Verbot des Zitats aus Ermittlungsakten hilft gegen Vorverurteilung
Gastkommentar. Die geplante Regelung nach deutschem Vorbild ist kein Angriff auf die Pressefreiheit.
Wien. Ein Vorschlag der ÖVP lässt die Wogen hochgehen: Künftig sollen – nach deutschem Vorbild – (wörtliche) Zitate aus Ermittlungsakten strafbar sein. Für den grünen Koalitionspartner sind „Einschränkungen der Pressefreiheit nicht Gegenstand der Verhandlungen“, die Journalistengewerkschaft zeigte sich „entsetzt“, und der Präsident des österreichischen Rechtsanwaltskammertags sprach von einem „medialen Maulkorb“. Doch was steckt tatsächlich hinter dem angedachten Verbot?
Ein Blick auf die deutsche Regelung mag hier Klarheit bringen: Gemäß § 353d Ziff 3 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer „die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens (. . .) ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist“.
Macht man sich auf die Suche nach den Intentionen des deutschen Gesetzgebers, so wird deutlich, dass diese Bestimmung ausschließlich die Unbefangenheit der am Strafverfahren Beteiligten, namentlich der Laienrichter und Zeugen, schützen soll. Es soll verhindert werden, dass die Unterlagen eines Strafverfahrens (beispielsweise Protokolle über Beschuldigten- und Zeugeneinvernahmen, Sachverständigengutachten, E-Mail bzw. WhatsApp-Verkehr des Beschuldigten, die Anklageschrift etc.) durch ihre öffentliche Bekanntgabe zum Gegenstand öffentlicher Diskussion werden. Oder gar zum Anlass gezielter Beeinflussungen, welche die Unvoreingenommenheit der Verfahrensbeteiligten infrage stellen können.
Es handelt sich bei der geplanten Regelung also keinesfalls um einen „Angriff auf die Pressefreiheit“. Sondern es soll damit – folgt man dem deutschen Vorbild – die Unvoreingenommenheit der Rechtsprechung, ein Schutz vor medialer Vorverurteilung, gewährleistet werden.
Gerade bei Verfahren mit Laienbeteiligung (Schöffen und Geschworene) besteht die große Gefahr, dass durch eine oft jahrelange Berichterstattung über – nicht selten aus dem Zusammenhang gerissene – Details aus dem strafrechtlichen Ermittlungsakt die Laienrichter mit einer bereits vorgefassten Meinung ihr Amt bei Gericht antreten. Diese umzukehren ist im Prozess dann kaum mehr möglich.
Medien sind keine Richter
Darüber hinaus führt die Verwertung von intimen Details nicht selten zu einer massiven Bloßstellung des Beschuldigten in der Öffentlichkeit. Erst jüngst wurden in einem Sexualstrafverfahren, welches der Autor dieser Zeilen als Verteidiger begleitet, von einem Medium kompromittierende Passagen aus der Anklageschrift zitiert. Dies, obschon in weiterer Folge in der Hauptverhandlung die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden ist. Die mediale Bloßstellung des Mandanten war zu diesem Zeitpunkt schon erfolgt; sie lässt sich auch im Falle eines Freispruchs nicht mehr umkehren.
In einem Rechtsstaat kann und darf es nicht die Rolle der Medien sein, die gegen eine Person bestehenden strafrechtlichen Vorwürfe aufzuklären bzw. voranzutreiben. Diese Aufgabe steht ausschließlich den Staatsanwaltschaften und Gerichten zu.