich. Was die Menschen spüren wollen, wenn sie zu Patienten werden, ist wohl eher die dem Hospital oder Spital begrifflich innewohnende Gastfreundlichkeit.
Wenn Architekt Thomas Hasler – mit Astrid Staufer leitet er in der Schweiz das Büro Staufer & Hasler und den Forschungsbereich Hochbau und Entwerfen der TU Wien – Raumprogramm-Listen und Haustechnikpläne von Spitalsbauten zeigt, wird deutlich, dass es eine komplexe Angelegenheit ist, den funktionalen Anforderungen architektonische Gestalt zu geben. Aktuell beschäftigen das Büro Umbau und Erweiterung des Kantonspitals Graubünden in Chur, wo sie 2008 als Sieger aus einem offenen Architekturwettbewerb hervorgingen.
Mittlerweile sind zwei Bauetappen vollendet, die dritte steht am Beginn. In der Schweiz wird der Neubau als Meilenstein der Spitalsorganisation und -architektur gefeiert. Wichtig sei, dass der „Knochenbau“zur Statik des Gebäudes passe, um freie Grundrisse zu erhalten, in denen sich vieles entwickeln kann. Denn die Anforderungen der Nutzer ändern sich im Spitalsbau sehr dynamisch. Eine muskulöse, ausdrucksstarke Tragstruktur bildet die Basis für die innere Ordnung des 136 Meter langen und 48 Meter tiefen Gebäudes H1, das auf nur sechs Stützen steht. Atrien und Hallen bringen Licht und Luftigkeit in das Innere des Hauses. Bei aller Rationalität ist ein Haus von einnehmender Atmosphäre, nicht trotz, sondern wegen der Aufgeräumtheit, die ein Garant ist, dass die Zwänge der Technik das Architektonische und Handwerkliche nicht unterdrücken. Eine von Glasbausteinen eingehauste Wendeltreppe, dank der die Vertikalität gern mit Muskelkraft überwunden wird, wohldosierte Farben, erstklassige Kunst. Im obersten Geschoß liegt die Intensivstation. Aus der Narkose erwacht, bietet sich der Blick in die Gebirgslandschaft dar: Sanatoriumsgefühle kommen auf.
„Die Intensivmedizin ist interessant für die Architekten, weil man schnell merkt, wenn man etwas falsch macht, aber auch, wenn man es richtig macht.“Alawi Lütz, Oberarzt an der Klinik für Anästhesiologie an der Berliner Charite´ in Berlin, muss es wissen. Mit seiner Forschung lieferte er Grundlagen für evidenzbasierte architektonische Lösungen, die durchaus im Einklang mit der Churer Aufgeräumtheit stehen. Angesichts des Umstandes, dass bei geringer Mortalitätsrate von Intensivpatienten dennoch fast ein Viertel – egal, ob jung oder alt – von Langzeitfolgen wie psychiatrischen Erkrankungen, kognitiven Dysfunktionen oder Muskelschwäche betroffen ist, landete Lütz bald bei der Architektur als Mitschuldige. War man früher der Meinung, mit sedierenden Medikamenten dem Patienten, der so nichts von seiner Krankheit mitbekommt, Gutes zu tun, herrsche mittlerweile Konsens darüber, dass der Heilungsverlauf beim wachen Intensivpatienten besser ist.
Was aber sieht der wache Patient, wenn er nicht im Zimmer mit Aussicht in Chur liegt? Einen unwirtlichen Raum mit einem Gewirr medizinischen Equipments. Das verursache Panik und veranlasse Ärzte, beruhigende Medikamente zu geben – und schon beginnt der Teufelskreis. Sind die Patienten wach, ist es wichtig, dass sie Schlaf finden. Schwierig, wenn die Geräte einen hohen Schallpegel verursachen. In diesem Wissen wurden an der Charite´ gemeinsam mit dem Architekturbüro Graft im interdisziplinären Zusammenwirken zwei Intensivzimmer umgebaut: Alle Geräte wurden aus dem Blickfeld des Patienten und hinter schallabsorbierende Materialien gepackt, eine Lichtdecke sorgt für eine im Tageslauf wechselnde und stimulierende Stimmung, ein Möbel, auf dem persönliche Dinge Platz finden, erhöht die Privatheit. Zudem wurde der ebenfalls Geräusche erzeugende Personalverkehr neu organisiert und ein Abstellkammerl zum Observationsraum mit Fenster zum Patienten. Das Zimmer als schützender Kokon, der Horror ausgeblendet, der Schallpegel um bis zu zehn Dezibel niedriger.
Krankenhäuser können ein gefährlicher Ort sein. Bedenkt man allein die Spitalskeime, an denen in Österreich bis zu 5000 Menschen jährlich sterben, ist auch die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz überzeugt davon, dass Gesundheitsbauten nicht immer gesund machen. Es müsse Alternativen zum Krankenhaus geben: mehr tagesklinisches Handeln, Gesundheitszentren in den Grätzeln, eine Gesundheitsversorgung, die verstärkt nach Hause kommt – all das sei auch eine architektonische Herausforderung. In der Institution Krankenhaus brauche es in Zukunft Einzelzimmer und in der Planung mehr Mitspracherecht von qualifizierten Patientenvertreterinnen.
Krankenhäuser seien von der Wiege bis zum Grab ein Ort der Begegnung, betont Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes. Sie plädiert daher ebenfalls für eine bessere Verschränkung der Kompetenzen und atmosphärische Bedingungen, die in belastenden Ausnahmesituationen für Personal und Patienten erleichternd wirken.
Dass Kunst eine maßgebliche Rolle bei der Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden spielen kann, belegt mittlerweile auch ein 2019 erschienener Report der WHO. Die Kunst könne also eine aktivere Rolle übernehmen, so Katrina Petter, Leiterin der Abteilung „Kunst im öffentlichen Raum“des Landes Niederösterreich. In den vergangenen 20 Jahren seien jedoch keine ortsspezifischen Kunstprojekte in den niederösterreichischen Landeskliniken realisiert worden. Beispiele aus dem Ausland belegen, wie damit ein Beitrag zum Abbau von Ängsten und zu einer positiveren Atmosphäre geschaffen werden kann – etwa mit der „Prima Cucina“, die Zilla Leutenegger an Wand und Decke des Restaurants im Kantonsspital in Chur installierte. Wie von leichter Hand angepinnte Blätter erscheinen die in Sgrafittotechnik in den Beton gearbeiteten Bilder, die mit bewegten Elementen wie Licht, ab und zu aufsteigendem Kochtopfdampf und dem Zeiger der Uhr angereichert sind – im Zusammenspiel mit der Architektur ein Plädoyer für mehr Gastlichkeit in der technisierten Krankenhauswelt.
Zum Nachsehen ist das Symposium unter https://orte-noe.at