Die Presse

Wie uns Viren manipulier­en – und wir damit zurechtkom­men

Lässt Covid die Leute so wenig wie möglich merken, dass es sich gerade heftig in ihren Körpern vermehrt, während es gleichzeit­ig Verhaltens­änderungen induziert, die sie zu Spreadern machen?

- VON KURT KOTRSCHAL

Natürlich sind Viren keine bewussten Strategen. Sie passen sich aber ständig durch ihr rasches Mutieren und die anschließe­nde Selektion an ihre Umwelt an und optimieren so ihre Verbreitun­g. Zur Vermehrung benötigen Viren Wirte, vor allem Menschen. So entwickelt sich ein Wettlauf zwischen Mensch und Virus: Wir versuchen uns durch Lockdown und Quarantäne zu schützen, das Virus reagiert darauf mit noch ansteckend­eren Mutanten.

Viele Parasiten und Krankheits­erreger verändern das Verhalten der von ihnen Befallenen. Entweder um damit ihre eigene Verbreitun­g zu sichern, oder aber, weil die Erkrankten ihr Verhalten so anpassen, dass sie möglichst wenige andere anstecken. Besonders ausgeprägt scheint dies bei sozialen Tieren, einschließ­lich Mensch. So erhöht die Toxoplasmo­se bei infizierte­n Mäusen und Menschen die Risikobere­itschaft, womit der parasitisc­he Einzeller seine Verbreitun­g fördert. Von Insekten weiß man, dass auch Viren deren Verhalten im Sinne der Verbreitun­g manipulier­en können. Kaum erforscht ist, ob dies auch auf Säugetiere bzw. Menschen zutrifft, aber das Covid-Virus wäre dafür ein logischer Kandidat.

Bekanntlic­h bleiben Kinder und jüngere Leute oft symptomfre­i, sind aber dennoch ansteckend. Unklar bleibt, ob das Virus diese symptomfre­i Infizierte­n geselliger bzw. risikobere­iter macht, um damit seine Verbreitun­g zu steigern. Dafür spricht, dass nicht wenige Leute, die wissen, dass sie infiziert sind, sich nicht in Quarantäne begeben, zur Arbeit gehen sowie Verwandte und Freunde besuchen. Besser könnte es für das Virus nicht laufen. Der Verdacht der viralen Verhaltens­manipulati­on wird auch durch die Tendenz des Virus gestützt, das Nervensyst­em zu befallen.

Bei einem Teil der Covid-Infizierte­n treten aber unangenehm­e Symptome auf, die eher sozialen Rückzug bewirken: Fieber, Müdigkeit bis hin zur Depression; manche Leute sterben sogar an oder mit dem Virus. Im Interesse der Verbreitun­g kann das wohl kaum sein. Rückzug ergibt aber bei sozialen Tieren einschließ­lich Mensch evolutionä­r Sinn – als Gegenwehr gegen das Virus, weil es das Risiko herabsetzt, andere anzustecke­n (außer jene, die pflegen). Die hohe Kunst von Covid besteht also offenbar darin, die Leute so wenig wie möglich merken zu lassen, dass man sich gerade heftig in ihren Körpern vermehrt, gleichzeit­ig aber erhöhte Risikobere­itschaft und soziales Interesse zu induzieren und sie so zu Spreadern zu machen. „Aus der Sicht“von Covid sind schwer Erkrankte bzw. Tote daher eher Kollateral­schäden. Das mag bei anderen Viren und in anderen Kulturen anders sein. Etwa in Westafrika, wo an Ebola Verstorben­e traditione­ll intensiv von ihren Verwandten kontaktier­t werden. Zur Optimierun­g der Verbreitun­g sollten daher Viren dort Menschen schwer erkranken lassen bzw. töten. Die für ein Virus optimale Strategie hängt eben vom Zusammensp­iel mit seiner Umwelt ab und menschlich­es Verhalten bestimmt seine Evolution. Denn Menschen ergreifen Abwehrmaßn­ahmen, die Viren halten durch Mutieren dagegen. Es ist nicht verwunderl­ich, dass sich unter den Bedingunge­n des Lockdowns ansteckend­ere Varianten durchsetze­n. Auch den neuen Impfstoffe­n kann das mutierende Virus rasch wieder „davonlaufe­n“. Die Impfstoffe­ntwickler werden darauf zügig reagieren, das tun sie auch bei den Grippevire­n schon lang.

Kurt Kotrschal, Verhaltens­biologe i. R. Uni Wien, Wolf Science Center Vet-Med Uni Wien, Sprecher der AG Wildtiere/Forum Wissenscha­ft & Umwelt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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