USA und Araber am Wendepunkt
US-Präsident Biden legt neue Strategie gegenüber Saudiarabien offen.
Riad/Washington/Istanbul. Im Auf und Ab der amerikanischen Nahostpolitik gab es seit dem Weltkrieg oft große Spannungen zwischen Washington und den arabischen US-Partnern. Doch noch nie hatte eine US-Regierung einen Machthaber eines verbündeten Staates öffentlich als Drahtzieher eines brutalen politischen Mordes an den Pranger gestellt.
Die Veröffentlichung des USGeheimdienstberichts am Freitag über den Tod des Dissidenten Jamal Khashoggi im Generalkonsulat des Königreichs in Istanbul im Oktober 2018 und die Rolle des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman bei dem Mord ist deshalb ein Wendepunkt. Und zwar für das Verhältnis zwischen den USA und der ganzen Region: Am Wochenende unterstützten bereits mehrere Länder dort (Kuwait, die Emirate, Bahrain) Riad, indem sie die Aussage des Berichts, Kronprinz bin Salman (der 35-Jährige ist auch Vizepremier und Verteidigungsminister) habe den Mord abgesegnet, ebenso zurückwiesen wie angekündigte US-Sanktionen gegen Dutzende saudische Bürger speziell aus dem Sicherheitsbereich. Der Kronprinz aber ist dadurch bisher nicht betroffen.
Jahrzehntelanges Wegschauen
Was jetzt zum Ausbruch kommt, war in den Beziehungen zwischen den USA und Saudiarabien schon lange ein Problem, wurde aber unter der Decke gehalten: Amerika als westliche Führungsmacht und selbsterklärte Hüterin demokratischer Werte kooperiert mit einem islamistischen Regime, das Frauen unterdrückt, Kritiker einsperrt oder tötet und dem Volk die Teilhabe an der Macht verwehrt. Saudiarabiens Rolle als Ölstaat, westlicher Vorposten am Golf und Bollwerk gegen den Iran machte menschenrechtliche Bedenken zweitrangig.
Diese Regel gilt nun nicht mehr. Die USA sind durch Fracking selbst zu einem der größten Ölproduzenten geworden und nicht mehr abhängig von den Saudis: 2019 importierte Amerika nur noch drei bis vier Prozent seines Ölbedarfs, 2005 waren es noch 60 Prozent. Und weil Öl auch künftig aus mehreren Gründen an Bedeutung einbüßen dürfte, ist es für die USA leichter, im Verhältnis zu den Saudis neue Saiten aufzuziehen.
Die schärfere Gangart gliedert sich zudem ein in andere außenpolitische Prioritäten der neuen US-Regierung. So hat Biden angekündigt, man werde gegen autoritäre Regimes wie China und Russland schärfer Position beziehen.
Biden will den Prinzen nicht
Bezüglich Saudiarabien machte er deutlich, dass er Mohammed bin Salman (MBS) nicht als Gesprächspartner akzeptieren will, obwohl dieser de facto schon das Land regiert. MBS soll also isoliert, ja womöglich zum Thronverzicht gebracht werden. Heute Montag will Biden die Grundzüge der neuen Politik gegenüber Riad vorstellen. Laut Berichten könnten etwa Waffenlieferungen beschränkt werden.
Dass Biden einen alten Partner öffentlich so demütigt, ist zudem ein Signal an andere US-Partner in der Region wie etwa Ägypten, die Emirate, Katar. Auch dort werden Menschenrechte grob verletzt. Unter Barack Obama hatten die USA deshalb Waffengeschäfte mit Kairo zeitweise gestoppt. Was mit MBS geschieht, könnte auch den Herrschenden anderswo widerfahren.
Washington bemüht sich, diese Botschaft durch eine andere zu flankieren: Nur einen Tag vor der Veröffentlichung des KhashoggiBerichts am Freitag hatte Biden die erste Militäraktion als Präsident angeordnet – gegen pro-iranische Milizen in Syrien. Damit will er zeigen, dass er iranische Aggressionen nicht dulden will, und vermeiden, dass US-Partner in Nahost am Beistand durch die USA zweifeln, wie sie es unter Obama taten.
Die ersten Reaktionen aus der Region, vor allem die Parteinahme anderer Staaten für die Saudis, deuten indes an, dass es für Biden hart wird, diese Politik durchzusetzen. Sogar im Verhältnis zu Israel zeichnen sich Probleme ab.
Welches Ziel hat die Moral?
Die Schwäche der US-Position ist nicht, dass man Menschenrechte auch in Relation zu Verbündeten wieder mehr im Zentrum haben und sich aus der Verknüpfung von Politik und Öl lösen will: Bidens Politik fehlt allerdings ein inhaltlicher Kern. Was will er mit der neuen Linie erreichen? Darauf fehlen überzeugende Antworten noch.
Deshalb war es kein Wunder, dass Kritiker Bidens die Frage stellen, warum der Kronprinz trotz der offenen Anschuldigungen just nicht auf der Liste von fast 80 saudischen Offiziellen steht, die mit Sanktionen für ihre Rolle bei Khashoggis Ermordung bestraft werden sollen. Bidens Politik tritt mit einem hohen Moralanspruch an. Ihr Erfolg wird stark davon abhängen, ob sie dem auch gerecht wird.