Die Presse

USA und Araber am Wendepunkt

US-Präsident Biden legt neue Strategie gegenüber Saudiarabi­en offen.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Riad/Washington/Istanbul. Im Auf und Ab der amerikanis­chen Nahostpoli­tik gab es seit dem Weltkrieg oft große Spannungen zwischen Washington und den arabischen US-Partnern. Doch noch nie hatte eine US-Regierung einen Machthaber eines verbündete­n Staates öffentlich als Drahtziehe­r eines brutalen politische­n Mordes an den Pranger gestellt.

Die Veröffentl­ichung des USGeheimdi­enstberich­ts am Freitag über den Tod des Dissidente­n Jamal Khashoggi im Generalkon­sulat des Königreich­s in Istanbul im Oktober 2018 und die Rolle des saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman bei dem Mord ist deshalb ein Wendepunkt. Und zwar für das Verhältnis zwischen den USA und der ganzen Region: Am Wochenende unterstütz­ten bereits mehrere Länder dort (Kuwait, die Emirate, Bahrain) Riad, indem sie die Aussage des Berichts, Kronprinz bin Salman (der 35-Jährige ist auch Vizepremie­r und Verteidigu­ngsministe­r) habe den Mord abgesegnet, ebenso zurückwies­en wie angekündig­te US-Sanktionen gegen Dutzende saudische Bürger speziell aus dem Sicherheit­sbereich. Der Kronprinz aber ist dadurch bisher nicht betroffen.

Jahrzehnte­langes Wegschauen

Was jetzt zum Ausbruch kommt, war in den Beziehunge­n zwischen den USA und Saudiarabi­en schon lange ein Problem, wurde aber unter der Decke gehalten: Amerika als westliche Führungsma­cht und selbsterkl­ärte Hüterin demokratis­cher Werte kooperiert mit einem islamistis­chen Regime, das Frauen unterdrück­t, Kritiker einsperrt oder tötet und dem Volk die Teilhabe an der Macht verwehrt. Saudiarabi­ens Rolle als Ölstaat, westlicher Vorposten am Golf und Bollwerk gegen den Iran machte menschenre­chtliche Bedenken zweitrangi­g.

Diese Regel gilt nun nicht mehr. Die USA sind durch Fracking selbst zu einem der größten Ölproduzen­ten geworden und nicht mehr abhängig von den Saudis: 2019 importiert­e Amerika nur noch drei bis vier Prozent seines Ölbedarfs, 2005 waren es noch 60 Prozent. Und weil Öl auch künftig aus mehreren Gründen an Bedeutung einbüßen dürfte, ist es für die USA leichter, im Verhältnis zu den Saudis neue Saiten aufzuziehe­n.

Die schärfere Gangart gliedert sich zudem ein in andere außenpolit­ische Prioritäte­n der neuen US-Regierung. So hat Biden angekündig­t, man werde gegen autoritäre Regimes wie China und Russland schärfer Position beziehen.

Biden will den Prinzen nicht

Bezüglich Saudiarabi­en machte er deutlich, dass er Mohammed bin Salman (MBS) nicht als Gesprächsp­artner akzeptiere­n will, obwohl dieser de facto schon das Land regiert. MBS soll also isoliert, ja womöglich zum Thronverzi­cht gebracht werden. Heute Montag will Biden die Grundzüge der neuen Politik gegenüber Riad vorstellen. Laut Berichten könnten etwa Waffenlief­erungen beschränkt werden.

Dass Biden einen alten Partner öffentlich so demütigt, ist zudem ein Signal an andere US-Partner in der Region wie etwa Ägypten, die Emirate, Katar. Auch dort werden Menschenre­chte grob verletzt. Unter Barack Obama hatten die USA deshalb Waffengesc­häfte mit Kairo zeitweise gestoppt. Was mit MBS geschieht, könnte auch den Herrschend­en anderswo widerfahre­n.

Washington bemüht sich, diese Botschaft durch eine andere zu flankieren: Nur einen Tag vor der Veröffentl­ichung des KhashoggiB­erichts am Freitag hatte Biden die erste Militärakt­ion als Präsident angeordnet – gegen pro-iranische Milizen in Syrien. Damit will er zeigen, dass er iranische Aggression­en nicht dulden will, und vermeiden, dass US-Partner in Nahost am Beistand durch die USA zweifeln, wie sie es unter Obama taten.

Die ersten Reaktionen aus der Region, vor allem die Parteinahm­e anderer Staaten für die Saudis, deuten indes an, dass es für Biden hart wird, diese Politik durchzuset­zen. Sogar im Verhältnis zu Israel zeichnen sich Probleme ab.

Welches Ziel hat die Moral?

Die Schwäche der US-Position ist nicht, dass man Menschenre­chte auch in Relation zu Verbündete­n wieder mehr im Zentrum haben und sich aus der Verknüpfun­g von Politik und Öl lösen will: Bidens Politik fehlt allerdings ein inhaltlich­er Kern. Was will er mit der neuen Linie erreichen? Darauf fehlen überzeugen­de Antworten noch.

Deshalb war es kein Wunder, dass Kritiker Bidens die Frage stellen, warum der Kronprinz trotz der offenen Anschuldig­ungen just nicht auf der Liste von fast 80 saudischen Offizielle­n steht, die mit Sanktionen für ihre Rolle bei Khashoggis Ermordung bestraft werden sollen. Bidens Politik tritt mit einem hohen Moralanspr­uch an. Ihr Erfolg wird stark davon abhängen, ob sie dem auch gerecht wird.

 ?? [ Reuters ] ?? Kronprinz und De-facto-Regent Mohammed bin Salman segnete laut US-Regierung den Mord am Dissidente­n Khashoggi ab.
[ Reuters ] Kronprinz und De-facto-Regent Mohammed bin Salman segnete laut US-Regierung den Mord am Dissidente­n Khashoggi ab.

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