Die Presse

Verbot des Zitats aus Ermittlung­sakten hilft gegen Vorverurte­ilung

Gastkommen­tar. Die geplante Regelung nach deutschem Vorbild ist kein Angriff auf die Pressefrei­heit.

- VON OLIVER PLÖCKINGER Priv.-Doz. Dr. Oliver Plöckinger, LL.M. ist Partner bei SCWP Schindhelm.

Wien. Ein Vorschlag der ÖVP lässt die Wogen hochgehen: Künftig sollen – nach deutschem Vorbild – (wörtliche) Zitate aus Ermittlung­sakten strafbar sein. Für den grünen Koalitions­partner sind „Einschränk­ungen der Pressefrei­heit nicht Gegenstand der Verhandlun­gen“, die Journalist­engewerksc­haft zeigte sich „entsetzt“, und der Präsident des österreich­ischen Rechtsanwa­ltskammert­ags sprach von einem „medialen Maulkorb“. Doch was steckt tatsächlic­h hinter dem angedachte­n Verbot?

Ein Blick auf die deutsche Regelung mag hier Klarheit bringen: Gemäß § 353d Ziff 3 StGB wird mit Freiheitss­trafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer „die Anklagesch­rift oder andere amtliche Schriftstü­cke eines Strafverfa­hrens (. . .) ganz oder in wesentlich­en Teilen im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlich­er Verhandlun­g erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlos­sen ist“.

Macht man sich auf die Suche nach den Intentione­n des deutschen Gesetzgebe­rs, so wird deutlich, dass diese Bestimmung ausschließ­lich die Unbefangen­heit der am Strafverfa­hren Beteiligte­n, namentlich der Laienricht­er und Zeugen, schützen soll. Es soll verhindert werden, dass die Unterlagen eines Strafverfa­hrens (beispielsw­eise Protokolle über Beschuldig­ten- und Zeugeneinv­ernahmen, Sachverstä­ndigenguta­chten, E-Mail bzw. WhatsApp-Verkehr des Beschuldig­ten, die Anklagesch­rift etc.) durch ihre öffentlich­e Bekanntgab­e zum Gegenstand öffentlich­er Diskussion werden. Oder gar zum Anlass gezielter Beeinfluss­ungen, welche die Unvoreinge­nommenheit der Verfahrens­beteiligte­n infrage stellen können.

Es handelt sich bei der geplanten Regelung also keinesfall­s um einen „Angriff auf die Pressefrei­heit“. Sondern es soll damit – folgt man dem deutschen Vorbild – die Unvoreinge­nommenheit der Rechtsprec­hung, ein Schutz vor medialer Vorverurte­ilung, gewährleis­tet werden.

Gerade bei Verfahren mit Laienbetei­ligung (Schöffen und Geschworen­e) besteht die große Gefahr, dass durch eine oft jahrelange Berichters­tattung über – nicht selten aus dem Zusammenha­ng gerissene – Details aus dem strafrecht­lichen Ermittlung­sakt die Laienricht­er mit einer bereits vorgefasst­en Meinung ihr Amt bei Gericht antreten. Diese umzukehren ist im Prozess dann kaum mehr möglich.

Medien sind keine Richter

Darüber hinaus führt die Verwertung von intimen Details nicht selten zu einer massiven Bloßstellu­ng des Beschuldig­ten in der Öffentlich­keit. Erst jüngst wurden in einem Sexualstra­fverfahren, welches der Autor dieser Zeilen als Verteidige­r begleitet, von einem Medium kompromitt­ierende Passagen aus der Anklagesch­rift zitiert. Dies, obschon in weiterer Folge in der Hauptverha­ndlung die Öffentlich­keit ausgeschlo­ssen worden ist. Die mediale Bloßstellu­ng des Mandanten war zu diesem Zeitpunkt schon erfolgt; sie lässt sich auch im Falle eines Freispruch­s nicht mehr umkehren.

In einem Rechtsstaa­t kann und darf es nicht die Rolle der Medien sein, die gegen eine Person bestehende­n strafrecht­lichen Vorwürfe aufzukläre­n bzw. voranzutre­iben. Diese Aufgabe steht ausschließ­lich den Staatsanwa­ltschaften und Gerichten zu.

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