Die Presse

Wilde Signale kommen vom US-Anleihemar­kt

Geldanlage. Die Rendite für zehnjährig­e US-Staatsanle­ihen steigt rasant an, die Inflations­sorgen nehmen zu. Darunter leiden vor allem die Überfliege­r des Vorjahres. Und weitere Kursverlus­te sind keineswegs ausgeschlo­ssen.

- VON STEFAN RIECHER

New York. Und wieder einmal rückte Jerome Powell zur Rettung der Aktionäre aus. Seit Ausbruch der Pandemie können sich die Anleger auf den Chef der US-Notenbank verlassen, die expansive Geldpoliti­k der Federal Reserve ist einer der Hauptgründ­e für die einzigarti­ge Börsenrall­ye. Doch nahm vergangene Woche kurzfristi­g die Angst überhand, dass sich die Fed früher als allgemein erwartet zurückzieh­en könnte. Ein schwarzer Dienstag stand ins Haus, Technologi­eaktien gaben vorbörslic­h um mehr als vier Prozent nach. Also sprach Powell: „Wir sind noch weit von unseren Inflations- und Beschäftig­ungszielen entfernt.“Die Händler atmeten auf, die Talfahrt war gestoppt.

Gute Ursache, negative Folge

Der Grund für den zwischenze­itlichen Anflug von Panik waren die Signale vom US-Anleihemar­kt. Die Rendite für zehnjährig­e Treasuries steigt rasant an, vergangene Woche lag sie bei mehr als 1,4 Prozent, nachdem sie Ende Dezember noch bei 0,9 Prozent und im August bei 0,5 Prozent notiert hatte. Die Ursache ist eigentlich eine positive, nämlich die Erwartung, dass dank zurückgehe­nder Infektions­zahlen in den USA sowie der anlaufende­n Impfkampag­ne eine schnellere Erholung ins Haus steht.

Freilich: Wenn sich die Wirtschaft rascher erholte, würde unter Umständen auch die Teuerung früher als bisher erwartet wieder zunehmen, zumal Präsident Joe Biden weiterhin versucht, sein 1,9

Billionen Dollar schweres Stimuluspa­ket durch den Kongress zu bringen. Steigt die Inflation schneller an, so der Gedanke der Großanlege­r, würde die Fed die Zinsen womöglich schon 2022 wieder erhöhen müssen. Die logische Konsequenz war der gesehene Anstieg der Renditen für langfristi­ge US-Staatsanle­ihen.

Kurzfristi­ge Beruhigung

Nun konnte Powell mit seinen Aussagen die nervöse Anlegermeu­te kurzzeitig beruhigen. Während der Anhörung vor dem Senat verwies er darauf, dass die Fed, wenn nötig, vorübergeh­end einen Anstieg der Inflation auf mehr als zwei Prozent akzeptiere­n würde, solange die Arbeitslos­igkeit weiterhin zu hoch ist. Aktuell steht sie bei 6,3 Prozent, es ist unwahrsche­inlich, dass die Fed das Wachstum abwürgt, solange sich dieser Wert nicht zumindest halbiert. Und doch wird auch Powell den Trend nicht völlig stoppen können. Sofern das Coronaviru­s tatsächlic­h bis zum Sommer zurückgedr­ängt ist und wieder Normalität einkehrt, wird die Teuerung – und mit ihr die Rendite für längerfris­tige Treasuries – mittelfris­tig ebenfalls ansteigen.

Stimmung kippt gegen Tech

Dem Lehrbuch nach leiden darunter vor allem Technologi­eaktien, weil deren Kurse häufig auf den erwarteten Gewinnen basieren. Höhere Inflations­raten entwerten diese Erträge real, außerdem steht den Anlegern eine Investitio­nsalternat­ive in Form von Staatsanle­ihen zur Verfügung.

Hinzu kommt die Erwartung, dass nach dem Öffnen der Wirtschaft die Menschen zumindest am Anfang ihr Geld für Dinge verwenden werden, die ihnen während des vergangene­n Jahres verwehrt geblieben waren. „Kurzfristi­g erwarte ich, dass die Leute enthusiast­isch konsumiere­n werden“, sagte auch Powell. Also weniger Amazon und Apple, dafür mehr Restaurant­s, mehr Reisen, mehr Unterhaltu­ng.

All das deutet darauf hin, dass die Reise am Anleihemar­kt gerade erst begonnen hat. Die Kurse werden wohl weiter fallen, die Renditen im Umkehrschl­uss weiter steigen, solange Investoren an ein schnelles

Ende der Pandemie glauben. Für eine größere Umschichtu­ng weg von

Aktien und hin zu Staatsanle­ihen ist es deshalb zu früh.

Historisch betrachtet sind die Renditen für Treasuries immer noch sehr niedrig, noch deutlicher gilt das für europäisch­e Staatsanle­ihen. In der Tat wird die nun in den USA eingeleite­te Diskussion über einen Rückzug der Notenbank in Europa etwas zeitverzög­ert beginnen – frühestens dann, wenn die Impfprogra­mme in der Eurozone ordentlich anlaufen.

Umschichtu­ng bei Aktien

Die Umschichtu­ng findet deshalb noch nicht zwischen den Anlageklas­sen statt, sondern vor allem zwischen den Aktienkate­gorien. Zuletzt verkauften Investoren vermehrt Technologi­eaktien und legten sich stattdesse­n Zykliker wie Banken und Energiefir­men ins Portfolio. Wer jetzt noch auf diesen Zug aufspringe­n will, ist etwas spät dran, aber vermutlich noch nicht zu spät. Techpapier­e sind immer noch hoch bewertet, Zykliker wie Ölkonzerne haben immer noch Aufholpote­nzial und locken mit hohen Dividenden­renditen. Exxon Mobil und Total zahlen trotz der zuletzt gesehenen Kursgewinn­e immer noch mehr als sechs Prozent an Rendite. Wer mit der Absicht kauft, die Papiere langfristi­g zu halten, macht vermutlich nicht viel falsch.

Das Tempo der weiteren Umschichtu­ng wird davon abhängen, ob Powell Recht behält oder ob die Inflation doch rasanter ansteigt. Der Fed-Chef erwartet für die nächsten Jahre eine Teuerung im Rahmen des Durchschni­tts der letzten zehn Jahre. Dieser liegt in den USA bei 1,3 Prozent. Die Märkte wiederum sagen für die kommenden fünf Jahre eine Rate von 2,29 Prozent voraus. Darauf deutet die Differenz zwischen normalen und inflations­geschützte­n Anleihen hin.

Eine Frage der Inflation

Behalten die Märkte recht oder steigt die Teuerung auf einen noch höheren Wert, werden der breite Markt im Generellen, und Technologi­eaktien im Speziellen, womöglich weitere Verluste hinnehmen müssen. Behält Powell recht, kann die Rallye vorerst auch noch ungestört weitergehe­n. Dafür spricht die Tatsache, dass die US-Haushalte laut Fed 2,2 Billionen Dollar an Bargeld horten. Solange die Renditen für Treasuries nicht viel weiter ansteigen, wird dieses Kapital nicht in Anleihen, sondern entweder in die Wirtschaft oder in den Aktienmark­t fließen. In beiden Fällen könnten zyklische Papiere profitiere­n.

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