Italien feiert seinen „gran padre Dante“, wir feiern hörend mit
Lesungen und Ausstellungen zelebrieren den 700. Todestag des Ahnherrn der europäischen Literatur. Die Musik kann dazu einiges beitragen.
Was die „Göttliche Komödie“so alles verurteilt.
Lesen ist gefährlich. Nicht gerade im Fall dieser Kolumne. Aber amouröse Geschichten wie jene von Ritter Lanzelot und der schönen Ginevra können die Sinne vernebeln. Wir wissen das von Francesca da Rimini, die sich angesichts der rührenden Verse von ihrem Schwager Paolo Malatesta küssen ließ.
Dass der Ehemann just in diesem Moment erschien und die beiden mit einem gezielten Schwerthieb flugs ins Jenseits beförderte, hat das Liebespaar berühmt gemacht. Das fällt mir gerade ein, weil Italien trotz aller Unbill unserer Tage mit einer Reihe von Veranstaltungen des 700. Todestags von Dante Alighieri gedenkt und das groß ankündigt.
Dante lässt Paolo und Francesca ja im zweiten Höllenkreis als verzweifelte, wenn auch untrennbare Schatten wandeln und seufzen. Und die wenigen Zeilen von Francescas Klagelied haben Generationen von Poeten und Musiker inspiriert.
Seither kann man nicht nur von Ginevras verführerisch lächelnden Lippen lesen, sondern auch Francesca und Paolo singen hören. In Zeiten des gesundheitsbedingten Hausarrests findet man die Muße, eine Aufnahme von Riccardo Zandonais Oper zu suchen – etwa die der grandiosen Bregenzer Festspielproduktion aus der Ära Alfred Wopmanns.
Musikalisch hat der Gesang der Francesca, „Nessun maggior dolore“, schon lang vor Zandonai die herrlichsten Blüten getrieben: Rossini lässt ihn von einem Gondoliere unter den Fenstern der Desdemona in seinem „Otello“singen. Von so viel Poesie war wiederum Franz Liszt, der ja auch eine „Dante-Symphonie“und eine „Dante-Sonate“schrieb, so überwältigt, dass er aus dem Gesang in seinen „Annees´ de p`elerinage“ein verzehrend schönes Klavierstück machte.
Tschaikowsky wiederum kam ganz ohne Worte zurecht und fasste die Tragödie in einen Orchestersturm sondergleichen: „Francesca da Rimini“gehört zu den leidenschaftlichsten Kompositionen des stets leidenschaftlichen Meisters und inspirierte ihn zu so vielen Fortissimo-Vorschriften, dass seine Interpreten meist aus dem Toben nicht herauskommen.
Aber, wie gesagt, von den Zeitläuften zur Muße gedrängt, findet man vielleicht doch eine der wenigen Wiedergaben des Stücks, die es, weil differenziert musiziert, als bewegendes Meisterwerk erkennen lassen: Kirill Petrenko gelang das jüngst in Berlin: auf digitalconcerthall.com zu erleben!
Aus der Distanz eines Dreivierteljahrtausends durfte übrigens schon Puccinis schlitzohriger Erbschleicher Gianni Schicchi fragen, ob man wegen „Bizarrerien“wirklich in der Hölle schmoren müsse. Welches Delikt würde im „Wertesystem“der politischen Korrektheit ausreichen? Und ließe sich daraus Musik machen?