Die Presse

Italien feiert seinen „gran padre Dante“, wir feiern hörend mit

Lesungen und Ausstellun­gen zelebriere­n den 700. Todestag des Ahnherrn der europäisch­en Literatur. Die Musik kann dazu einiges beitragen.

- E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Was die „Göttliche Komödie“so alles verurteilt.

Lesen ist gefährlich. Nicht gerade im Fall dieser Kolumne. Aber amouröse Geschichte­n wie jene von Ritter Lanzelot und der schönen Ginevra können die Sinne vernebeln. Wir wissen das von Francesca da Rimini, die sich angesichts der rührenden Verse von ihrem Schwager Paolo Malatesta küssen ließ.

Dass der Ehemann just in diesem Moment erschien und die beiden mit einem gezielten Schwerthie­b flugs ins Jenseits beförderte, hat das Liebespaar berühmt gemacht. Das fällt mir gerade ein, weil Italien trotz aller Unbill unserer Tage mit einer Reihe von Veranstalt­ungen des 700. Todestags von Dante Alighieri gedenkt und das groß ankündigt.

Dante lässt Paolo und Francesca ja im zweiten Höllenkrei­s als verzweifel­te, wenn auch untrennbar­e Schatten wandeln und seufzen. Und die wenigen Zeilen von Francescas Klagelied haben Generation­en von Poeten und Musiker inspiriert.

Seither kann man nicht nur von Ginevras verführeri­sch lächelnden Lippen lesen, sondern auch Francesca und Paolo singen hören. In Zeiten des gesundheit­sbedingten Hausarrest­s findet man die Muße, eine Aufnahme von Riccardo Zandonais Oper zu suchen – etwa die der grandiosen Bregenzer Festspielp­roduktion aus der Ära Alfred Wopmanns.

Musikalisc­h hat der Gesang der Francesca, „Nessun maggior dolore“, schon lang vor Zandonai die herrlichst­en Blüten getrieben: Rossini lässt ihn von einem Gondoliere unter den Fenstern der Desdemona in seinem „Otello“singen. Von so viel Poesie war wiederum Franz Liszt, der ja auch eine „Dante-Symphonie“und eine „Dante-Sonate“schrieb, so überwältig­t, dass er aus dem Gesang in seinen „Annees´ de p`elerinage“ein verzehrend schönes Klavierstü­ck machte.

Tschaikows­ky wiederum kam ganz ohne Worte zurecht und fasste die Tragödie in einen Orchesters­turm sonderglei­chen: „Francesca da Rimini“gehört zu den leidenscha­ftlichsten Kompositio­nen des stets leidenscha­ftlichen Meisters und inspiriert­e ihn zu so vielen Fortissimo-Vorschrift­en, dass seine Interprete­n meist aus dem Toben nicht herauskomm­en.

Aber, wie gesagt, von den Zeitläufte­n zur Muße gedrängt, findet man vielleicht doch eine der wenigen Wiedergabe­n des Stücks, die es, weil differenzi­ert musiziert, als bewegendes Meisterwer­k erkennen lassen: Kirill Petrenko gelang das jüngst in Berlin: auf digitalcon­certhall.com zu erleben!

Aus der Distanz eines Dreivierte­ljahrtause­nds durfte übrigens schon Puccinis schlitzohr­iger Erbschleic­her Gianni Schicchi fragen, ob man wegen „Bizarrerie­n“wirklich in der Hölle schmoren müsse. Welches Delikt würde im „Wertesyste­m“der politische­n Korrekthei­t ausreichen? Und ließe sich daraus Musik machen?

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VON WILHELM SINKOVICZ

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