Wilde Signale kommen vom US-Anleihemarkt
Geldanlage. Die Rendite für zehnjährige US-Staatsanleihen steigt rasant an, die Inflationssorgen nehmen zu. Darunter leiden vor allem die Überflieger des Vorjahres. Und weitere Kursverluste sind keineswegs ausgeschlossen.
New York. Und wieder einmal rückte Jerome Powell zur Rettung der Aktionäre aus. Seit Ausbruch der Pandemie können sich die Anleger auf den Chef der US-Notenbank verlassen, die expansive Geldpolitik der Federal Reserve ist einer der Hauptgründe für die einzigartige Börsenrallye. Doch nahm vergangene Woche kurzfristig die Angst überhand, dass sich die Fed früher als allgemein erwartet zurückziehen könnte. Ein schwarzer Dienstag stand ins Haus, Technologieaktien gaben vorbörslich um mehr als vier Prozent nach. Also sprach Powell: „Wir sind noch weit von unseren Inflations- und Beschäftigungszielen entfernt.“Die Händler atmeten auf, die Talfahrt war gestoppt.
Gute Ursache, negative Folge
Der Grund für den zwischenzeitlichen Anflug von Panik waren die Signale vom US-Anleihemarkt. Die Rendite für zehnjährige Treasuries steigt rasant an, vergangene Woche lag sie bei mehr als 1,4 Prozent, nachdem sie Ende Dezember noch bei 0,9 Prozent und im August bei 0,5 Prozent notiert hatte. Die Ursache ist eigentlich eine positive, nämlich die Erwartung, dass dank zurückgehender Infektionszahlen in den USA sowie der anlaufenden Impfkampagne eine schnellere Erholung ins Haus steht.
Freilich: Wenn sich die Wirtschaft rascher erholte, würde unter Umständen auch die Teuerung früher als bisher erwartet wieder zunehmen, zumal Präsident Joe Biden weiterhin versucht, sein 1,9
Billionen Dollar schweres Stimuluspaket durch den Kongress zu bringen. Steigt die Inflation schneller an, so der Gedanke der Großanleger, würde die Fed die Zinsen womöglich schon 2022 wieder erhöhen müssen. Die logische Konsequenz war der gesehene Anstieg der Renditen für langfristige US-Staatsanleihen.
Kurzfristige Beruhigung
Nun konnte Powell mit seinen Aussagen die nervöse Anlegermeute kurzzeitig beruhigen. Während der Anhörung vor dem Senat verwies er darauf, dass die Fed, wenn nötig, vorübergehend einen Anstieg der Inflation auf mehr als zwei Prozent akzeptieren würde, solange die Arbeitslosigkeit weiterhin zu hoch ist. Aktuell steht sie bei 6,3 Prozent, es ist unwahrscheinlich, dass die Fed das Wachstum abwürgt, solange sich dieser Wert nicht zumindest halbiert. Und doch wird auch Powell den Trend nicht völlig stoppen können. Sofern das Coronavirus tatsächlich bis zum Sommer zurückgedrängt ist und wieder Normalität einkehrt, wird die Teuerung – und mit ihr die Rendite für längerfristige Treasuries – mittelfristig ebenfalls ansteigen.
Stimmung kippt gegen Tech
Dem Lehrbuch nach leiden darunter vor allem Technologieaktien, weil deren Kurse häufig auf den erwarteten Gewinnen basieren. Höhere Inflationsraten entwerten diese Erträge real, außerdem steht den Anlegern eine Investitionsalternative in Form von Staatsanleihen zur Verfügung.
Hinzu kommt die Erwartung, dass nach dem Öffnen der Wirtschaft die Menschen zumindest am Anfang ihr Geld für Dinge verwenden werden, die ihnen während des vergangenen Jahres verwehrt geblieben waren. „Kurzfristig erwarte ich, dass die Leute enthusiastisch konsumieren werden“, sagte auch Powell. Also weniger Amazon und Apple, dafür mehr Restaurants, mehr Reisen, mehr Unterhaltung.
All das deutet darauf hin, dass die Reise am Anleihemarkt gerade erst begonnen hat. Die Kurse werden wohl weiter fallen, die Renditen im Umkehrschluss weiter steigen, solange Investoren an ein schnelles
Ende der Pandemie glauben. Für eine größere Umschichtung weg von
Aktien und hin zu Staatsanleihen ist es deshalb zu früh.
Historisch betrachtet sind die Renditen für Treasuries immer noch sehr niedrig, noch deutlicher gilt das für europäische Staatsanleihen. In der Tat wird die nun in den USA eingeleitete Diskussion über einen Rückzug der Notenbank in Europa etwas zeitverzögert beginnen – frühestens dann, wenn die Impfprogramme in der Eurozone ordentlich anlaufen.
Umschichtung bei Aktien
Die Umschichtung findet deshalb noch nicht zwischen den Anlageklassen statt, sondern vor allem zwischen den Aktienkategorien. Zuletzt verkauften Investoren vermehrt Technologieaktien und legten sich stattdessen Zykliker wie Banken und Energiefirmen ins Portfolio. Wer jetzt noch auf diesen Zug aufspringen will, ist etwas spät dran, aber vermutlich noch nicht zu spät. Techpapiere sind immer noch hoch bewertet, Zykliker wie Ölkonzerne haben immer noch Aufholpotenzial und locken mit hohen Dividendenrenditen. Exxon Mobil und Total zahlen trotz der zuletzt gesehenen Kursgewinne immer noch mehr als sechs Prozent an Rendite. Wer mit der Absicht kauft, die Papiere langfristig zu halten, macht vermutlich nicht viel falsch.
Das Tempo der weiteren Umschichtung wird davon abhängen, ob Powell Recht behält oder ob die Inflation doch rasanter ansteigt. Der Fed-Chef erwartet für die nächsten Jahre eine Teuerung im Rahmen des Durchschnitts der letzten zehn Jahre. Dieser liegt in den USA bei 1,3 Prozent. Die Märkte wiederum sagen für die kommenden fünf Jahre eine Rate von 2,29 Prozent voraus. Darauf deutet die Differenz zwischen normalen und inflationsgeschützten Anleihen hin.
Eine Frage der Inflation
Behalten die Märkte recht oder steigt die Teuerung auf einen noch höheren Wert, werden der breite Markt im Generellen, und Technologieaktien im Speziellen, womöglich weitere Verluste hinnehmen müssen. Behält Powell recht, kann die Rallye vorerst auch noch ungestört weitergehen. Dafür spricht die Tatsache, dass die US-Haushalte laut Fed 2,2 Billionen Dollar an Bargeld horten. Solange die Renditen für Treasuries nicht viel weiter ansteigen, wird dieses Kapital nicht in Anleihen, sondern entweder in die Wirtschaft oder in den Aktienmarkt fließen. In beiden Fällen könnten zyklische Papiere profitieren.